Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

und in Furcht wegen Schande,
sondern es incommodirte mich dieser unvermu-
thete Zufall so unmäßig, daß ich mit dem Capitel
über Hals über Kopff eilete, die wichtigsten
Dinge nur flüchtig, und obenhin berührte, so daß
ich in drey viertel Stunden schon damit fertig
war, und also den gantzen Brey verschüttete, oder
das gantze Capitel mehr verderbte, als erklärte.
Jederman wolte wissen, was mir zugestoßen
wäre; ich sagte aber niemanden das geringste
davon, zwang mich auch nach der Predigt zu hal-
ten, so viel ich kunte, und stund unsägliche
Angst bey dem Seegensprechen aus, in der gäntz-
lichen Meynung, es würde mir vor dem Altar
noch begegnen, was ich auf der Cantzel gefürchtet
hatte. Denn wäre ich, so bald ich von der Can-
tzel kam, auf den Abtritt gangen, so würde ieder-
man haben errathen können, was mich oben auf
der Cantzel, und unter der Predigt geplaget hätte.

Nun ein behertzter Prediger würde sich aus
einem solchen seltsamen Zufalle nichts gemacht
haben, aber bey mir armen furchtsamen Thiere,
der ich dazumal ohnedem in lauter Nacht und
Finsterniß, ohne Trost und Empfindung der
Gnade GOttes hingieng, war es ein Grund zu
erschrecklichen Gemüths-Plagen, so darauf fol-
geten. Gegen Abend überfiel mich ungewöhn-
liche Angst wegen des zukünfftigen, und wie
es seyn würde, wenn ich wieder würde predigen

müssen.
R r

und in Furcht wegen Schande,
ſondern es incommodirte mich dieſer unvermu-
thete Zufall ſo unmaͤßig, daß ich mit dem Capitel
uͤber Hals uͤber Kopff eilete, die wichtigſten
Dinge nur fluͤchtig, und obenhin beruͤhrte, ſo daß
ich in drey viertel Stunden ſchon damit fertig
war, und alſo den gantzen Brey verſchuͤttete, oder
das gantze Capitel mehr verderbte, als erklaͤrte.
Jederman wolte wiſſen, was mir zugeſtoßen
waͤre; ich ſagte aber niemanden das geringſte
davon, zwang mich auch nach der Predigt zu hal-
ten, ſo viel ich kunte, und ſtund unſaͤgliche
Angſt bey dem Seegenſprechen aus, in der gaͤntz-
lichen Meynung, es wuͤrde mir vor dem Altar
noch begegnen, was ich auf der Cantzel gefuͤrchtet
hatte. Denn waͤre ich, ſo bald ich von der Can-
tzel kam, auf den Abtritt gangen, ſo wuͤrde ieder-
man haben errathen koͤnnen, was mich oben auf
der Cantzel, und unter der Predigt geplaget haͤtte.

Nun ein behertzter Prediger wuͤrde ſich aus
einem ſolchen ſeltſamen Zufalle nichts gemacht
haben, aber bey mir armen furchtſamen Thiere,
der ich dazumal ohnedem in lauter Nacht und
Finſterniß, ohne Troſt und Empfindung der
Gnade GOttes hingieng, war es ein Grund zu
erſchrecklichen Gemuͤths-Plagen, ſo darauf fol-
geten. Gegen Abend uͤberfiel mich ungewoͤhn-
liche Angſt wegen des zukuͤnfftigen, und wie
es ſeyn wuͤrde, wenn ich wieder wuͤrde predigen

