Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XIII. Verletzungen der Ehre.
Rechtes, und nicht bloß in Vertretung der Kinder oder der Ehefrau
gerügt werden kann. r) Der Entwurf von 1843., welcher den Sinn
dieser Bestimmung nicht deutlich ausgedrückt hatte, enthielt aber noch
eine andere, dem Allgemeinen Landrecht s) nachgebildete Vorschrift, indem
er verfügte:

§. 282. "Bei Verleumdungen oder Ehrenkränkungen ganzer Stände,
Korporationen, Gesellschaften oder Familien ist jedes Mitglied derselben,
und bei verleumderischen oder ehrenkränkenden Aeußerungen über Ver-
storbene sind deren Ehegatte, Verwandte in auf- und absteigender Linie
(§. 74.), Geschwister und Erben zu dem Strafantrage berechtigt."

"Ist die gegen einen Stand, gegen eine Korporation, Gesellschaft
oder Familie verübte Verleumdung oder Ehrenkränkung auf den Antrag
eines der zu dem betheiligten Stande u. s. w. gehörigen Mitglieder
bestraft worden, so findet eine weitere Rüge von Seiten der übrigen
Mitglieder nicht statt."

Gegen eine solche Vorschrift in dieser Fassung erklärte sich aber
mit vielen Monenten das Ministerium für die Gesetz-Revision.

"Zuvörderst kann es nicht zweifelhaft sein, daß jede Ehrverletzung
eine bestimmte physische oder juristische Individualität des Beleidigten
voraussetzt, denn es können zwar politische Gesichtspunkte die Bestra-
fung der Nichtachtung und Herabwürdigung politischer Organismen
rechtfertigen, so im Staate als in der Kirche und den untergeordneten
Verfassungs-Elementen, allein diese Herabwürdigung solcher ideeller Ge-
genstände kann nie eine eigentliche Ehrverletzung sein. Diese tritt nur
ein, wenn eine bestimmte Persönlichkeit verletzt wird, sie sei physisch oder
juristisch, und hierbei versteht es sich wieder von selbst, daß die Belei-
digung einer juristischen Person nur durch den Vorstand, nicht von
jedem Einzelnen gerügt werden kann, es sei denn, daß dieser eine indi-
viduelle Ehrenkränkung für sich zu rügen hat."

"Hieraus folgt aber nothwendig, daß es zwar eine Ehrverletzung
gegen Korporationen und andere juristische Personen, nicht aber gegen
ganze Stände, Familien oder Gesellschaften giebt. Geschlossene, als
juristische Personen konstituirte Stände giebt es nicht, als solche wür-
den sie einer besonderen Aufzählung nicht bedürfen, im Uebrigen aber
ist der Begriff eines Standes zu allgemein und unbestimmt, als daß
demselben als solchem eine Persönlichkeit zugeschrieben werden könnte.
Man denke nur an den Stand der Gelehrten, Künstler, Kaufleute,

r) Revision von 1845. II. S. 100.
s) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 564. "Beleidigungen, welche einer ganzen
Gemeine, Korporation oder Familie zugefügt worden, können von den einzelnen Mit-
gliedern, so weit auch sie die Injurie trifft, gerügt werden."

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XIII. Verletzungen der Ehre.
Rechtes, und nicht bloß in Vertretung der Kinder oder der Ehefrau
gerügt werden kann. r) Der Entwurf von 1843., welcher den Sinn
dieſer Beſtimmung nicht deutlich ausgedrückt hatte, enthielt aber noch
eine andere, dem Allgemeinen Landrecht s) nachgebildete Vorſchrift, indem
er verfügte:

§. 282. „Bei Verleumdungen oder Ehrenkränkungen ganzer Stände,
Korporationen, Geſellſchaften oder Familien iſt jedes Mitglied derſelben,
und bei verleumderiſchen oder ehrenkränkenden Aeußerungen über Ver-
ſtorbene ſind deren Ehegatte, Verwandte in auf- und abſteigender Linie
(§. 74.), Geſchwiſter und Erben zu dem Strafantrage berechtigt.“

„Iſt die gegen einen Stand, gegen eine Korporation, Geſellſchaft
oder Familie verübte Verleumdung oder Ehrenkränkung auf den Antrag
eines der zu dem betheiligten Stande u. ſ. w. gehörigen Mitglieder
beſtraft worden, ſo findet eine weitere Rüge von Seiten der übrigen
Mitglieder nicht ſtatt.“

Gegen eine ſolche Vorſchrift in dieſer Faſſung erklärte ſich aber
mit vielen Monenten das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion.

