derfinden, so machte mich GOTT erst recht furchtsam. Gegen Ostern, und im Früh- jahre, wenn der Safft in die Bäume tritt, und auch bey den Menschen sich die Säffte vermeh- ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge- tränckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu- mahl, und in demselben Jahre, so daß wegen der vielen Lieder, und in specie der Litaney, welche vor der Predigt gesungen werden, es bey- nahe nöthig gewesen wäre, daß ich erstlich auf den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber dessen niemahls zuvor bedienet, noch die natür- liche Begierde, das Wasser abzuschlagen, mich in Bewegung, vielweniger in Verwirrung se- tzen laßen. Die Sacristey war voller Zuhö- rer, und ich habe mich lange Zeit geschämet, in Gegenwart derselben, ehe ich auf die Cantzel gieng, erst zu Stuhle, und aus der Sacristey hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht ist, bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich dieses mahl gerathen, genöthiget, solches zu thun, aber auch selten thun können, daß ich nicht von anwesenden Zuhörern, vor die es besser ist, daß sie es glauben, und wissen, als daß sie es mit Augen sehen, daß der Prediger ein Mensch, wie andere Menschen, ist, hönisch
verlacht
und vom Sonntage Judica an
derfinden, ſo machte mich GOTT erſt recht furchtſam. Gegen Oſtern, und im Fruͤh- jahre, wenn der Safft in die Baͤume tritt, und auch bey den Menſchen ſich die Saͤffte vermeh- ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge- traͤnckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu- mahl, und in demſelben Jahre, ſo daß wegen der vielen Lieder, und in ſpecie der Litaney, welche vor der Predigt geſungen werden, es bey- nahe noͤthig geweſen waͤre, daß ich erſtlich auf den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber deſſen niemahls zuvor bedienet, noch die natuͤr- liche Begierde, das Waſſer abzuſchlagen, mich in Bewegung, vielweniger in Verwirrung ſe- tzen laßen. Die Sacriſtey war voller Zuhoͤ- rer, und ich habe mich lange Zeit geſchaͤmet, in Gegenwart derſelben, ehe ich auf die Cantzel gieng, erſt zu Stuhle, und aus der Sacriſtey hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht iſt, bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich dieſes mahl gerathen, genoͤthiget, ſolches zu thun, aber auch ſelten thun koͤnnen, daß ich nicht von anweſenden Zuhoͤrern, vor die es beſſer iſt, daß ſie es glauben, und wiſſen, als daß ſie es mit Augen ſehen, daß der Prediger ein Menſch, wie andere Menſchen, iſt, hoͤniſch
verlacht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0669"n="623"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und vom Sonntage <hirendition="#aq">Judica</hi> an</hi></fw><lb/>
derfinden, ſo machte mich <hirendition="#g">GOTT</hi> erſt recht<lb/>
furchtſam. Gegen Oſtern, und im Fruͤh-<lb/>
jahre, wenn der Safft in die Baͤume tritt, und<lb/>
auch bey den Menſchen ſich die Saͤffte vermeh-<lb/>
ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr<lb/>
Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich<lb/>
gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge-<lb/>
traͤnckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu-<lb/>
mahl, und in demſelben Jahre, ſo daß wegen<lb/>
der vielen Lieder, und <hirendition="#aq">in ſpecie</hi> der Litaney,<lb/>
welche vor der Predigt geſungen werden, es bey-<lb/>
nahe noͤthig geweſen waͤre, daß ich erſtlich auf<lb/>
den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber<lb/>
deſſen niemahls zuvor bedienet, noch die natuͤr-<lb/>
liche Begierde, das Waſſer abzuſchlagen, mich<lb/>
in Bewegung, vielweniger in Verwirrung ſe-<lb/>
tzen laßen. Die Sacriſtey war voller Zuhoͤ-<lb/>
rer, und ich habe mich lange Zeit geſchaͤmet, in<lb/>
Gegenwart derſelben, ehe ich auf die Cantzel<lb/>
gieng, erſt zu Stuhle, und aus der Sacriſtey<lb/>
hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht iſt,<lb/>
bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich<lb/>
dieſes mahl gerathen, genoͤthiget, ſolches zu<lb/>
thun, aber auch ſelten thun koͤnnen, daß ich<lb/>
nicht von anweſenden Zuhoͤrern, vor die es beſſer<lb/>
iſt, daß ſie es glauben, und wiſſen, als daß ſie<lb/>
es mit Augen ſehen, daß der Prediger ein<lb/>
Menſch, wie andere Menſchen, iſt, hoͤniſch<lb/><fwplace="bottom"type="catch">verlacht</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[623/0669]
und vom Sonntage Judica an
derfinden, ſo machte mich GOTT erſt recht
furchtſam. Gegen Oſtern, und im Fruͤh-
jahre, wenn der Safft in die Baͤume tritt, und
auch bey den Menſchen ſich die Saͤffte vermeh-
ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr
Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich
gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge-
traͤnckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu-
mahl, und in demſelben Jahre, ſo daß wegen
der vielen Lieder, und in ſpecie der Litaney,
welche vor der Predigt geſungen werden, es bey-
nahe noͤthig geweſen waͤre, daß ich erſtlich auf
den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber
deſſen niemahls zuvor bedienet, noch die natuͤr-
liche Begierde, das Waſſer abzuſchlagen, mich
in Bewegung, vielweniger in Verwirrung ſe-
tzen laßen. Die Sacriſtey war voller Zuhoͤ-
rer, und ich habe mich lange Zeit geſchaͤmet, in
Gegenwart derſelben, ehe ich auf die Cantzel
gieng, erſt zu Stuhle, und aus der Sacriſtey
hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht iſt,
bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich
dieſes mahl gerathen, genoͤthiget, ſolches zu
thun, aber auch ſelten thun koͤnnen, daß ich
nicht von anweſenden Zuhoͤrern, vor die es beſſer
iſt, daß ſie es glauben, und wiſſen, als daß ſie
es mit Augen ſehen, daß der Prediger ein
Menſch, wie andere Menſchen, iſt, hoͤniſch
verlacht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/669>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.