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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XXI. Betrug.
ihn verübte Vermögensverletzung für strafbar erachtet werden. Die Rich-
tigkeit dieses Satzes ergebe sich daraus, daß entgegengesetztenfalls eine
große Anzahl im gewöhnlichen Lebensverkehr vorkommender täuschender
Handlungen zum Verbrechen gestempelt werden würden. Eine solche
allgemeine Begriffsbestimmung greife in alle Vertragsverhältnisse ein,
jede redhibitorische Klage, jede actio quanti minoris müsse auch Strafe
nach sich ziehen. Daß eine Rechtsverletzung vorhanden sei, bedinge noch
nicht die Strafe, sondern nur Entschädigung. Jede Strafe sei ein Uebel,
zu dessen Anwendung der Staat erst berechtigt werde, wenn eine Hand-
lungsweise die Rechtssicherheit angreife, und nicht durch andere Mittel
abgewandt werden könne. Das Hintergehen habe nicht einmal immer
civilrechtliche Folgen. Es bedürfe noch weniger überall des Strafrechts,
sondern es gebe andere Auswege zur Genugthuung und Verhütung:
gesetzliche Vermuthungen und liberale Gewährung des Schadenersatzes."

"Demgemäß war vom Revisor in Uebereinstimmung mehrerer Mit-
glieder der Revisions-Kommission vorgeschlagen worden, keine generelle
Strafbestimmung über den Betrug aufzunehmen, sondern nur einzelne
Arten des Betrugs, nämlich den Betrug durch Mißbrauch der Religion,
durch Benutzung des Aberglaubens und durch Fälschung, so wie den
Betrug der Vormünder, der Bevollmächtigten, der Versicherer und Ver-
sicherten, der Gesellschaften und Miteigenthümer, der Privatbeamten und
des Gesindes u. s. w. unter Strafe zu stellen. -- Allein in beiden Ju-
stizministerial-Entwürfen hat man sich für die Aufnahme einer generellen
Bestimmung über das Verbrechen des Betruges entschieden, c) weil man
die Aufstellung spezieller Vorschriften nicht für ausreichend und erschöpfend
erachtet hat."

"Bei der heutigen Berathung verkannte man die Schwierigkeiten
nicht, welche der Aufstellung einer allgemeinen Begriffsbestimmung des
Betrugs entgegentreten und welche darin bestehen, daß sich die wesent-
lichen Merkmale des strafbaren Betruges nicht erschöpfend angeben
lassen, indem das hauptsächliche Merkmal, die vorsätzliche Täuschung,
auf der einen Seite allerdings in eine unbedenklich strafbare Verschmizt-
heit und List übergeht, auf der andern Seite aber sich in civilrechtliche
Geschäfte aller Art verliert, mit denen man nicht einmal immer civil-
rechtliche Folgen, vielweniger aber Strafen verbinden kann, ohne das
Wesen des täglichen Verkehrs zu verletzen. Indessen fand man es doch
bedenklich, den allgemeinen Begriff von Betrug aus den Strafvorschrif-
ten wegzulassen, weil sonst bei Aufstellung blos spezieller Betrugsstrafen
nothwendig Lücken entstehen würden."


c) Entwurf von 1830. §. 395-401. -- Entwurf von 1836. §. 608-15.

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXI. Betrug.
ihn verübte Vermögensverletzung für ſtrafbar erachtet werden. Die Rich-
tigkeit dieſes Satzes ergebe ſich daraus, daß entgegengeſetztenfalls eine
große Anzahl im gewöhnlichen Lebensverkehr vorkommender täuſchender
Handlungen zum Verbrechen geſtempelt werden würden. Eine ſolche
allgemeine Begriffsbeſtimmung greife in alle Vertragsverhältniſſe ein,
jede redhibitoriſche Klage, jede actio quanti minoris müſſe auch Strafe
nach ſich ziehen. Daß eine Rechtsverletzung vorhanden ſei, bedinge noch
nicht die Strafe, ſondern nur Entſchädigung. Jede Strafe ſei ein Uebel,
zu deſſen Anwendung der Staat erſt berechtigt werde, wenn eine Hand-
lungsweiſe die Rechtsſicherheit angreife, und nicht durch andere Mittel
abgewandt werden könne. Das Hintergehen habe nicht einmal immer
civilrechtliche Folgen. Es bedürfe noch weniger überall des Strafrechts,
ſondern es gebe andere Auswege zur Genugthuung und Verhütung:
geſetzliche Vermuthungen und liberale Gewährung des Schadenerſatzes.“

„Demgemäß war vom Reviſor in Uebereinſtimmung mehrerer Mit-
glieder der Reviſions-Kommiſſion vorgeſchlagen worden, keine generelle
Strafbeſtimmung über den Betrug aufzunehmen, ſondern nur einzelne
Arten des Betrugs, nämlich den Betrug durch Mißbrauch der Religion,
durch Benutzung des Aberglaubens und durch Fälſchung, ſo wie den
Betrug der Vormünder, der Bevollmächtigten, der Verſicherer und Ver-
ſicherten, der Geſellſchaften und Miteigenthümer, der Privatbeamten und
des Geſindes u. ſ. w. unter Strafe zu ſtellen. — Allein in beiden Ju-
ſtizminiſterial-Entwürfen hat man ſich für die Aufnahme einer generellen
Beſtimmung über das Verbrechen des Betruges entſchieden, c) weil man
die Aufſtellung ſpezieller Vorſchriften nicht für ausreichend und erſchöpfend
erachtet hat.“