muͤſſen.
R r
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0671" n="625"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und in Furcht wegen Schande,</hi></fw><lb/>
&#x017F;ondern es <hi rendition="#aq">incommodi</hi>rte mich die&#x017F;er unvermu-<lb/>
thete Zufall &#x017F;o unma&#x0364;ßig, daß ich mit dem Capitel<lb/>
u&#x0364;ber Hals u&#x0364;ber Kopff eilete, die wichtig&#x017F;ten<lb/>
Dinge nur flu&#x0364;chtig, und obenhin beru&#x0364;hrte, &#x017F;o daß<lb/>
ich in drey viertel Stunden &#x017F;chon damit fertig<lb/>
war, und al&#x017F;o den gantzen Brey ver&#x017F;chu&#x0364;ttete, oder<lb/>
das gantze Capitel mehr verderbte, als erkla&#x0364;rte.<lb/>
Jederman wolte wi&#x017F;&#x017F;en, was mir zuge&#x017F;toßen<lb/>
wa&#x0364;re; ich &#x017F;agte aber niemanden das gering&#x017F;te<lb/>
davon, zwang mich auch nach der Predigt zu hal-<lb/>
ten, &#x017F;o viel ich kunte, und &#x017F;tund un&#x017F;a&#x0364;gliche<lb/>
Ang&#x017F;t bey dem Seegen&#x017F;prechen aus, in der ga&#x0364;ntz-<lb/>
lichen Meynung, es wu&#x0364;rde mir vor dem Altar<lb/>
noch begegnen, was ich auf der Cantzel gefu&#x0364;rchtet<lb/>
hatte. Denn wa&#x0364;re ich, &#x017F;o bald ich von der Can-<lb/>
tzel kam, auf den Abtritt gangen, &#x017F;o wu&#x0364;rde ieder-<lb/>
man haben errathen ko&#x0364;nnen, was mich oben auf<lb/>
der Cantzel, und unter der Predigt geplaget ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Nun ein behertzter Prediger wu&#x0364;rde &#x017F;ich aus<lb/>
einem &#x017F;olchen &#x017F;elt&#x017F;amen Zufalle nichts gemacht<lb/>
haben, aber bey mir armen furcht&#x017F;amen Thiere,<lb/>
der ich dazumal ohnedem in lauter Nacht und<lb/>
Fin&#x017F;terniß, ohne Tro&#x017F;t und Empfindung der<lb/>
Gnade GOttes hingieng, war es ein Grund zu<lb/>
er&#x017F;chrecklichen Gemu&#x0364;ths-Plagen, &#x017F;o darauf fol-<lb/>
geten. Gegen Abend u&#x0364;berfiel mich ungewo&#x0364;hn-<lb/>
liche Ang&#x017F;t wegen des <hi rendition="#fr">zuku&#x0364;nfftigen,</hi> und wie<lb/>
es &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn ich wieder wu&#x0364;rde predigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R r</fw><fw place="bottom" type="catch">mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[625/0671] und in Furcht wegen Schande, ſondern es incommodirte mich dieſer unvermu- thete Zufall ſo unmaͤßig, daß ich mit dem Capitel uͤber Hals uͤber Kopff eilete, die wichtigſten Dinge nur fluͤchtig, und obenhin beruͤhrte, ſo daß ich in drey viertel Stunden ſchon damit fertig war, und alſo den gantzen Brey verſchuͤttete, oder das gantze Capitel mehr verderbte, als erklaͤrte. Jederman wolte wiſſen, was mir zugeſtoßen waͤre; ich ſagte aber niemanden das geringſte davon, zwang mich auch nach der Predigt zu hal- ten, ſo viel ich kunte, und ſtund unſaͤgliche Angſt bey dem Seegenſprechen aus, in der gaͤntz- lichen Meynung, es wuͤrde mir vor dem Altar noch begegnen, was ich auf der Cantzel gefuͤrchtet hatte. Denn waͤre ich, ſo bald ich von der Can- tzel kam, auf den Abtritt gangen, ſo wuͤrde ieder- man haben errathen koͤnnen, was mich oben auf der Cantzel, und unter der Predigt geplaget haͤtte. Nun ein behertzter Prediger wuͤrde ſich aus einem ſolchen ſeltſamen Zufalle nichts gemacht haben, aber bey mir armen furchtſamen Thiere, der ich dazumal ohnedem in lauter Nacht und Finſterniß, ohne Troſt und Empfindung der Gnade GOttes hingieng, war es ein Grund zu erſchrecklichen Gemuͤths-Plagen, ſo darauf fol- geten. Gegen Abend uͤberfiel mich ungewoͤhn- liche Angſt wegen des zukuͤnfftigen, und wie es ſeyn wuͤrde, wenn ich wieder wuͤrde predigen muͤſſen. R r

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/671
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/671>, abgerufen am 11.06.2024.