Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hier herauf? Wäre mir doch eben bald eine in die Haare gefahren.

Lieschen erschrack, das Kind hatte doch wohl gehorcht. Sie ging in die Küche, ihren Löffel in einen Topf zu stecken, damit er nicht neu aussehen sollte; wie sie die Hand öffnete, ihn zu betrachten, merkte sie erst, daß sie außer ihm noch eine schön geschnitzte buchsbaumene Nadel darin hielt, wie die Mädchen dieser Gegend sie statt Kammes zu tragen pflegen, die nestförmig gelegten Flechten über dem Scheitel zusammenzuhalten. Auf der linken Seite der Nadel standen die beiden Namen Fritz und Lieschen eingeschnitzt. Lieschen lächelte, küßte die Nadel und verbarg sie in ihrem Brusttuch.

Am andern Morgen kam Mariechen in die Küche, wie der Kaffee gekocht wurde, und trieb sich um Lieschen herum. Ei, was da für ein schöner neuer Löffel hängt! bemerkte sie. Lieschen wollte antworten: der ist ja alt, schämte sich aber der Unwahrheit und schwieg. Als Mariechen den Kaffee in Gesellschaft der Familie aus ihrem Schälchen schlürfte, sagte sie: Wir haben auch einen neuen Löffel, Mutter; Fritz hat Lieschen für den verbrannten wieder einen gebracht!

Fritz? fragte die Mutter und sah Lieschen streng an. Was haben wir mit dem zu schaffen? Lieschen wurde roth.

Höre, Mädchen, sagte der Vater, wenn dir's ein-

hier herauf? Wäre mir doch eben bald eine in die Haare gefahren.

Lieschen erschrack, das Kind hatte doch wohl gehorcht. Sie ging in die Küche, ihren Löffel in einen Topf zu stecken, damit er nicht neu aussehen sollte; wie sie die Hand öffnete, ihn zu betrachten, merkte sie erst, daß sie außer ihm noch eine schön geschnitzte buchsbaumene Nadel darin hielt, wie die Mädchen dieser Gegend sie statt Kammes zu tragen pflegen, die nestförmig gelegten Flechten über dem Scheitel zusammenzuhalten. Auf der linken Seite der Nadel standen die beiden Namen Fritz und Lieschen eingeschnitzt. Lieschen lächelte, küßte die Nadel und verbarg sie in ihrem Brusttuch.

Am andern Morgen kam Mariechen in die Küche, wie der Kaffee gekocht wurde, und trieb sich um Lieschen herum. Ei, was da für ein schöner neuer Löffel hängt! bemerkte sie. Lieschen wollte antworten: der ist ja alt, schämte sich aber der Unwahrheit und schwieg. Als Mariechen den Kaffee in Gesellschaft der Familie aus ihrem Schälchen schlürfte, sagte sie: Wir haben auch einen neuen Löffel, Mutter; Fritz hat Lieschen für den verbrannten wieder einen gebracht!

Fritz? fragte die Mutter und sah Lieschen streng an. Was haben wir mit dem zu schaffen? Lieschen wurde roth.

Höre, Mädchen, sagte der Vater, wenn dir's ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025"/>
hier                herauf? Wäre mir doch eben bald eine in die Haare gefahren.</p><lb/>
        <p>Lieschen erschrack, das Kind hatte doch wohl gehorcht. Sie ging in die Küche, ihren                Löffel in einen Topf zu stecken, damit er nicht neu aussehen sollte; wie sie die Hand                öffnete, ihn zu betrachten, merkte sie erst, daß sie außer ihm noch eine schön                geschnitzte buchsbaumene Nadel darin hielt, wie die Mädchen dieser Gegend sie statt                Kammes zu tragen pflegen, die nestförmig gelegten Flechten über dem Scheitel                zusammenzuhalten. Auf der linken Seite der Nadel standen die beiden Namen Fritz und                Lieschen eingeschnitzt. Lieschen lächelte, küßte die Nadel und verbarg sie in ihrem                Brusttuch.</p><lb/>
        <p>Am andern Morgen kam Mariechen in die Küche, wie der Kaffee gekocht wurde, und trieb                sich um Lieschen herum. Ei, was da für ein schöner neuer Löffel hängt! bemerkte sie.                Lieschen wollte antworten: der ist ja alt, schämte sich aber der Unwahrheit und                schwieg. Als Mariechen den Kaffee in Gesellschaft der Familie aus ihrem Schälchen                schlürfte, sagte sie: Wir haben auch einen neuen Löffel, Mutter; Fritz hat Lieschen                für den verbrannten wieder einen gebracht!</p><lb/>
        <p>Fritz? fragte die Mutter und sah Lieschen streng an. Was haben wir mit dem zu                schaffen? Lieschen wurde roth.</p><lb/>
        <p>Höre, Mädchen, sagte der Vater, wenn dir's ein-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] hier herauf? Wäre mir doch eben bald eine in die Haare gefahren. Lieschen erschrack, das Kind hatte doch wohl gehorcht. Sie ging in die Küche, ihren Löffel in einen Topf zu stecken, damit er nicht neu aussehen sollte; wie sie die Hand öffnete, ihn zu betrachten, merkte sie erst, daß sie außer ihm noch eine schön geschnitzte buchsbaumene Nadel darin hielt, wie die Mädchen dieser Gegend sie statt Kammes zu tragen pflegen, die nestförmig gelegten Flechten über dem Scheitel zusammenzuhalten. Auf der linken Seite der Nadel standen die beiden Namen Fritz und Lieschen eingeschnitzt. Lieschen lächelte, küßte die Nadel und verbarg sie in ihrem Brusttuch. Am andern Morgen kam Mariechen in die Küche, wie der Kaffee gekocht wurde, und trieb sich um Lieschen herum. Ei, was da für ein schöner neuer Löffel hängt! bemerkte sie. Lieschen wollte antworten: der ist ja alt, schämte sich aber der Unwahrheit und schwieg. Als Mariechen den Kaffee in Gesellschaft der Familie aus ihrem Schälchen schlürfte, sagte sie: Wir haben auch einen neuen Löffel, Mutter; Fritz hat Lieschen für den verbrannten wieder einen gebracht! Fritz? fragte die Mutter und sah Lieschen streng an. Was haben wir mit dem zu schaffen? Lieschen wurde roth. Höre, Mädchen, sagte der Vater, wenn dir's ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-10T13:46:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction. (2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-10T13:46:34Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/25
Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/25>, abgerufen am 23.11.2024.