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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 152-155. Beleidigung.
deren Art des strafrechtlichen Dolus handle, welcher dem Thäter speziell
nachgewiesen werden müsse, oder wohl gar, außer bestimmten Fällen
der gesetzlichen Präsumtion, von der Erklärung des Thäters über seine
Absicht bedingt sei; so muß man sich doch auch hüten, das Wesen des
Dolus ausschließlich in der vorsätzlichen Verübung der Handlung zu
finden, ohne Rücksicht auf den Sinn derselben und die Absicht, welche
damit verbunden war. Die Motive zum Entwurf von 1850. äußern
sich hierüber in folgender Weise:

"Bei allen diesen Beleidigungen wird zum Thatbestande nicht, wie
in der älteren Jurisprudenz, den älteren Gesetzgebungen und namentlich
dem Allgemeinen Landrecht, der spezielle animus injuriandi gefordert.
Der Entwurf verlangt vielmehr, wie bei jedem anderen Verbrechen, so
auch bei dem Vergehen der Ehrverletzung nur zweierlei: in subjektiver
Beziehung den Vorsatz im Allgemeinen, das Bewußtsein der That; in
objektiver Beziehung die Verletzung des Rechts eines Anderen, des Rechts
auf Ehre. Sind diese beiden Momente vorhanden, so liegt das Ver-
gehen der Ehrverletzung vor."

Jener spezielle animus injuriandi ist nun in der Deutschen Juris-
prudenz doch schon durch A. D. Weber wissenschaftlich beseitigt wor-
den; y) aber das Wesen des Dolus in der Verschiedenheit der verbre-
cherischen Erscheinungen ist nicht erschöpft, wenn man ihn bloß als den
Vorsatz bei der Verübung der äußeren Handlung auffaßt. Gerade bei
den Delikten, welche ihrer Natur nach nicht aus Versehen begangen
werden können, kommt es vor Allem auch auf die Absicht an, in
welcher die Handlung vorgenommen worden ist, z) und daß die Belei-
digungen zu diesen Delikten gehören, wird von keiner Seite bezweifelt.
Ob aber die Absicht zu beleidigen in dem gegebenen Fall anzunehmen
ist, das hat der erkennende Richter nach den vorliegenden Umständen zu
ermessen, und die Erklärung des Angeschuldigten ist nur Eins der in
Betracht kommenden Momente, dessen Bedeutung wieder nach der Art
der gebrauchten Ausdrücke, den Verhältnissen der Betheiligten u. s. w.
zu bestimmen ist; s. Gesetz vom 11. März 1850. §. 6. (G.-S. S. 175.).
Daß der Gebrauch gewisser, formell beleidigender Worte, Schimpf-
reden u. s. w. auf den animus injuriandi mit Sicherheit schließen läßt,
beweist nichts gegen die Richtigkeit dieser Auffassung im Allgemeinen.

IV. Gegen diese Auffassung läßt sich auch nicht der Inhalt des
§. 154. anführen. In demselben sind nämlich gewisse Fälle hervor-
gehoben, für welche die allgemeinen Rücksichten, welche jeder Einzelne

y) Ueber Injurien und Schmähschriften. I. S. 44. ff.
z) S. oben. S. 45.

§§. 152-155. Beleidigung.
deren Art des ſtrafrechtlichen Dolus handle, welcher dem Thäter ſpeziell
nachgewieſen werden müſſe, oder wohl gar, außer beſtimmten Fällen
der geſetzlichen Präſumtion, von der Erklärung des Thäters über ſeine
Abſicht bedingt ſei; ſo muß man ſich doch auch hüten, das Weſen des
Dolus ausſchließlich in der vorſätzlichen Verübung der Handlung zu
finden, ohne Rückſicht auf den Sinn derſelben und die Abſicht, welche
damit verbunden war. Die Motive zum Entwurf von 1850. äußern
ſich hierüber in folgender Weiſe:

„Bei allen dieſen Beleidigungen wird zum Thatbeſtande nicht, wie
in der älteren Jurisprudenz, den älteren Geſetzgebungen und namentlich
dem Allgemeinen Landrecht, der ſpezielle animus injuriandi gefordert.
Der Entwurf verlangt vielmehr, wie bei jedem anderen Verbrechen, ſo
auch bei dem Vergehen der Ehrverletzung nur zweierlei: in ſubjektiver
Beziehung den Vorſatz im Allgemeinen, das Bewußtſein der That; in
objektiver Beziehung die Verletzung des Rechts eines Anderen, des Rechts
auf Ehre. Sind dieſe beiden Momente vorhanden, ſo liegt das Ver-
gehen der Ehrverletzung vor.“