„Zuvörderſt kann es nicht zweifelhaft ſein, daß jede Ehrverletzung
eine beſtimmte phyſiſche oder juriſtiſche Individualität des Beleidigten
vorausſetzt, denn es können zwar politiſche Geſichtspunkte die Beſtra-
fung der Nichtachtung und Herabwürdigung politiſcher Organismen
rechtfertigen, ſo im Staate als in der Kirche und den untergeordneten
Verfaſſungs-Elementen, allein dieſe Herabwürdigung ſolcher ideeller Ge-
genſtände kann nie eine eigentliche Ehrverletzung ſein. Dieſe tritt nur
ein, wenn eine beſtimmte Perſönlichkeit verletzt wird, ſie ſei phyſiſch oder
juriſtiſch, und hierbei verſteht es ſich wieder von ſelbſt, daß die Belei-
digung einer juriſtiſchen Perſon nur durch den Vorſtand, nicht von
jedem Einzelnen gerügt werden kann, es ſei denn, daß dieſer eine indi-
viduelle Ehrenkränkung für ſich zu rügen hat.“

„Hieraus folgt aber nothwendig, daß es zwar eine Ehrverletzung
gegen Korporationen und andere juriſtiſche Perſonen, nicht aber gegen
ganze Stände, Familien oder Geſellſchaften giebt. Geſchloſſene, als
juriſtiſche Perſonen konſtituirte Stände giebt es nicht, als ſolche wür-
den ſie einer beſonderen Aufzählung nicht bedürfen, im Uebrigen aber
iſt der Begriff eines Standes zu allgemein und unbeſtimmt, als daß
demſelben als ſolchem eine Perſönlichkeit zugeſchrieben werden könnte.
Man denke nur an den Stand der Gelehrten, Künſtler, Kaufleute,

