"Zur näheren Entwickelung dieser Ansicht wurde Folgendes be- merkt: das Französische Strafgesetzbuch habe es versucht, die Fälle des strafbaren Betruges zu spezialisiren; allein es habe dasselbe bekanntlich in der Anwendung stets Schwierigkeiten gefunden. Dagegen lasse sich dies von den Bestimmungen des Landrechts, so vage und schwankend dieselben auch seien, nicht in gleichem Maaße behaupten. Die Anträge der Gerichte, welche dieselben bei Einleitung der Revision abgegeben, seien nicht sowohl darauf gerichtet, die Fälle des strafbaren Betruges speziell hervorzuheben, als vielmehr hauptsächlich darauf, anstatt der ganz ungeeigneten poena dupli eine andere und schwerere Strafe zu bestimmen. Im Allgemeinen werde man bei der Beurtheilung dieses Verbrechens sehr viel dem vernünftigen Ermessen der Gerichte überlassen müssen. Es könne sich nur darum handeln, gewisse Anhaltspunkte für dasselbe aufzustellen. In dieser Hinsicht werde es aber genügen, wenn man den Begriff des Betrugs auf die arglistige Täuschung beschränke. Denn dadurch werde angedeutet, daß nicht jede Täuschung, nicht jede im gewöhnlichen Leben vorkommende unrichtige Empfehlung einer Sache als strafbarer Betrug betrachtet werden solle." d)
In Folge dieser Erörterungen erklärte sich die Staatsraths-Kom- mission mit der Aufstellung einer allgemeinen Begriffsbestimmung des Betruges einverstanden, und dieselbe ist auch in den späteren Stadien der Revision aufrecht erhalten worden, wenn gleich im Einzelnen noch manche Aenderungen vorgenommen worden sind. Der Entwurf von 1830. hatte nämlich den Betrug also definirt:
§. 395. "Wer des Vortheils wegen durch vorsätzliche Veranlas- sung eines Irrthums Jemanden zum Nachtheile seines Rechts am Ver- mögen beschädigt, ist des Betruges schuldig."
In dem Entwurf von 1836. war der Begriff aber wesentlich er- weitert worden, denn die Vorschrift lautete hier:
§. 608. "Wer mit der Absicht, sich oder Dritten einen Vermögens- oder andern Vortheil zu verschaffen oder auch nur einem Andern zu schaden, unter Veranlassung oder Benutzung eines Irrthums des letztern, eine Handlung begeht, wodurch die Rechte desselben gekränkt werden sollen, macht sich, auch wenn daraus kein Schaden wirklich entstanden ist, des Betruges schuldig."
An die in diesen beiden Fassungen enthaltenen Gegensätze haben sich die weiteren Verhandlungen angeknüpft, welche zuletzt zu der im Strafgesetzbuch aufgestellten Begriffsbestimmung führten.
d)Berathungs-Protokolle. III. S. 393-95. Vgl. Motive zum ersten Entwurf. IV. S. 174 ff.
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§. 241. Begriff.
„Zur näheren Entwickelung dieſer Anſicht wurde Folgendes be- merkt: das Franzöſiſche Strafgeſetzbuch habe es verſucht, die Fälle des ſtrafbaren Betruges zu ſpezialiſiren; allein es habe daſſelbe bekanntlich in der Anwendung ſtets Schwierigkeiten gefunden. Dagegen laſſe ſich dies von den Beſtimmungen des Landrechts, ſo vage und ſchwankend dieſelben auch ſeien, nicht in gleichem Maaße behaupten. Die Anträge der Gerichte, welche dieſelben bei Einleitung der Reviſion abgegeben, ſeien nicht ſowohl darauf gerichtet, die Fälle des ſtrafbaren Betruges ſpeziell hervorzuheben, als vielmehr hauptſächlich darauf, anſtatt der ganz ungeeigneten poena dupli eine andere und ſchwerere Strafe zu beſtimmen. Im Allgemeinen werde man bei der Beurtheilung dieſes Verbrechens ſehr viel dem vernünftigen Ermeſſen der Gerichte überlaſſen müſſen. Es könne ſich nur darum handeln, gewiſſe Anhaltspunkte für daſſelbe aufzuſtellen. In dieſer Hinſicht werde es aber genügen, wenn man den Begriff des Betrugs auf die argliſtige Täuſchung beſchränke. Denn dadurch werde angedeutet, daß nicht jede Täuſchung, nicht jede im gewöhnlichen Leben vorkommende unrichtige Empfehlung einer Sache als ſtrafbarer Betrug betrachtet werden ſolle.“ d)
In Folge dieſer Erörterungen erklärte ſich die Staatsraths-Kom- miſſion mit der Aufſtellung einer allgemeinen Begriffsbeſtimmung des Betruges einverſtanden, und dieſelbe iſt auch in den ſpäteren Stadien der Reviſion aufrecht erhalten worden, wenn gleich im Einzelnen noch manche Aenderungen vorgenommen worden ſind. Der Entwurf von 1830. hatte nämlich den Betrug alſo definirt:
§. 395. „Wer des Vortheils wegen durch vorſätzliche Veranlaſ- ſung eines Irrthums Jemanden zum Nachtheile ſeines Rechts am Ver- mögen beſchädigt, iſt des Betruges ſchuldig.“
In dem Entwurf von 1836. war der Begriff aber weſentlich er- weitert worden, denn die Vorſchrift lautete hier:
§. 608. „Wer mit der Abſicht, ſich oder Dritten einen Vermögens- oder andern Vortheil zu verſchaffen oder auch nur einem Andern zu ſchaden, unter Veranlaſſung oder Benutzung eines Irrthums des letztern, eine Handlung begeht, wodurch die Rechte deſſelben gekränkt werden ſollen, macht ſich, auch wenn daraus kein Schaden wirklich entſtanden iſt, des Betruges ſchuldig.“
An die in dieſen beiden Faſſungen enthaltenen Gegenſätze haben ſich die weiteren Verhandlungen angeknüpft, welche zuletzt zu der im Strafgeſetzbuch aufgeſtellten Begriffsbeſtimmung führten.