Jener ſpezielle animus injuriandi iſt nun in der Deutſchen Juris-
prudenz doch ſchon durch A. D. Weber wiſſenſchaftlich beſeitigt wor-
den; y) aber das Weſen des Dolus in der Verſchiedenheit der verbre-
cheriſchen Erſcheinungen iſt nicht erſchöpft, wenn man ihn bloß als den
Vorſatz bei der Verübung der äußeren Handlung auffaßt. Gerade bei
den Delikten, welche ihrer Natur nach nicht aus Verſehen begangen
werden können, kommt es vor Allem auch auf die Abſicht an, in
welcher die Handlung vorgenommen worden iſt, z) und daß die Belei-
digungen zu dieſen Delikten gehören, wird von keiner Seite bezweifelt.
Ob aber die Abſicht zu beleidigen in dem gegebenen Fall anzunehmen
iſt, das hat der erkennende Richter nach den vorliegenden Umſtänden zu
ermeſſen, und die Erklärung des Angeſchuldigten iſt nur Eins der in
Betracht kommenden Momente, deſſen Bedeutung wieder nach der Art
der gebrauchten Ausdrücke, den Verhältniſſen der Betheiligten u. ſ. w.
zu beſtimmen iſt; ſ. Geſetz vom 11. März 1850. §. 6. (G.-S. S. 175.).
Daß der Gebrauch gewiſſer, formell beleidigender Worte, Schimpf-
reden u. ſ. w. auf den animus injuriandi mit Sicherheit ſchließen läßt,
beweiſt nichts gegen die Richtigkeit dieſer Auffaſſung im Allgemeinen.

IV. Gegen dieſe Auffaſſung läßt ſich auch nicht der Inhalt des
§. 154. anführen. In demſelben ſind nämlich gewiſſe Fälle hervor-
gehoben, für welche die allgemeinen Rückſichten, welche jeder Einzelne

y) Ueber Injurien und Schmähſchriften. I. S. 44. ff.
z) S. oben. S. 45.
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[325/0335] §§. 152-155. Beleidigung. deren Art des ſtrafrechtlichen Dolus handle, welcher dem Thäter ſpeziell nachgewieſen werden müſſe, oder wohl gar, außer beſtimmten Fällen der geſetzlichen Präſumtion, von der Erklärung des Thäters über ſeine Abſicht bedingt ſei; ſo muß man ſich doch auch hüten, das Weſen des Dolus ausſchließlich in der vorſätzlichen Verübung der Handlung zu finden, ohne Rückſicht auf den Sinn derſelben und die Abſicht, welche damit verbunden war. Die Motive zum Entwurf von 1850. äußern ſich hierüber in folgender Weiſe: „Bei allen dieſen Beleidigungen wird zum Thatbeſtande nicht, wie in der älteren Jurisprudenz, den älteren Geſetzgebungen und namentlich dem Allgemeinen Landrecht, der ſpezielle animus injuriandi gefordert. Der Entwurf verlangt vielmehr, wie bei jedem anderen Verbrechen, ſo auch bei dem Vergehen der Ehrverletzung nur zweierlei: in ſubjektiver Beziehung den Vorſatz im Allgemeinen, das Bewußtſein der That; in objektiver Beziehung die Verletzung des Rechts eines Anderen, des Rechts auf Ehre. Sind dieſe beiden Momente vorhanden, ſo liegt das Ver- gehen der Ehrverletzung vor.“ Jener ſpezielle animus injuriandi iſt nun in der Deutſchen Juris- prudenz doch ſchon durch A. D. Weber wiſſenſchaftlich beſeitigt wor- den; y) aber das Weſen des Dolus in der Verſchiedenheit der verbre- cheriſchen Erſcheinungen iſt nicht erſchöpft, wenn man ihn bloß als den Vorſatz bei der Verübung der äußeren Handlung auffaßt. Gerade bei den Delikten, welche ihrer Natur nach nicht aus Verſehen begangen werden können, kommt es vor Allem auch auf die Abſicht an, in welcher die Handlung vorgenommen worden iſt, z) und daß die Belei- digungen zu dieſen Delikten gehören, wird von keiner Seite bezweifelt. Ob aber die Abſicht zu beleidigen in dem gegebenen Fall anzunehmen iſt, das hat der erkennende Richter nach den vorliegenden Umſtänden zu ermeſſen, und die Erklärung des Angeſchuldigten iſt nur Eins der in Betracht kommenden Momente, deſſen Bedeutung wieder nach der Art der gebrauchten Ausdrücke, den Verhältniſſen der Betheiligten u. ſ. w. zu beſtimmen iſt; ſ. Geſetz vom 11. März 1850. §. 6. (G.-S. S. 175.). Daß der Gebrauch gewiſſer, formell beleidigender Worte, Schimpf- reden u. ſ. w. auf den animus injuriandi mit Sicherheit ſchließen läßt, beweiſt nichts gegen die Richtigkeit dieſer Auffaſſung im Allgemeinen. IV. Gegen dieſe Auffaſſung läßt ſich auch nicht der Inhalt des §. 154. anführen. In demſelben ſind nämlich gewiſſe Fälle hervor- gehoben, für welche die allgemeinen Rückſichten, welche jeder Einzelne y) Ueber Injurien und Schmähſchriften. I. S. 44. ff. z) S. oben. S. 45.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/335>, abgerufen am 27.04.2024.