Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

§§. 204-209. Die Entführung.
an Minderjährigen verübt werden kann. Nur darin besteht ein Unter-
schied zwischen dieser Klassifizirung des Menschenraubes und der Ent-
führung, daß bei jenem das Vergehen ohne Rücksicht auf die Absicht
des Thäters bestraft wird, bei dieser aber der Zweck derselbe ist, Unzucht
oder Ehe, mag nun das Verbrechen oder das Vergehen vorliegen.
Der Begriff des in §. 206. normirten Vergehens ist daher weiter, als
der in §. 208. vorgesehene Fall.

I. Die Entführung einer Frauensperson geschieht durch List oder
Gewalt, um sie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen (§. 207.) Auch
hier liegt in der Thatsache der Entführung zu dem im Gesetz angege-
benen Zweck das vollendete Verbrechen; die Erreichung des Zwecks hat
nur für die Strafzumessung eine Bedeutung, falls nicht ein anderes
selbständiges Verbrechen, z. B. die Nothzucht hinzutritt. y) -- Voraus-
gesetzt wird aber immer, daß die That wider den Willen der Entführ-
ten geschah; denn hat sie eingewilligt, und war verheirathet, so liegt
ein Ehebruch vor, welcher durch die Entführung gesetzlich nicht qualifi-
zirt wird; war sie unverheirathet, so ist die Vorschrift des §. 208.
maaßgebend.

In Beziehung auf das Strafmaaß ist wiederholt der Antrag ge-
macht worden zu unterscheiden, ob der Zweck des Verbrechens Unzucht
oder Ehe war, und im letzteren Fall eine geringere Strafe eintreten zu
lassen. Allein mit Recht ist man hierauf nicht eingegangen, denn eine
erzwungene Ehe wird sich sogar unter Umständen als eine Entehrung
unter dem Schutz heiliger Formen darstellen. z) -- Ebenso wenig ist
das in der Karolina a) aufgestellte Erforderniß beibehalten worden, daß
die Frauensperson unverleumdet sein muß; es kommt hier nämlich, wie
bei der Nothzucht (§. 144.), nicht allein der Schutz weiblicher Ehre,
sondern noch mehr der der persönlichen Freiheit gegen Vergewaltigung
in Betracht. b)

II. Eine minderjährige unverehelichte Frauensperson ist mit ihrem
Willen entführt worden (§. 208.) Der Zusatz "jedoch ohne die Ein-

y) Motive zum ersten Entwurf. III. 2. S. 289. -- Berathungs-Pro-
tokolle der Staatsraths-Kommission. II
. S. 285.
z) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 286. -- Protokolle des
Staatsraths
, Sitzung vom 28. April 1841. -- Verhandlungen des verei-
nigten ständischen Ausschusses
. IV. S. 98-102. -- Bericht der Kom-
mission der zweiten Kammer zu
§. 190. 191. (§. 207. 208.)
a) P. G. O. Art. 118. Item so eyner jemandt sein eheweib oder eyn unver-
leumbte jungkfrawen wider des ehemanns oder des ehelichen vatters willen, eyner un-
ehrlichen weiß entpfüret, darumb mag der ehemann oder vatter, unangesehen ob die
ehefraw oder jungkfrawe iren willen darzu giebt, peinlich klagen, und soll der thetter,
nach satzung unser vorfahrn, und unser Keyserlichen recht darumb gestrafft -- -- werden.
b) Revision von 1845. II. S. 149.
26 *

§§. 204-209. Die Entführung.
an Minderjährigen verübt werden kann. Nur darin beſteht ein Unter-
ſchied zwiſchen dieſer Klaſſifizirung des Menſchenraubes und der Ent-
führung, daß bei jenem das Vergehen ohne Rückſicht auf die Abſicht
des Thäters beſtraft wird, bei dieſer aber der Zweck derſelbe iſt, Unzucht
oder Ehe, mag nun das Verbrechen oder das Vergehen vorliegen.
Der Begriff des in §. 206. normirten Vergehens iſt daher weiter, als
der in §. 208. vorgeſehene Fall.

