Zwecks nicht zum Thatbestande gehört, so sind die Strafmaaße zu hoch, wie Temme und Abegg richtig bemerken." -- Nachdem mit Bezug- nahme auf andere Gesetzgebungen eine Ermäßigung der Strafsätze vor- geschlagen worden, heißt es weiter:
"Die besonderen Bestimmungen in Nr. 2. des §. 356., daß die Strafe auch eintrete, wenn das Verbrechen von Seiltänzern, Kunstrei- tern, Marionettenspielern oder Gauklern verübt werde, ist entbehrlich und unzweckmäßig, weil es überhaupt nur auf den Zweck des an dem Kinde verübten Raubes, nicht auf den Stand und Beruf des Verbre- chers ankommt, und weil es für die richtige Auffassung und Anwendung sicherer ist, allgemein von unsittlichen Zwecken und Beschäftigungen zu reden, als eine Aufzählung derselben zu unternehmen, welche doch nie- mals vollständig sein kann."
"Die Rheinischen Stände haben übrigens mit vollem Recht die Ansicht aufgestellt, daß die Einwilligung der Eltern und Vormünder für die ersten beiden Klassen des Menschenraubes ganz unerheblich ist, und daß die Eltern und Vormünder nicht nur nicht milder als die Räuber zu strafen sind, sondern sogar moralisch noch strafbarer erscheinen. Die Vorschrift des §. 357., welcher, im Fall der Einwilligung der Eltern und Vormünder, beide Theile milder und gleichmäßig bestraft, scheint, wie auch Temme richtig bemerkt, nicht gerechtfertigt; die Eltern und Vormünder sind zu jener Ueberlassung der Kinder für unsittliche Zwecke nicht nur nicht berechtigt, sondern sie vergehen sich gleich den Räubern, wo nicht schwerer. Die erste Hälfte des §. 357. erscheint daher als unbegründet und entbehrlich. Auch für die zweite Hälfte ist kein Be- dürfniß vorhanden; denn wenn die bei einzelnen Seiltänzern u. s. w. wahrzunehmenden Zwecke und Beschäftigungen unsittlich wären, so könnte eine obrigkeitliche Genehmigung gar nicht als denkbar vorausgesetzt wer- den." Ueberhaupt sei die zweite Hälfte des §. 357. nur durch die Aufzählung der einzelnen Gewerbe in §. 356. veranlaßt worden, und falle mit dieser Aufzählung weg.
Auf Grund dieser Bemerkungen ist später bei der Feststellung der hierher gehörigen Vorschriften verfahren, und namentlich die Sonderung der einzelnen Verbrechen und Verbrechen durchgeführt worden. Im Ein- zelnen sind freilich noch manche Aenderungen beliebt worden.
I. Der Thatbestand des Verbrechens wird seit dem Entwurfe von
Zwecks nicht zum Thatbeſtande gehört, ſo ſind die Strafmaaße zu hoch, wie Temme und Abegg richtig bemerken.“ — Nachdem mit Bezug- nahme auf andere Geſetzgebungen eine Ermäßigung der Strafſätze vor- geſchlagen worden, heißt es weiter:
„Die beſonderen Beſtimmungen in Nr. 2. des §. 356., daß die Strafe auch eintrete, wenn das Verbrechen von Seiltänzern, Kunſtrei- tern, Marionettenſpielern oder Gauklern verübt werde, iſt entbehrlich und unzweckmäßig, weil es überhaupt nur auf den Zweck des an dem Kinde verübten Raubes, nicht auf den Stand und Beruf des Verbre- chers ankommt, und weil es für die richtige Auffaſſung und Anwendung ſicherer iſt, allgemein von unſittlichen Zwecken und Beſchäftigungen zu reden, als eine Aufzählung derſelben zu unternehmen, welche doch nie- mals vollſtändig ſein kann.“
„Die Rheiniſchen Stände haben übrigens mit vollem Recht die Anſicht aufgeſtellt, daß die Einwilligung der Eltern und Vormünder für die erſten beiden Klaſſen des Menſchenraubes ganz unerheblich iſt, und daß die Eltern und Vormünder nicht nur nicht milder als die Räuber zu ſtrafen ſind, ſondern ſogar moraliſch noch ſtrafbarer erſcheinen. Die Vorſchrift des §. 357., welcher, im Fall der Einwilligung der Eltern und Vormünder, beide Theile milder und gleichmäßig beſtraft, ſcheint, wie auch Temme richtig bemerkt, nicht gerechtfertigt; die Eltern und Vormünder ſind zu jener Ueberlaſſung der Kinder für unſittliche Zwecke nicht nur nicht berechtigt, ſondern ſie vergehen ſich gleich den Räubern, wo nicht ſchwerer. Die erſte Hälfte des §. 357. erſcheint daher als unbegründet und entbehrlich. Auch für die zweite Hälfte iſt kein Be- dürfniß vorhanden; denn wenn die bei einzelnen Seiltänzern u. ſ. w. wahrzunehmenden Zwecke und Beſchäftigungen unſittlich wären, ſo könnte eine obrigkeitliche Genehmigung gar nicht als denkbar vorausgeſetzt wer- den.“ Ueberhaupt ſei die zweite Hälfte des §. 357. nur durch die Aufzählung der einzelnen Gewerbe in §. 356. veranlaßt worden, und falle mit dieſer Aufzählung weg.
