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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XXI. Betrug.

I. Zunächst entstand die Frage, ob der strafbare Betrug seinem
Gegenstande nach nur auf die Beschädigung des Vermögens zu be-
schränken sei, wie das Allg. Landrecht es thut, oder ob auch die Ver-
letzung persönlicher Rechte darunter zu befassen sei. Die Staatsraths-
Kommission, welche annahm, daß das gemeine Deutsche Kriminalrecht
den Betrug auch in der weiteren Bedeutung unter Strafe stelle, e) ent-
schied sich für diese letztere Ansicht, indem sie in Uebereinstimmung mit
dem Entwurf von 1836. davon ausging, daß der Verlust persönlicher
Rechte den Betrogenen in gleichem, wenn nicht höherem Grade verletze,
daß eine spezielle Erwähnung der einzelnen, hier denkbaren Fälle nicht
möglich sei und daß hiernach das Gesetz unvollständig erscheine, wenn
es nur den Betrug am Vermögen bestrafe. f) Auch der Staatsrath bil-
ligte diese Auffassung; Rechtsverletzungen, wie z. B. die Herbeiführung
einer ehelichen Verbindung durch arglistige Täuschungen über die Eigen-
schaften und Verhältnisse der Personen, dürften nicht straflos bleiben. g)
Später aber ging die Staatsraths-Kommission zu der entgegengesetzten
Ansicht über, und beschloß den Begriff des strafbaren Betrugs auf Ver-
mögensbeschädigungen zu beschränken. Die bisher aufgestellte Definition
sei so allgemein, daß man die mannichfachsten und verschiedenartigsten
Verbrechen, welche weder die bisherige Gesetzgebung, noch die öffentliche
Meinung unter Betrug subsumirt hätten, darunter begreifen könne. h)

II. Die Staatsraths-Kommission hatte einen strafbaren Betrug
schon angenommen, wenn nur die Absicht zu schaden vorliege, ohne daß
der Betrüger einen Vortheil von seiner Handlungsweise erwarte. Im
Staatsrathe wurde dagegen die Ansicht vertreten, daß zum Wesen des
Betrugs die gewinnsüchtige Absicht gehöre; wer einen Anderen bloß in
der Absicht, ihm zu schaden, in einen Irrthum versetze, könne sich zwar
einer strafbaren Handlung, namentlich des Verbrechens der Vermögens-
beschädigung schuldig machen, aber als Betrug sei dieselbe nicht zu ahn-
den. Der Staatsrath ging nun freilich auf diese Ansicht nicht ein, in-
dem er annahm, daß der Umstand, ob der Betrüger einen Vortheil für
sich beabsichtige, unerheblich sei und den Thatbestand des Verbrechens
nicht ändere; i) aber die Staatsraths-Kommission gab auch in dieser
Beziehung ihre frühere Ansicht auf, und erklärte die gewinnsüchtige Ab-
sicht für ein wesentliches Merkmal des strafbaren Betrugs. k)


e) Dieß ist aber doch zum Mindesten bestritten; vgl. Mittermaier zu Feuer-
bach's
Lehrbuch §. 410-15.
f) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 395.
g) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 7. Mai 1842.
h) Verhandlungen von 1846. S. 157-59.
i) a. a. O. Sitzung vom 4. und 7. Mai 1842.
k) Verhandlungen von 1846. a. a. O.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXI. Betrug.

I. Zunächſt entſtand die Frage, ob der ſtrafbare Betrug ſeinem
Gegenſtande nach nur auf die Beſchädigung des Vermögens zu be-
ſchränken ſei, wie das Allg. Landrecht es thut, oder ob auch die Ver-
letzung perſönlicher Rechte darunter zu befaſſen ſei. Die Staatsraths-
Kommiſſion, welche annahm, daß das gemeine Deutſche Kriminalrecht
den Betrug auch in der weiteren Bedeutung unter Strafe ſtelle, e) ent-
ſchied ſich für dieſe letztere Anſicht, indem ſie in Uebereinſtimmung mit
dem Entwurf von 1836. davon ausging, daß der Verluſt perſönlicher
Rechte den Betrogenen in gleichem, wenn nicht höherem Grade verletze,
daß eine ſpezielle Erwähnung der einzelnen, hier denkbaren Fälle nicht
möglich ſei und daß hiernach das Geſetz unvollſtändig erſcheine, wenn
es nur den Betrug am Vermögen beſtrafe. f) Auch der Staatsrath bil-
ligte dieſe Auffaſſung; Rechtsverletzungen, wie z. B. die Herbeiführung
einer ehelichen Verbindung durch argliſtige Täuſchungen über die Eigen-
ſchaften und Verhältniſſe der Perſonen, dürften nicht ſtraflos bleiben. g)
Später aber ging die Staatsraths-Kommiſſion zu der entgegengeſetzten
Anſicht über, und beſchloß den Begriff des ſtrafbaren Betrugs auf Ver-
mögensbeſchädigungen zu beſchränken. Die bisher aufgeſtellte Definition
ſei ſo allgemein, daß man die mannichfachſten und verſchiedenartigſten
Verbrechen, welche weder die bisherige Geſetzgebung, noch die öffentliche
Meinung unter Betrug ſubſumirt hätten, darunter begreifen könne. h)