I. Die Entführung einer Frauensperſon geſchieht durch Liſt oder
Gewalt, um ſie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen (§. 207.) Auch
hier liegt in der Thatſache der Entführung zu dem im Geſetz angege-
benen Zweck das vollendete Verbrechen; die Erreichung des Zwecks hat
nur für die Strafzumeſſung eine Bedeutung, falls nicht ein anderes
ſelbſtändiges Verbrechen, z. B. die Nothzucht hinzutritt. y) — Voraus-
geſetzt wird aber immer, daß die That wider den Willen der Entführ-
ten geſchah; denn hat ſie eingewilligt, und war verheirathet, ſo liegt
ein Ehebruch vor, welcher durch die Entführung geſetzlich nicht qualifi-
zirt wird; war ſie unverheirathet, ſo iſt die Vorſchrift des §. 208.
maaßgebend.

In Beziehung auf das Strafmaaß iſt wiederholt der Antrag ge-
macht worden zu unterſcheiden, ob der Zweck des Verbrechens Unzucht
oder Ehe war, und im letzteren Fall eine geringere Strafe eintreten zu
laſſen. Allein mit Recht iſt man hierauf nicht eingegangen, denn eine
erzwungene Ehe wird ſich ſogar unter Umſtänden als eine Entehrung
unter dem Schutz heiliger Formen darſtellen. z) — Ebenſo wenig iſt
das in der Karolina a) aufgeſtellte Erforderniß beibehalten worden, daß
die Frauensperſon unverleumdet ſein muß; es kommt hier nämlich, wie
bei der Nothzucht (§. 144.), nicht allein der Schutz weiblicher Ehre,
ſondern noch mehr der der perſönlichen Freiheit gegen Vergewaltigung
in Betracht. b)

II. Eine minderjährige unverehelichte Frauensperſon iſt mit ihrem
Willen entführt worden (§. 208.) Der Zuſatz „jedoch ohne die Ein-

y) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 289. — Berathungs-Pro-
tokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II
. S. 285.
z) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 286. — Protokolle des
Staatsraths
, Sitzung vom 28. April 1841. — Verhandlungen des verei-
nigten ſtändiſchen Ausſchuſſes
. IV. S. 98-102. — Bericht der Kom-
miſſion der zweiten Kammer zu
§. 190. 191. (§. 207. 208.)
a) P. G. O. Art. 118. Item ſo eyner jemandt ſein eheweib oder eyn unver-
leumbte jungkfrawen wider des ehemanns oder des ehelichen vatters willen, eyner un-
ehrlichen weiß entpfüret, darumb mag der ehemann oder vatter, unangeſehen ob die
ehefraw oder jungkfrawe iren willen darzu giebt, peinlich klagen, und ſoll der thetter,
nach ſatzung unſer vorfahrn, und unſer Keyſerlichen recht darumb geſtrafft — — werden.
b) Reviſion von 1845. II. S. 149.
26 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0405" n="395"/><fw place="top" type="header">§§. 204-209. Die Entführung.</fw><lb/>
an Minderjährigen          verübt werden kann. Nur darin be&#x017F;teht ein Unter-<lb/>
&#x017F;chied          zwi&#x017F;chen die&#x017F;er Kla&#x017F;&#x017F;ifizirung des          Men&#x017F;chenraubes und der Ent-<lb/>
führung, daß bei jenem das Vergehen ohne          Rück&#x017F;icht auf die Ab&#x017F;icht<lb/>
des Thäters be&#x017F;traft wird,          bei die&#x017F;er aber der Zweck der&#x017F;elbe i&#x017F;t, Unzucht<lb/>
oder          Ehe, mag nun das Verbrechen oder das Vergehen vorliegen.<lb/>
Der Begriff des in §. 206.          normirten Vergehens i&#x017F;t daher weiter, als<lb/>
der in §. 208.          vorge&#x017F;ehene Fall.</p><lb/>
                <p>I. Die Entführung einer Frauensper&#x017F;on ge&#x017F;chieht durch          Li&#x017F;t oder<lb/>
Gewalt, um &#x017F;ie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen (§.          207.) Auch<lb/>
hier liegt in der That&#x017F;ache der Entführung zu dem im          Ge&#x017F;etz angege-<lb/>
benen Zweck das vollendete Verbrechen; die Erreichung des          Zwecks hat<lb/>
nur für die Strafzume&#x017F;&#x017F;ung eine Bedeutung, falls nicht          ein anderes<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändiges Verbrechen, z. B. die Nothzucht          hinzutritt. <note place="foot" n="y)"><hi rendition="#g">Motive zum er&#x017F;ten            Entwurf</hi>. III. 2. S. 289. &#x2014; <hi rendition="#g">Berathungs-Pro-<lb/>
tokolle der Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion. II</hi>. S. 285.</note>          &#x2014; Voraus-<lb/>
ge&#x017F;etzt wird aber immer, daß die That wider den Willen          der Entführ-<lb/>
ten ge&#x017F;chah; denn hat &#x017F;ie eingewilligt, und war          verheirathet, &#x017F;o liegt<lb/>
ein Ehebruch vor, welcher durch die Entführung          ge&#x017F;etzlich nicht qualifi-<lb/>
zirt wird; war &#x017F;ie unverheirathet,          &#x017F;o i&#x017F;t die Vor&#x017F;chrift des §. 208.<lb/>
maaßgebend.</p><lb/>
                <p>In Beziehung auf das Strafmaaß i&#x017F;t wiederholt der Antrag ge-<lb/>
macht worden          zu unter&#x017F;cheiden, ob der Zweck des Verbrechens Unzucht<lb/>
oder Ehe war, und im          letzteren Fall eine geringere Strafe eintreten zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Allein          mit Recht i&#x017F;t man hierauf nicht eingegangen, denn eine<lb/>
erzwungene Ehe wird          &#x017F;ich &#x017F;ogar unter Um&#x017F;tänden als eine Entehrung<lb/>
unter          dem Schutz heiliger Formen dar&#x017F;tellen. <note place="foot" n="z)"><hi rendition="#g">Berathungs-Protokolle</hi> a. a. O. S. 286. &#x2014; <hi rendition="#g">Protokolle des<lb/>
Staatsraths</hi>, Sitzung vom 28. April 1841.           &#x2014; <hi rendition="#g">Verhandlungen des verei-<lb/>
nigten            &#x017F;tändi&#x017F;chen Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es</hi>. IV.           S. 98-102. &#x2014; <hi rendition="#g">Bericht der Kom-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;ion der zweiten Kammer zu</hi> §. 190. 191. (§. 207.           208.)</note> &#x2014; Eben&#x017F;o wenig i&#x017F;t<lb/>
das in der Karolina           <note place="foot" n="a)">P. G. O. Art. 118. Item &#x017F;o eyner jemandt           &#x017F;ein eheweib oder eyn unver-<lb/>