r) Reviſion von 1845. II. S. 100.
s) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 564. „Beleidigungen, welche einer ganzen
Gemeine, Korporation oder Familie zugefügt worden, können von den einzelnen Mit-
gliedern, ſo weit auch ſie die Injurie trifft, gerügt werden.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0344" n="334"/><fw place="top" type="header">Th. II. V. d. einzelnen Verbr. &#xA75B;c. Tit. XIII.           Verletzungen der Ehre.</fw><lb/>
Rechtes, und nicht bloß in Vertretung der Kinder oder der          Ehefrau<lb/>
gerügt werden kann. <note place="foot" n="r)"><hi rendition="#g">Revi&#x017F;ion von</hi> 1845. II. S. 100.</note> Der Entwurf von 1843., welcher den          Sinn<lb/>
die&#x017F;er Be&#x017F;timmung nicht deutlich ausgedrückt hatte, enthielt          aber noch<lb/>
eine andere, dem Allgemeinen Landrecht <note place="foot" n="s)">A. L. R. Th.           II. Tit. 20. §. 564. &#x201E;Beleidigungen, welche einer ganzen<lb/>
Gemeine,           Korporation oder Familie zugefügt worden, können von den einzelnen Mit-<lb/>
gliedern,           &#x017F;o weit auch &#x017F;ie die Injurie trifft, gerügt           werden.&#x201C;</note> nachgebildete Vor&#x017F;chrift, indem<lb/>
er verfügte:</p><lb/>
                <p>§. 282. &#x201E;Bei Verleumdungen oder Ehrenkränkungen ganzer          Stände,<lb/>
Korporationen, Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften oder Familien          i&#x017F;t jedes Mitglied der&#x017F;elben,<lb/>
und bei verleumderi&#x017F;chen          oder ehrenkränkenden Aeußerungen über Ver-<lb/>
&#x017F;torbene &#x017F;ind deren          Ehegatte, Verwandte in auf- und ab&#x017F;teigender Linie<lb/>
(§. 74.),          Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter und Erben zu dem Strafantrage berechtigt.&#x201C;</p><lb/>
                <p>&#x201E;I&#x017F;t die gegen einen Stand, gegen eine Korporation,          Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
oder Familie verübte Verleumdung oder Ehrenkränkung          auf den Antrag<lb/>
eines der zu dem betheiligten Stande u. &#x017F;. w. gehörigen          Mitglieder<lb/>
be&#x017F;traft worden, &#x017F;o findet eine weitere Rüge von          Seiten der übrigen<lb/>
Mitglieder nicht &#x017F;tatt.&#x201C;</p><lb/>
                <p>Gegen eine &#x017F;olche Vor&#x017F;chrift in die&#x017F;er          Fa&#x017F;&#x017F;ung erklärte &#x017F;ich aber<lb/>
mit vielen Monenten das          Mini&#x017F;terium für die Ge&#x017F;etz-Revi&#x017F;ion.</p><lb/>
                <p>&#x201E;Zuvörder&#x017F;t kann es nicht zweifelhaft &#x017F;ein, daß jede          Ehrverletzung<lb/>
eine be&#x017F;timmte phy&#x017F;i&#x017F;che oder          juri&#x017F;ti&#x017F;che Individualität des          Beleidigten<lb/>
voraus&#x017F;etzt, denn es können zwar politi&#x017F;che          Ge&#x017F;ichtspunkte die Be&#x017F;tra-<lb/>
fung der Nichtachtung und          Herabwürdigung politi&#x017F;cher Organismen<lb/>
rechtfertigen, &#x017F;o im Staate          als in der Kirche und den untergeordneten<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-Elementen,          allein die&#x017F;e Herabwürdigung &#x017F;olcher ideeller          Ge-<lb/>
gen&#x017F;tände kann nie eine eigentliche Ehrverletzung &#x017F;ein.          Die&#x017F;e tritt nur<lb/>
ein, wenn eine be&#x017F;timmte          Per&#x017F;önlichkeit verletzt wird, &#x017F;ie &#x017F;ei          phy&#x017F;i&#x017F;ch oder<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;ch, und hierbei          ver&#x017F;teht es &#x017F;ich wieder von &#x017F;elb&#x017F;t, daß die          Belei-<lb/>
digung einer juri&#x017F;ti&#x017F;chen Per&#x017F;on nur durch den          Vor&#x017F;tand, nicht von<lb/>
jedem Einzelnen gerügt werden kann, es &#x017F;ei          denn, daß die&#x017F;er eine indi-<lb/>
viduelle Ehrenkränkung für &#x017F;ich zu          rügen hat.&#x201C;</p><lb/>
                <p>&#x201E;Hieraus folgt aber nothwendig, daß es zwar eine Ehrverletzung<lb/>
gegen          Korporationen und andere juri&#x017F;ti&#x017F;che Per&#x017F;onen, nicht aber          gegen<lb/>
ganze Stände, Familien oder Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften giebt.          Ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene, als<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;che          Per&#x017F;onen kon&#x017F;tituirte <hi rendition="#g">Stände</hi> giebt es nicht,          als &#x017F;olche wür-<lb/>
den &#x017F;ie einer be&#x017F;onderen Aufzählung          nicht bedürfen, im Uebrigen aber<lb/>
i&#x017F;t der Begriff eines Standes zu allgemein          und unbe&#x017F;timmt, als daß<lb/>
dem&#x017F;elben als &#x017F;olchem eine          Per&#x017F;önlichkeit zuge&#x017F;chrieben werden könnte.<lb/>
Man denke nur an den          Stand der Gelehrten, Kün&#x017F;tler, Kaufleute,<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0344] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XIII. Verletzungen der Ehre. Rechtes, und nicht bloß in Vertretung der Kinder oder der Ehefrau gerügt werden kann. r) Der Entwurf von 1843., welcher den Sinn dieſer Beſtimmung nicht deutlich ausgedrückt hatte, enthielt aber noch eine andere, dem Allgemeinen Landrecht s) nachgebildete Vorſchrift, indem er verfügte: §. 282. „Bei Verleumdungen oder Ehrenkränkungen ganzer Stände, Korporationen, Geſellſchaften oder Familien iſt jedes Mitglied derſelben, und bei verleumderiſchen oder ehrenkränkenden Aeußerungen über Ver- ſtorbene ſind deren Ehegatte, Verwandte in auf- und abſteigender Linie (§. 74.), Geſchwiſter und Erben zu dem Strafantrage berechtigt.“ „Iſt die gegen einen Stand, gegen eine Korporation, Geſellſchaft oder Familie verübte Verleumdung oder Ehrenkränkung auf den Antrag eines der zu dem betheiligten Stande u. ſ. w. gehörigen Mitglieder beſtraft worden, ſo findet eine weitere Rüge von Seiten der übrigen Mitglieder nicht ſtatt.“ Gegen eine ſolche Vorſchrift in dieſer Faſſung erklärte ſich aber mit vielen Monenten das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion. „Zuvörderſt kann es nicht zweifelhaft ſein, daß jede Ehrverletzung eine beſtimmte phyſiſche oder juriſtiſche Individualität des Beleidigten vorausſetzt, denn es können zwar politiſche Geſichtspunkte die Beſtra- fung der Nichtachtung und Herabwürdigung politiſcher Organismen rechtfertigen, ſo im Staate als in der Kirche und den untergeordneten Verfaſſungs-Elementen, allein dieſe Herabwürdigung ſolcher ideeller Ge- genſtände kann nie eine eigentliche Ehrverletzung ſein. Dieſe tritt nur ein, wenn eine beſtimmte Perſönlichkeit verletzt wird, ſie ſei phyſiſch oder juriſtiſch, und hierbei verſteht es ſich wieder von ſelbſt, daß die Belei- digung einer juriſtiſchen Perſon nur durch den Vorſtand, nicht von jedem Einzelnen gerügt werden kann, es ſei denn, daß dieſer eine indi- viduelle Ehrenkränkung für ſich zu rügen hat.“ „Hieraus folgt aber nothwendig, daß es zwar eine Ehrverletzung gegen Korporationen und andere juriſtiſche Perſonen, nicht aber gegen ganze Stände, Familien oder Geſellſchaften giebt. Geſchloſſene, als juriſtiſche Perſonen konſtituirte Stände giebt es nicht, als ſolche wür- den ſie einer beſonderen Aufzählung nicht bedürfen, im Uebrigen aber iſt der Begriff eines Standes zu allgemein und unbeſtimmt, als daß demſelben als ſolchem eine Perſönlichkeit zugeſchrieben werden könnte. Man denke nur an den Stand der Gelehrten, Künſtler, Kaufleute, r) Reviſion von 1845. II. S. 100. s) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 564. „Beleidigungen, welche einer ganzen Gemeine, Korporation oder Familie zugefügt worden, können von den einzelnen Mit- gliedern, ſo weit auch ſie die Injurie trifft, gerügt werden.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/344
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/344>, abgerufen am 27.04.2024.