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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XVII. Verbr. u. Verg. wider d. Freih.
willigung ihrer Eltern oder ihres Vormundes", erscheint fast als über-
flüssig; denn wenn auch diese Einwilligung vorliegt, so läßt sich nicht
recht absehen, wozu es noch einer Entführung bedurfte.

a. Nur die Entführung Minderjähriger wird in diesem Fall be-
straft; es ist diese Altersbestimmung, welche freilich in den verschiedenen
Theilen der Monarchie verschieden ist, beibehalten worden, weil hier
eben die Verletzung der Rechte der Eltern oder des Vormundes zu ahn-
den ist. c) -- Wenn die mit ihrem Willen Entführte großjährig, ob-
gleich noch in der Gewalt ihrer Eltern ist, so fehlt es an dem gesetz-
lichen Thatbestande des Vergehens.
b. Unter Eltern sind hier alle diejenigen zu verstehen, welche elter-
liche Rechte ausüben, also auch Adoptiveltern, wenn sie in einer solchen
Lage sind. d)
c. List oder Gewalt als die bei der Entführung angewandten
Mittel gehören in diesem Fall nicht zu dem gesetzlichen Thatbestande;
bei der Zustimmung der Frauensperson wird es deren auch selten zur
Verübung des Vergehens bedürfen. Die Entführte wird aber nicht be-
straft; nach der Fassung der Gesetzesvorschrift ist nicht anzunehmen, daß
sie als Theilnehmerin angesehen werden soll; ihre Handlung stellt sich
vielmehr als die Verletzung einer sittlichen Familienpflicht dar. e)

III. Die Entführung wird sowohl in den Fällen des §. 207. wie
in denen des §. 208. von Amtswegen bestraft; die entgegenstehende
Vorschrift der früheren Entwürfe ist in dem von 1850. aufgegeben wor-
den. "Es ist dies", sagen die Motive, "eine Konsequenz des im vor-
liegenden Entwurfe überhaupt befolgten Prinzips, die Bestrafung so
schwerer Verbrechen nicht von dem Willen einer einzelnen Privatperson
abhängig zu machen." Aber das würde doch nur für die Fälle des
§. 207. zutreffend sein. -- Dagegen ist die dem Code penal (Art. 357.)
entlehnte Bestimmung beibehalten worden, daß, wenn der Entführer die
Entführte geheirathet hat, nur auf den Antrag derjenigen Personen ver-
fahren werden kann, welche auf die Ungültigkeitserklärung der Ehe an-
zutragen befugt sind; auch darf derselbe nicht eher verurtheilt werden,
als bis die Ehe für ungültig erklärt worden ist. Diese Präjudizial-
frage muß also vorher durch die Civilgerichte erledigt sein, ehe die
Staatsanwaltschaft mit Erfolg einschreiten kann.

f)

c) Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 126.
d) Verhandlungen des vereinigten ständ. Ausschusses. IV. S. 103.
bis 105. -- Motive von 1850. zu §. 191.
e) Code penal. Art. 356. -- Das Sächsische Criminalgesetzb. Art. 150.
bestraft auch die Entführte.
f) Vgl. überhaupt wegen des Prozessualischen Chauveau et Helie Fau-
stin
, Theorie du Code penal. chap.
LIV. III. p. 126-28. und wegen der

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XVII. Verbr. u. Verg. wider d. Freih.
willigung ihrer Eltern oder ihres Vormundes“, erſcheint faſt als über-
flüſſig; denn wenn auch dieſe Einwilligung vorliegt, ſo läßt ſich nicht
recht abſehen, wozu es noch einer Entführung bedurfte.

a. Nur die Entführung Minderjähriger wird in dieſem Fall be-
ſtraft; es iſt dieſe Altersbeſtimmung, welche freilich in den verſchiedenen
Theilen der Monarchie verſchieden iſt, beibehalten worden, weil hier
eben die Verletzung der Rechte der Eltern oder des Vormundes zu ahn-
den iſt. c) — Wenn die mit ihrem Willen Entführte großjährig, ob-
gleich noch in der Gewalt ihrer Eltern iſt, ſo fehlt es an dem geſetz-
lichen Thatbeſtande des Vergehens.
b. Unter Eltern ſind hier alle diejenigen zu verſtehen, welche elter-
liche Rechte ausüben, alſo auch Adoptiveltern, wenn ſie in einer ſolchen
Lage ſind. d)
c. Liſt oder Gewalt als die bei der Entführung angewandten
Mittel gehören in dieſem Fall nicht zu dem geſetzlichen Thatbeſtande;
bei der Zuſtimmung der Frauensperſon wird es deren auch ſelten zur
Verübung des Vergehens bedürfen. Die Entführte wird aber nicht be-
ſtraft; nach der Faſſung der Geſetzesvorſchrift iſt nicht anzunehmen, daß
ſie als Theilnehmerin angeſehen werden ſoll; ihre Handlung ſtellt ſich
vielmehr als die Verletzung einer ſittlichen Familienpflicht dar. e)