leumbte jungkfrawen wider des ehemanns oder           des ehelichen vatters willen, eyner un-<lb/>
ehrlichen weiß entpfüret, darumb mag der           ehemann oder vatter, unange&#x017F;ehen ob die<lb/>
ehefraw oder jungkfrawe iren           willen darzu giebt, peinlich klagen, und &#x017F;oll der thetter,<lb/>
nach           &#x017F;atzung un&#x017F;er vorfahrn, und un&#x017F;er Key&#x017F;erlichen           recht darumb ge&#x017F;trafft &#x2014; &#x2014; werden.</note>          aufge&#x017F;tellte Erforderniß beibehalten worden, daß<lb/>
die          Frauensper&#x017F;on unverleumdet &#x017F;ein muß; es kommt hier nämlich,          wie<lb/>
bei der Nothzucht (§. 144.), nicht allein der Schutz weiblicher          Ehre,<lb/>
&#x017F;ondern noch mehr der der per&#x017F;önlichen Freiheit gegen          Vergewaltigung<lb/>
in Betracht. <note place="foot" n="b)"><hi rendition="#g">Revi&#x017F;ion von</hi> 1845. II. S. 149.</note>         </p><lb/>
                <p>II. Eine minderjährige unverehelichte Frauensper&#x017F;on i&#x017F;t mit          ihrem<lb/>
Willen entführt worden (§. 208.) Der Zu&#x017F;atz &#x201E;jedoch ohne          die Ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">26 *</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0405] §§. 204-209. Die Entführung. an Minderjährigen verübt werden kann. Nur darin beſteht ein Unter- ſchied zwiſchen dieſer Klaſſifizirung des Menſchenraubes und der Ent- führung, daß bei jenem das Vergehen ohne Rückſicht auf die Abſicht des Thäters beſtraft wird, bei dieſer aber der Zweck derſelbe iſt, Unzucht oder Ehe, mag nun das Verbrechen oder das Vergehen vorliegen. Der Begriff des in §. 206. normirten Vergehens iſt daher weiter, als der in §. 208. vorgeſehene Fall. I. Die Entführung einer Frauensperſon geſchieht durch Liſt oder Gewalt, um ſie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen (§. 207.) Auch hier liegt in der Thatſache der Entführung zu dem im Geſetz angege- benen Zweck das vollendete Verbrechen; die Erreichung des Zwecks hat nur für die Strafzumeſſung eine Bedeutung, falls nicht ein anderes ſelbſtändiges Verbrechen, z. B. die Nothzucht hinzutritt. y) — Voraus- geſetzt wird aber immer, daß die That wider den Willen der Entführ- ten geſchah; denn hat ſie eingewilligt, und war verheirathet, ſo liegt ein Ehebruch vor, welcher durch die Entführung geſetzlich nicht qualifi- zirt wird; war ſie unverheirathet, ſo iſt die Vorſchrift des §. 208. maaßgebend. In Beziehung auf das Strafmaaß iſt wiederholt der Antrag ge- macht worden zu unterſcheiden, ob der Zweck des Verbrechens Unzucht oder Ehe war, und im letzteren Fall eine geringere Strafe eintreten zu laſſen. Allein mit Recht iſt man hierauf nicht eingegangen, denn eine erzwungene Ehe wird ſich ſogar unter Umſtänden als eine Entehrung unter dem Schutz heiliger Formen darſtellen. z) — Ebenſo wenig iſt das in der Karolina a) aufgeſtellte Erforderniß beibehalten worden, daß die Frauensperſon unverleumdet ſein muß; es kommt hier nämlich, wie bei der Nothzucht (§. 144.), nicht allein der Schutz weiblicher Ehre, ſondern noch mehr der der perſönlichen Freiheit gegen Vergewaltigung in Betracht. b) II. Eine minderjährige unverehelichte Frauensperſon iſt mit ihrem Willen entführt worden (§. 208.) Der Zuſatz „jedoch ohne die Ein- y) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 289. — Berathungs-Pro- tokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 285. z) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 286. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 28. April 1841. — Verhandlungen des verei- nigten ſtändiſchen Ausſchuſſes. IV. S. 98-102. — Bericht der Kom- miſſion der zweiten Kammer zu §. 190. 191. (§. 207. 208.) a) P. G. O. Art. 118. Item ſo eyner jemandt ſein eheweib oder eyn unver- leumbte jungkfrawen wider des ehemanns oder des ehelichen vatters willen, eyner un- ehrlichen weiß entpfüret, darumb mag der ehemann oder vatter, unangeſehen ob die ehefraw oder jungkfrawe iren willen darzu giebt, peinlich klagen, und ſoll der thetter, nach ſatzung unſer vorfahrn, und unſer Keyſerlichen recht darumb geſtrafft — — werden. b) Reviſion von 1845. II. S. 149. 26 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/405
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/405>, abgerufen am 04.05.2024.