II. Die Staatsraths-Kommiſſion hatte einen ſtrafbaren Betrug
ſchon angenommen, wenn nur die Abſicht zu ſchaden vorliege, ohne daß
der Betrüger einen Vortheil von ſeiner Handlungsweiſe erwarte. Im
Staatsrathe wurde dagegen die Anſicht vertreten, daß zum Weſen des
Betrugs die gewinnſüchtige Abſicht gehöre; wer einen Anderen bloß in
der Abſicht, ihm zu ſchaden, in einen Irrthum verſetze, könne ſich zwar
einer ſtrafbaren Handlung, namentlich des Verbrechens der Vermögens-
beſchädigung ſchuldig machen, aber als Betrug ſei dieſelbe nicht zu ahn-
den. Der Staatsrath ging nun freilich auf dieſe Anſicht nicht ein, in-
dem er annahm, daß der Umſtand, ob der Betrüger einen Vortheil für
ſich beabſichtige, unerheblich ſei und den Thatbeſtand des Verbrechens
nicht ändere; i) aber die Staatsraths-Kommiſſion gab auch in dieſer
Beziehung ihre frühere Anſicht auf, und erklärte die gewinnſüchtige Ab-
ſicht für ein weſentliches Merkmal des ſtrafbaren Betrugs. k)


e) Dieß iſt aber doch zum Mindeſten beſtritten; vgl. Mittermaier zu Feuer-
bach's
Lehrbuch §. 410-15.
f) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 395.
g) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 7. Mai 1842.
h) Verhandlungen von 1846. S. 157-59.
i) a. a. O. Sitzung vom 4. und 7. Mai 1842.
k) Verhandlungen von 1846. a. a. O.
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[460/0470] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXI. Betrug. I. Zunächſt entſtand die Frage, ob der ſtrafbare Betrug ſeinem Gegenſtande nach nur auf die Beſchädigung des Vermögens zu be- ſchränken ſei, wie das Allg. Landrecht es thut, oder ob auch die Ver- letzung perſönlicher Rechte darunter zu befaſſen ſei. Die Staatsraths- Kommiſſion, welche annahm, daß das gemeine Deutſche Kriminalrecht den Betrug auch in der weiteren Bedeutung unter Strafe ſtelle, e) ent- ſchied ſich für dieſe letztere Anſicht, indem ſie in Uebereinſtimmung mit dem Entwurf von 1836. davon ausging, daß der Verluſt perſönlicher Rechte den Betrogenen in gleichem, wenn nicht höherem Grade verletze, daß eine ſpezielle Erwähnung der einzelnen, hier denkbaren Fälle nicht möglich ſei und daß hiernach das Geſetz unvollſtändig erſcheine, wenn es nur den Betrug am Vermögen beſtrafe. f) Auch der Staatsrath bil- ligte dieſe Auffaſſung; Rechtsverletzungen, wie z. B. die Herbeiführung einer ehelichen Verbindung durch argliſtige Täuſchungen über die Eigen- ſchaften und Verhältniſſe der Perſonen, dürften nicht ſtraflos bleiben. g) Später aber ging die Staatsraths-Kommiſſion zu der entgegengeſetzten Anſicht über, und beſchloß den Begriff des ſtrafbaren Betrugs auf Ver- mögensbeſchädigungen zu beſchränken. Die bisher aufgeſtellte Definition ſei ſo allgemein, daß man die mannichfachſten und verſchiedenartigſten Verbrechen, welche weder die bisherige Geſetzgebung, noch die öffentliche Meinung unter Betrug ſubſumirt hätten, darunter begreifen könne. h) II. Die Staatsraths-Kommiſſion hatte einen ſtrafbaren Betrug ſchon angenommen, wenn nur die Abſicht zu ſchaden vorliege, ohne daß der Betrüger einen Vortheil von ſeiner Handlungsweiſe erwarte. Im Staatsrathe wurde dagegen die Anſicht vertreten, daß zum Weſen des Betrugs die gewinnſüchtige Abſicht gehöre; wer einen Anderen bloß in der Abſicht, ihm zu ſchaden, in einen Irrthum verſetze, könne ſich zwar einer ſtrafbaren Handlung, namentlich des Verbrechens der Vermögens- beſchädigung ſchuldig machen, aber als Betrug ſei dieſelbe nicht zu ahn- den. Der Staatsrath ging nun freilich auf dieſe Anſicht nicht ein, in- dem er annahm, daß der Umſtand, ob der Betrüger einen Vortheil für ſich beabſichtige, unerheblich ſei und den Thatbeſtand des Verbrechens nicht ändere; i) aber die Staatsraths-Kommiſſion gab auch in dieſer Beziehung ihre frühere Anſicht auf, und erklärte die gewinnſüchtige Ab- ſicht für ein weſentliches Merkmal des ſtrafbaren Betrugs. k) e) Dieß iſt aber doch zum Mindeſten beſtritten; vgl. Mittermaier zu Feuer- bach's Lehrbuch §. 410-15. f) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 395. g) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 7. Mai 1842. h) Verhandlungen von 1846. S. 157-59. i) a. a. O. Sitzung vom 4. und 7. Mai 1842. k) Verhandlungen von 1846. a. a. O.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/470>, abgerufen am 05.05.2024.