d)Berathungs-Protokolle. III. S. 393-95. Vgl. Motive zum erſten Entwurf. IV. S. 174 ff.
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§. 241. Begriff.
„Zur näheren Entwickelung dieſer Anſicht wurde Folgendes be-
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ſtrafbaren Betruges zu ſpezialiſiren; allein es habe daſſelbe bekanntlich
in der Anwendung ſtets Schwierigkeiten gefunden. Dagegen laſſe ſich
dies von den Beſtimmungen des Landrechts, ſo vage und ſchwankend
dieſelben auch ſeien, nicht in gleichem Maaße behaupten. Die Anträge
der Gerichte, welche dieſelben bei Einleitung der Reviſion abgegeben,
ſeien nicht ſowohl darauf gerichtet, die Fälle des ſtrafbaren Betruges
ſpeziell hervorzuheben, als vielmehr hauptſächlich darauf, anſtatt der
ganz ungeeigneten poena dupli eine andere und ſchwerere Strafe zu
beſtimmen. Im Allgemeinen werde man bei der Beurtheilung dieſes
Verbrechens ſehr viel dem vernünftigen Ermeſſen der Gerichte überlaſſen
müſſen. Es könne ſich nur darum handeln, gewiſſe Anhaltspunkte für
daſſelbe aufzuſtellen. In dieſer Hinſicht werde es aber genügen, wenn
man den Begriff des Betrugs auf die argliſtige Täuſchung beſchränke.
Denn dadurch werde angedeutet, daß nicht jede Täuſchung, nicht jede
im gewöhnlichen Leben vorkommende unrichtige Empfehlung einer Sache
als ſtrafbarer Betrug betrachtet werden ſolle.“ d)
In Folge dieſer Erörterungen erklärte ſich die Staatsraths-Kom-
miſſion mit der Aufſtellung einer allgemeinen Begriffsbeſtimmung des
Betruges einverſtanden, und dieſelbe iſt auch in den ſpäteren Stadien
der Reviſion aufrecht erhalten worden, wenn gleich im Einzelnen noch
manche Aenderungen vorgenommen worden ſind. Der Entwurf von
1830. hatte nämlich den Betrug alſo definirt:
§. 395. „Wer des Vortheils wegen durch vorſätzliche Veranlaſ-
ſung eines Irrthums Jemanden zum Nachtheile ſeines Rechts am Ver-
mögen beſchädigt, iſt des Betruges ſchuldig.“
In dem Entwurf von 1836. war der Begriff aber weſentlich er-
weitert worden, denn die Vorſchrift lautete hier:
§. 608. „Wer mit der Abſicht, ſich oder Dritten einen Vermögens-
oder andern Vortheil zu verſchaffen oder auch nur einem Andern zu
ſchaden, unter Veranlaſſung oder Benutzung eines Irrthums des letztern,
eine Handlung begeht, wodurch die Rechte deſſelben gekränkt werden
ſollen, macht ſich, auch wenn daraus kein Schaden wirklich entſtanden
iſt, des Betruges ſchuldig.“
An die in dieſen beiden Faſſungen enthaltenen Gegenſätze haben
ſich die weiteren Verhandlungen angeknüpft, welche zuletzt zu der im
Strafgeſetzbuch aufgeſtellten Begriffsbeſtimmung führten.
d) Berathungs-Protokolle. III. S. 393-95. Vgl. Motive zum erſten
Entwurf. IV. S. 174 ff.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/469>, abgerufen am 22.12.2024.
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