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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XXV. Strafbarer Eigennutz.
es nun hiernach an einem eigentlichen kriminalistischen Grunde, an einer
wirklichen Rechtsverletzung, so habe man alle Veranlassung, den Umfang
der Strafbarkeit möglichst zu beschränken. Man habe hiezu eine um so
größere Aufforderung, als schon das Civilrecht selbst mehrere Abwei-
chungen aufstelle und das Fundament der Maaßregel vielfach erschüttert
sei. Bei gewagten Geschäften, bei Versicherungen, bei der Bodmerei, bei
Geschäften der Kaufleute hätten sich ungeachtet des frühern Verbots
abweichende Principien im Gesetz bereits durchgebildet. Ferner sei es
gesetzlich erlaubt, bei Cessionen Aktiva um jeden Preis zu erwerben und
hierdurch ein Mittel gegeben, die gesetzliche Beschränkung der Valuta
beim ursprünglichen Geschäft zu umgehen. Der Staat privilegire Leih-
häuser, fordere Kommunen zu ihrer Anlegung auf und habe selbst im
Jahre 1834. in Berlin ein Leihamt angelegt (G.-S. 1834. S. 23.);
hierbei seien immer 12. Prozent Zinsen gestattet, weil der Verkehr es
erfordere; ingleichen habe der Staat oftmals Schulden zu nicht voller
Valuta kontrahirt. Diesen Vorgängen und Verhältnissen gegenüber
könne man die einfache Uebertretung der Zinsverbote nicht als kriminell
strafbar erscheinen lassen. Es sei dieß um so weniger zulässig, als die
Höhe der Zinsen von Konjunkturen und Zeitverhältnissen abhänge und
der Zinssatz selbst mehr oder minder willkührlich sei." -- --

Es sei also nur zu bestimmen, in welchen Fällen die Strafbarkeit
des Wuchers angenommen werden müsse. "Das Landrecht strafe den
verkleideten, und die Französische Gesetzgebung z) den gewerbmäßigen
Wucher. Letztere Bestimmung dürfte nicht gerechtfertigt erscheinen. Denn
wenn man eine Handlung überhaupt nicht für strafbar erachte, so könne
man sie deshalb allein, weil sie von demselben Individuum öfters be-
gangen worden, noch nicht zu einer strafbaren erheben. Dagegen dürfte
die landrechtliche Vorschrift beizubehalten sein. Schon die ältern Rechts-
lehrer hätten angenommen, daß das Strafbare des Wuchers in dem
Verbergen des hohen Zinssatzes unter ein anderes Geschäft und unter
andere Namen liege, weil dadurch die Partei oder die Obrigkeit getäuscht
werden solle, folglich betrüglich gehandelt werde. Das Landrecht sei
diesen Principien gefolgt, und es dürften dieselben gerechtfertigt erschei-
nen. Denn das offene Geschäft trage die Ungültigkeit deutlich an sich,
das verdeckte aber beschädige dadurch, daß es den Bevortheilten hindere,
das Gezahlte zurückzufordern, indem ihm der Beweis des Scheingeschäfts
obliege, der selten gelinge." a)


z) Nicht im Code penal, sondern in einem besonderen Gesetze von 1807.,
welches auch in der Rheinprovinz publicirt ist.
a) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. III.
S. 427-29.

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXV. Strafbarer Eigennutz.
es nun hiernach an einem eigentlichen kriminaliſtiſchen Grunde, an einer
wirklichen Rechtsverletzung, ſo habe man alle Veranlaſſung, den Umfang
der Strafbarkeit möglichſt zu beſchränken. Man habe hiezu eine um ſo
größere Aufforderung, als ſchon das Civilrecht ſelbſt mehrere Abwei-
chungen aufſtelle und das Fundament der Maaßregel vielfach erſchüttert
ſei. Bei gewagten Geſchäften, bei Verſicherungen, bei der Bodmerei, bei
Geſchäften der Kaufleute hätten ſich ungeachtet des frühern Verbots
abweichende Principien im Geſetz bereits durchgebildet. Ferner ſei es
geſetzlich erlaubt, bei Ceſſionen Aktiva um jeden Preis zu erwerben und
hierdurch ein Mittel gegeben, die geſetzliche Beſchränkung der Valuta
beim urſprünglichen Geſchäft zu umgehen. Der Staat privilegire Leih-
häuſer, fordere Kommunen zu ihrer Anlegung auf und habe ſelbſt im
Jahre 1834. in Berlin ein Leihamt angelegt (G.-S. 1834. S. 23.);
hierbei ſeien immer 12. Prozent Zinſen geſtattet, weil der Verkehr es
erfordere; ingleichen habe der Staat oftmals Schulden zu nicht voller
Valuta kontrahirt. Dieſen Vorgängen und Verhältniſſen gegenüber
könne man die einfache Uebertretung der Zinsverbote nicht als kriminell
ſtrafbar erſcheinen laſſen. Es ſei dieß um ſo weniger zuläſſig, als die
Höhe der Zinſen von Konjunkturen und Zeitverhältniſſen abhänge und
der Zinsſatz ſelbſt mehr oder minder willkührlich ſei.“ — —