III. Die Entführung wird ſowohl in den Fällen des §. 207. wie
in denen des §. 208. von Amtswegen beſtraft; die entgegenſtehende
Vorſchrift der früheren Entwürfe iſt in dem von 1850. aufgegeben wor-
den. „Es iſt dies“, ſagen die Motive, „eine Konſequenz des im vor-
liegenden Entwurfe überhaupt befolgten Prinzips, die Beſtrafung ſo
ſchwerer Verbrechen nicht von dem Willen einer einzelnen Privatperſon
abhängig zu machen.“ Aber das würde doch nur für die Fälle des
§. 207. zutreffend ſein. — Dagegen iſt die dem Code pénal (Art. 357.)
entlehnte Beſtimmung beibehalten worden, daß, wenn der Entführer die
Entführte geheirathet hat, nur auf den Antrag derjenigen Perſonen ver-
fahren werden kann, welche auf die Ungültigkeitserklärung der Ehe an-
zutragen befugt ſind; auch darf derſelbe nicht eher verurtheilt werden,
als bis die Ehe für ungültig erklärt worden iſt. Dieſe Präjudizial-
frage muß alſo vorher durch die Civilgerichte erledigt ſein, ehe die
Staatsanwaltſchaft mit Erfolg einſchreiten kann.

f)

c) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 126.
d) Verhandlungen des vereinigten ſtänd. Ausſchuſſes. IV. S. 103.
bis 105. — Motive von 1850. zu §. 191.
e) Code pénal. Art. 356. — Das Sächſiſche Criminalgeſetzb. Art. 150.
beſtraft auch die Entführte.
f) Vgl. überhaupt wegen des Prozeſſualiſchen Chauveau et Hélie Fau-
stin
, Théorie du Code pénal. chap.
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[396/0406] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XVII. Verbr. u. Verg. wider d. Freih. willigung ihrer Eltern oder ihres Vormundes“, erſcheint faſt als über- flüſſig; denn wenn auch dieſe Einwilligung vorliegt, ſo läßt ſich nicht recht abſehen, wozu es noch einer Entführung bedurfte. a. Nur die Entführung Minderjähriger wird in dieſem Fall be- ſtraft; es iſt dieſe Altersbeſtimmung, welche freilich in den verſchiedenen Theilen der Monarchie verſchieden iſt, beibehalten worden, weil hier eben die Verletzung der Rechte der Eltern oder des Vormundes zu ahn- den iſt. c) — Wenn die mit ihrem Willen Entführte großjährig, ob- gleich noch in der Gewalt ihrer Eltern iſt, ſo fehlt es an dem geſetz- lichen Thatbeſtande des Vergehens. b. Unter Eltern ſind hier alle diejenigen zu verſtehen, welche elter- liche Rechte ausüben, alſo auch Adoptiveltern, wenn ſie in einer ſolchen Lage ſind. d) c. Liſt oder Gewalt als die bei der Entführung angewandten Mittel gehören in dieſem Fall nicht zu dem geſetzlichen Thatbeſtande; bei der Zuſtimmung der Frauensperſon wird es deren auch ſelten zur Verübung des Vergehens bedürfen. Die Entführte wird aber nicht be- ſtraft; nach der Faſſung der Geſetzesvorſchrift iſt nicht anzunehmen, daß ſie als Theilnehmerin angeſehen werden ſoll; ihre Handlung ſtellt ſich vielmehr als die Verletzung einer ſittlichen Familienpflicht dar. e) III. Die Entführung wird ſowohl in den Fällen des §. 207. wie in denen des §. 208. von Amtswegen beſtraft; die entgegenſtehende Vorſchrift der früheren Entwürfe iſt in dem von 1850. aufgegeben wor- den. „Es iſt dies“, ſagen die Motive, „eine Konſequenz des im vor- liegenden Entwurfe überhaupt befolgten Prinzips, die Beſtrafung ſo ſchwerer Verbrechen nicht von dem Willen einer einzelnen Privatperſon abhängig zu machen.“ Aber das würde doch nur für die Fälle des §. 207. zutreffend ſein. — Dagegen iſt die dem Code pénal (Art. 357.) entlehnte Beſtimmung beibehalten worden, daß, wenn der Entführer die Entführte geheirathet hat, nur auf den Antrag derjenigen Perſonen ver- fahren werden kann, welche auf die Ungültigkeitserklärung der Ehe an- zutragen befugt ſind; auch darf derſelbe nicht eher verurtheilt werden, als bis die Ehe für ungültig erklärt worden iſt. Dieſe Präjudizial- frage muß alſo vorher durch die Civilgerichte erledigt ſein, ehe die Staatsanwaltſchaft mit Erfolg einſchreiten kann. f) c) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 126. d) Verhandlungen des vereinigten ſtänd. Ausſchuſſes. IV. S. 103. bis 105. — Motive von 1850. zu §. 191. e) Code pénal. Art. 356. — Das Sächſiſche Criminalgeſetzb. Art. 150. beſtraft auch die Entführte. f) Vgl. überhaupt wegen des Prozeſſualiſchen Chauveau et Hélie Fau- stin, Théorie du Code pénal. chap. LIV. III. p. 126-28. und wegen der

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/406>, abgerufen am 05.05.2024.