Auf Grund dieſer Bemerkungen iſt ſpäter bei der Feſtſtellung der hierher gehörigen Vorſchriften verfahren, und namentlich die Sonderung der einzelnen Verbrechen und Verbrechen durchgeführt worden. Im Ein- zelnen ſind freilich noch manche Aenderungen beliebt worden.
I. Der Thatbeſtand des Verbrechens wird ſeit dem Entwurfe von
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§§. 204-209. Die Entführung.
Zwecks nicht zum Thatbeſtande gehört, ſo ſind die Strafmaaße zu hoch,
wie Temme und Abegg richtig bemerken.“ — Nachdem mit Bezug-
nahme auf andere Geſetzgebungen eine Ermäßigung der Strafſätze vor-
geſchlagen worden, heißt es weiter:
„Die beſonderen Beſtimmungen in Nr. 2. des §. 356., daß die
Strafe auch eintrete, wenn das Verbrechen von Seiltänzern, Kunſtrei-
tern, Marionettenſpielern oder Gauklern verübt werde, iſt entbehrlich
und unzweckmäßig, weil es überhaupt nur auf den Zweck des an dem
Kinde verübten Raubes, nicht auf den Stand und Beruf des Verbre-
chers ankommt, und weil es für die richtige Auffaſſung und Anwendung
ſicherer iſt, allgemein von unſittlichen Zwecken und Beſchäftigungen zu
reden, als eine Aufzählung derſelben zu unternehmen, welche doch nie-
mals vollſtändig ſein kann.“
„Die Rheiniſchen Stände haben übrigens mit vollem Recht die
Anſicht aufgeſtellt, daß die Einwilligung der Eltern und Vormünder für
die erſten beiden Klaſſen des Menſchenraubes ganz unerheblich iſt, und
daß die Eltern und Vormünder nicht nur nicht milder als die Räuber
zu ſtrafen ſind, ſondern ſogar moraliſch noch ſtrafbarer erſcheinen. Die
Vorſchrift des §. 357., welcher, im Fall der Einwilligung der Eltern
und Vormünder, beide Theile milder und gleichmäßig beſtraft, ſcheint,
wie auch Temme richtig bemerkt, nicht gerechtfertigt; die Eltern und
Vormünder ſind zu jener Ueberlaſſung der Kinder für unſittliche Zwecke
nicht nur nicht berechtigt, ſondern ſie vergehen ſich gleich den Räubern,
wo nicht ſchwerer. Die erſte Hälfte des §. 357. erſcheint daher als
unbegründet und entbehrlich. Auch für die zweite Hälfte iſt kein Be-
dürfniß vorhanden; denn wenn die bei einzelnen Seiltänzern u. ſ. w.
wahrzunehmenden Zwecke und Beſchäftigungen unſittlich wären, ſo könnte
eine obrigkeitliche Genehmigung gar nicht als denkbar vorausgeſetzt wer-
den.“ Ueberhaupt ſei die zweite Hälfte des §. 357. nur durch die
Aufzählung der einzelnen Gewerbe in §. 356. veranlaßt worden, und
falle mit dieſer Aufzählung weg.
Auf Grund dieſer Bemerkungen iſt ſpäter bei der Feſtſtellung der
hierher gehörigen Vorſchriften verfahren, und namentlich die Sonderung
der einzelnen Verbrechen und Verbrechen durchgeführt worden. Im Ein-
zelnen ſind freilich noch manche Aenderungen beliebt worden.
I. Der Thatbeſtand des Verbrechens wird ſeit dem Entwurfe von
v)
v) — Heſſ. Strafgeſetzb. Art. 299. 300. — Bad. Strafgeſetzb. §. 267-74.
Dagegen ſtimmen mit dem Preußiſchen Strafgeſetzbuch überein: Sächſ. Criminal-
geſetzb. Art. 145. — Württemberg. Strafgeſetzbuch. Art. 274. — Thü-
ringſch. Strafgeſetzb. Art. 140-43. — Braunſchweig. Criminalgeſetz-
buch. §. 169.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/401>, abgerufen am 23.07.2024.
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