Es ſei alſo nur zu beſtimmen, in welchen Fällen die Strafbarkeit
des Wuchers angenommen werden müſſe. „Das Landrecht ſtrafe den
verkleideten, und die Franzöſiſche Geſetzgebung z) den gewerbmäßigen
Wucher. Letztere Beſtimmung dürfte nicht gerechtfertigt erſcheinen. Denn
wenn man eine Handlung überhaupt nicht für ſtrafbar erachte, ſo könne
man ſie deshalb allein, weil ſie von demſelben Individuum öfters be-
gangen worden, noch nicht zu einer ſtrafbaren erheben. Dagegen dürfte
die landrechtliche Vorſchrift beizubehalten ſein. Schon die ältern Rechts-
lehrer hätten angenommen, daß das Strafbare des Wuchers in dem
Verbergen des hohen Zinsſatzes unter ein anderes Geſchäft und unter
andere Namen liege, weil dadurch die Partei oder die Obrigkeit getäuſcht
werden ſolle, folglich betrüglich gehandelt werde. Das Landrecht ſei
dieſen Principien gefolgt, und es dürften dieſelben gerechtfertigt erſchei-
nen. Denn das offene Geſchäft trage die Ungültigkeit deutlich an ſich,
das verdeckte aber beſchädige dadurch, daß es den Bevortheilten hindere,
das Gezahlte zurückzufordern, indem ihm der Beweis des Scheingeſchäfts
obliege, der ſelten gelinge.“ a)


z) Nicht im Code pénal, ſondern in einem beſonderen Geſetze von 1807.,
welches auch in der Rheinprovinz publicirt iſt.
a) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III.
S. 427-29.
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[502/0512] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXV. Strafbarer Eigennutz. es nun hiernach an einem eigentlichen kriminaliſtiſchen Grunde, an einer wirklichen Rechtsverletzung, ſo habe man alle Veranlaſſung, den Umfang der Strafbarkeit möglichſt zu beſchränken. Man habe hiezu eine um ſo größere Aufforderung, als ſchon das Civilrecht ſelbſt mehrere Abwei- chungen aufſtelle und das Fundament der Maaßregel vielfach erſchüttert ſei. Bei gewagten Geſchäften, bei Verſicherungen, bei der Bodmerei, bei Geſchäften der Kaufleute hätten ſich ungeachtet des frühern Verbots abweichende Principien im Geſetz bereits durchgebildet. Ferner ſei es geſetzlich erlaubt, bei Ceſſionen Aktiva um jeden Preis zu erwerben und hierdurch ein Mittel gegeben, die geſetzliche Beſchränkung der Valuta beim urſprünglichen Geſchäft zu umgehen. Der Staat privilegire Leih- häuſer, fordere Kommunen zu ihrer Anlegung auf und habe ſelbſt im Jahre 1834. in Berlin ein Leihamt angelegt (G.-S. 1834. S. 23.); hierbei ſeien immer 12. Prozent Zinſen geſtattet, weil der Verkehr es erfordere; ingleichen habe der Staat oftmals Schulden zu nicht voller Valuta kontrahirt. Dieſen Vorgängen und Verhältniſſen gegenüber könne man die einfache Uebertretung der Zinsverbote nicht als kriminell ſtrafbar erſcheinen laſſen. Es ſei dieß um ſo weniger zuläſſig, als die Höhe der Zinſen von Konjunkturen und Zeitverhältniſſen abhänge und der Zinsſatz ſelbſt mehr oder minder willkührlich ſei.“ — — Es ſei alſo nur zu beſtimmen, in welchen Fällen die Strafbarkeit des Wuchers angenommen werden müſſe. „Das Landrecht ſtrafe den verkleideten, und die Franzöſiſche Geſetzgebung z) den gewerbmäßigen Wucher. Letztere Beſtimmung dürfte nicht gerechtfertigt erſcheinen. Denn wenn man eine Handlung überhaupt nicht für ſtrafbar erachte, ſo könne man ſie deshalb allein, weil ſie von demſelben Individuum öfters be- gangen worden, noch nicht zu einer ſtrafbaren erheben. Dagegen dürfte die landrechtliche Vorſchrift beizubehalten ſein. Schon die ältern Rechts- lehrer hätten angenommen, daß das Strafbare des Wuchers in dem Verbergen des hohen Zinsſatzes unter ein anderes Geſchäft und unter andere Namen liege, weil dadurch die Partei oder die Obrigkeit getäuſcht werden ſolle, folglich betrüglich gehandelt werde. Das Landrecht ſei dieſen Principien gefolgt, und es dürften dieſelben gerechtfertigt erſchei- nen. Denn das offene Geſchäft trage die Ungültigkeit deutlich an ſich, das verdeckte aber beſchädige dadurch, daß es den Bevortheilten hindere, das Gezahlte zurückzufordern, indem ihm der Beweis des Scheingeſchäfts obliege, der ſelten gelinge.“ a) z) Nicht im Code pénal, ſondern in einem beſonderen Geſetze von 1807., welches auch in der Rheinprovinz publicirt iſt. a) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III. S. 427-29.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/512>, abgerufen am 09.05.2024.