„Bei der heutigen Berathung verkannte man die Schwierigkeiten
nicht, welche der Aufſtellung einer allgemeinen Begriffsbeſtimmung des
Betrugs entgegentreten und welche darin beſtehen, daß ſich die weſent-
lichen Merkmale des ſtrafbaren Betruges nicht erſchöpfend angeben
laſſen, indem das hauptſächliche Merkmal, die vorſätzliche Täuſchung,
auf der einen Seite allerdings in eine unbedenklich ſtrafbare Verſchmizt-
heit und Liſt übergeht, auf der andern Seite aber ſich in civilrechtliche
Geſchäfte aller Art verliert, mit denen man nicht einmal immer civil-
rechtliche Folgen, vielweniger aber Strafen verbinden kann, ohne das
Weſen des täglichen Verkehrs zu verletzen. Indeſſen fand man es doch
bedenklich, den allgemeinen Begriff von Betrug aus den Strafvorſchrif-
ten wegzulaſſen, weil ſonſt bei Aufſtellung blos ſpezieller Betrugsſtrafen
nothwendig Lücken entſtehen würden.“


c) Entwurf von 1830. §. 395-401. — Entwurf von 1836. §. 608-15.
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[458/0468] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXI. Betrug. ihn verübte Vermögensverletzung für ſtrafbar erachtet werden. Die Rich- tigkeit dieſes Satzes ergebe ſich daraus, daß entgegengeſetztenfalls eine große Anzahl im gewöhnlichen Lebensverkehr vorkommender täuſchender Handlungen zum Verbrechen geſtempelt werden würden. Eine ſolche allgemeine Begriffsbeſtimmung greife in alle Vertragsverhältniſſe ein, jede redhibitoriſche Klage, jede actio quanti minoris müſſe auch Strafe nach ſich ziehen. Daß eine Rechtsverletzung vorhanden ſei, bedinge noch nicht die Strafe, ſondern nur Entſchädigung. Jede Strafe ſei ein Uebel, zu deſſen Anwendung der Staat erſt berechtigt werde, wenn eine Hand- lungsweiſe die Rechtsſicherheit angreife, und nicht durch andere Mittel abgewandt werden könne. Das Hintergehen habe nicht einmal immer civilrechtliche Folgen. Es bedürfe noch weniger überall des Strafrechts, ſondern es gebe andere Auswege zur Genugthuung und Verhütung: geſetzliche Vermuthungen und liberale Gewährung des Schadenerſatzes.“ „Demgemäß war vom Reviſor in Uebereinſtimmung mehrerer Mit- glieder der Reviſions-Kommiſſion vorgeſchlagen worden, keine generelle Strafbeſtimmung über den Betrug aufzunehmen, ſondern nur einzelne Arten des Betrugs, nämlich den Betrug durch Mißbrauch der Religion, durch Benutzung des Aberglaubens und durch Fälſchung, ſo wie den Betrug der Vormünder, der Bevollmächtigten, der Verſicherer und Ver- ſicherten, der Geſellſchaften und Miteigenthümer, der Privatbeamten und des Geſindes u. ſ. w. unter Strafe zu ſtellen. — Allein in beiden Ju- ſtizminiſterial-Entwürfen hat man ſich für die Aufnahme einer generellen Beſtimmung über das Verbrechen des Betruges entſchieden, c) weil man die Aufſtellung ſpezieller Vorſchriften nicht für ausreichend und erſchöpfend erachtet hat.“ „Bei der heutigen Berathung verkannte man die Schwierigkeiten nicht, welche der Aufſtellung einer allgemeinen Begriffsbeſtimmung des Betrugs entgegentreten und welche darin beſtehen, daß ſich die weſent- lichen Merkmale des ſtrafbaren Betruges nicht erſchöpfend angeben laſſen, indem das hauptſächliche Merkmal, die vorſätzliche Täuſchung, auf der einen Seite allerdings in eine unbedenklich ſtrafbare Verſchmizt- heit und Liſt übergeht, auf der andern Seite aber ſich in civilrechtliche Geſchäfte aller Art verliert, mit denen man nicht einmal immer civil- rechtliche Folgen, vielweniger aber Strafen verbinden kann, ohne das Weſen des täglichen Verkehrs zu verletzen. Indeſſen fand man es doch bedenklich, den allgemeinen Begriff von Betrug aus den Strafvorſchrif- ten wegzulaſſen, weil ſonſt bei Aufſtellung blos ſpezieller Betrugsſtrafen nothwendig Lücken entſtehen würden.“ c) Entwurf von 1830. §. 395-401. — Entwurf von 1836. §. 608-15.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/468>, abgerufen am 05.05.2024.