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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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wegen künfftiger Zufälle,
müssen. Jch dachte, was dießmahl noch nicht
geschehen, könte wohl ein andermahl geschehen,
und wie mir es mit dem Urin gegangen, so könte
es leicht auch einst gehen, wenn mich die Noth
ankäme, das gantze Opus naturae zu verrichten;
wie ich auch denn weder Durchfall, noch
Schnupffen, noch Heischerkeit mich iemahls
vom Predigen bisher hatte abhalten laßen. Jch
sann nach, und stellte mir lebendig vor, was
das mir vor eine Schande seyn würde, daferne
mir auf der Cantzel dasjenige wiederführe, dem
ich diesesmahl noch mit Noth und Kummer ent-
gangen. Diß stürmte in meinem Gemüthe,
daß mir brühheiß im Kopffe wurde. Wolte ich
mich in der Verleugnung üben, und Ehre und
Schande vor nichts halten, und alles GOtte
anheim stellen, es möchte mir gehen, wie es
wolte; so wolte das hitzige, verbrannte, und
melancholische Geblüte nichts davon annehmen.
Und in solcher furchtsamen Einbildung wurde
ich noch mehr gestärcket, da ich in folgenden Ta-
gen, so offt ich unter die Leute gieng, vom neuen
mit der Begierde, Urin zu lassen, geplaget wurde,
und solchen kaum erhalten kunte, wenn gleich
kaum etliche Tropffen in der Blase vorhanden
waren. Jch gieng zu einer Leiche, und ich war
mit derselben kaum bis zum Paulino kommen, so
muste ich Ausreiß geben, an statt, daß ich bis vor

das

wegen kuͤnfftiger Zufaͤlle,
muͤſſen. Jch dachte, was dießmahl noch nicht
geſchehen, koͤnte wohl ein andermahl geſchehen,
und wie mir es mit dem Urin gegangen, ſo koͤnte
es leicht auch einſt gehen, wenn mich die Noth
ankaͤme, das gantze Opus naturæ zu verrichten;
wie ich auch denn weder Durchfall, noch
Schnupffen, noch Heiſcherkeit mich iemahls
vom Predigen bisher hatte abhalten laßen. Jch
ſann nach, und ſtellte mir lebendig vor, was
das mir vor eine Schande ſeyn wuͤrde, daferne
mir auf der Cantzel dasjenige wiederfuͤhre, dem
ich dieſesmahl noch mit Noth und Kummer ent-
gangen. Diß ſtuͤrmte in meinem Gemuͤthe,
daß mir bruͤhheiß im Kopffe wurde. Wolte ich
mich in der Verleugnung uͤben, und Ehre und
Schande vor nichts halten, und alles GOtte
anheim ſtellen, es moͤchte mir gehen, wie es
wolte; ſo wolte das hitzige, verbrannte, und
melancholiſche Gebluͤte nichts davon annehmen.
Und in ſolcher furchtſamen Einbildung wurde
ich noch mehr geſtaͤrcket, da ich in folgenden Ta-
gen, ſo offt ich unter die Leute gieng, vom neuen
mit der Begierde, Urin zu laſſen, geplaget wurde,
und ſolchen kaum erhalten kunte, wenn gleich
kaum etliche Tropffen in der Blaſe vorhanden
waren. Jch gieng zu einer Leiche, und ich war
mit derſelben kaum bis zum Paulino kommen, ſo
muſte ich Ausreiß geben, an ſtatt, daß ich bis vor

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[626/0672] wegen kuͤnfftiger Zufaͤlle, muͤſſen. Jch dachte, was dießmahl noch nicht geſchehen, koͤnte wohl ein andermahl geſchehen, und wie mir es mit dem Urin gegangen, ſo koͤnte es leicht auch einſt gehen, wenn mich die Noth ankaͤme, das gantze Opus naturæ zu verrichten; wie ich auch denn weder Durchfall, noch Schnupffen, noch Heiſcherkeit mich iemahls vom Predigen bisher hatte abhalten laßen. Jch ſann nach, und ſtellte mir lebendig vor, was das mir vor eine Schande ſeyn wuͤrde, daferne mir auf der Cantzel dasjenige wiederfuͤhre, dem ich dieſesmahl noch mit Noth und Kummer ent- gangen. Diß ſtuͤrmte in meinem Gemuͤthe, daß mir bruͤhheiß im Kopffe wurde. Wolte ich mich in der Verleugnung uͤben, und Ehre und Schande vor nichts halten, und alles GOtte anheim ſtellen, es moͤchte mir gehen, wie es wolte; ſo wolte das hitzige, verbrannte, und melancholiſche Gebluͤte nichts davon annehmen. Und in ſolcher furchtſamen Einbildung wurde ich noch mehr geſtaͤrcket, da ich in folgenden Ta- gen, ſo offt ich unter die Leute gieng, vom neuen mit der Begierde, Urin zu laſſen, geplaget wurde, und ſolchen kaum erhalten kunte, wenn gleich kaum etliche Tropffen in der Blaſe vorhanden waren. Jch gieng zu einer Leiche, und ich war mit derſelben kaum bis zum Paulino kommen, ſo muſte ich Ausreiß geben, an ſtatt, daß ich bis vor das

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/672>, abgerufen am 11.06.2024.