Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

und vom Sonntage Judica an
derfinden, so machte mich GOTT erst recht
furchtsam. Gegen Ostern, und im Früh-
jahre, wenn der Safft in die Bäume tritt, und
auch bey den Menschen sich die Säffte vermeh-
ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr
Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich
gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge-
tränckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu-
mahl, und in demselben Jahre, so daß wegen
der vielen Lieder, und in specie der Litaney,
welche vor der Predigt gesungen werden, es bey-
nahe nöthig gewesen wäre, daß ich erstlich auf
den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber
dessen niemahls zuvor bedienet, noch die natür-
liche Begierde, das Wasser abzuschlagen, mich
in Bewegung, vielweniger in Verwirrung se-
tzen laßen. Die Sacristey war voller Zuhö-
rer, und ich habe mich lange Zeit geschämet, in
Gegenwart derselben, ehe ich auf die Cantzel
gieng, erst zu Stuhle, und aus der Sacristey
hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht ist,
bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich
dieses mahl gerathen, genöthiget, solches zu
thun, aber auch selten thun können, daß ich
nicht von anwesenden Zuhörern, vor die es besser
ist, daß sie es glauben, und wissen, als daß sie
es mit Augen sehen, daß der Prediger ein
Mensch, wie andere Menschen, ist, hönisch

verlacht

und vom Sonntage Judica an
derfinden, ſo machte mich GOTT erſt recht
furchtſam. Gegen Oſtern, und im Fruͤh-
jahre, wenn der Safft in die Baͤume tritt, und
auch bey den Menſchen ſich die Saͤffte vermeh-
ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr
Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich
gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge-
traͤnckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu-
mahl, und in demſelben Jahre, ſo daß wegen
der vielen Lieder, und in ſpecie der Litaney,
welche vor der Predigt geſungen werden, es bey-
nahe noͤthig geweſen waͤre, daß ich erſtlich auf
den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber
deſſen niemahls zuvor bedienet, noch die natuͤr-
liche Begierde, das Waſſer abzuſchlagen, mich
in Bewegung, vielweniger in Verwirrung ſe-
tzen laßen. Die Sacriſtey war voller Zuhoͤ-
rer, und ich habe mich lange Zeit geſchaͤmet, in
Gegenwart derſelben, ehe ich auf die Cantzel
gieng, erſt zu Stuhle, und aus der Sacriſtey
hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht iſt,
bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich
dieſes mahl gerathen, genoͤthiget, ſolches zu
thun, aber auch ſelten thun koͤnnen, daß ich
nicht von anweſenden Zuhoͤrern, vor die es beſſer
iſt, daß ſie es glauben, und wiſſen, als daß ſie
es mit Augen ſehen, daß der Prediger ein
Menſch, wie andere Menſchen, iſt, hoͤniſch

verlacht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0669" n="623"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und vom Sonntage <hi rendition="#aq">Judica</hi> an</hi></fw><lb/>
derfinden, &#x017F;o machte mich <hi rendition="#g">GOTT</hi> er&#x017F;t recht<lb/>
furcht&#x017F;am. Gegen O&#x017F;tern, und im Fru&#x0364;h-<lb/>
jahre, wenn der Safft in die Ba&#x0364;ume tritt, und<lb/>
auch bey den Men&#x017F;chen &#x017F;ich die Sa&#x0364;ffte vermeh-<lb/>
ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr<lb/>
Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich<lb/>
gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge-<lb/>
tra&#x0364;nckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu-<lb/>
mahl, und in dem&#x017F;elben Jahre, &#x017F;o daß wegen<lb/>
der vielen Lieder, und <hi rendition="#aq">in &#x017F;pecie</hi> der Litaney,<lb/>
welche vor der Predigt ge&#x017F;ungen werden, es bey-<lb/>
nahe no&#x0364;thig gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, daß ich er&#x017F;tlich auf<lb/>
den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en niemahls zuvor bedienet, noch die natu&#x0364;r-<lb/>
liche Begierde, das Wa&#x017F;&#x017F;er abzu&#x017F;chlagen, mich<lb/>
in Bewegung, vielweniger in Verwirrung &#x017F;e-<lb/>
tzen laßen. Die Sacri&#x017F;tey war voller Zuho&#x0364;-<lb/>
rer, und ich habe mich lange Zeit ge&#x017F;cha&#x0364;met, in<lb/>
Gegenwart der&#x017F;elben, ehe ich auf die Cantzel<lb/>
gieng, er&#x017F;t zu Stuhle, und aus der Sacri&#x017F;tey<lb/>
hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht i&#x017F;t,<lb/>
bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich<lb/>
die&#x017F;es mahl gerathen, geno&#x0364;thiget, &#x017F;olches zu<lb/>
thun, aber auch &#x017F;elten thun ko&#x0364;nnen, daß ich<lb/>
nicht von anwe&#x017F;enden Zuho&#x0364;rern, vor die es be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
i&#x017F;t, daß &#x017F;ie es glauben, und wi&#x017F;&#x017F;en, als daß &#x017F;ie<lb/>
es mit Augen &#x017F;ehen, daß der Prediger ein<lb/>
Men&#x017F;ch, wie andere Men&#x017F;chen, i&#x017F;t, ho&#x0364;ni&#x017F;ch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">verlacht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[623/0669] und vom Sonntage Judica an derfinden, ſo machte mich GOTT erſt recht furchtſam. Gegen Oſtern, und im Fruͤh- jahre, wenn der Safft in die Baͤume tritt, und auch bey den Menſchen ſich die Saͤffte vermeh- ren, habe ich iederzeit angemerckt, daß ich mehr Urin, als zu andern Zeiten laße, wenn ich gleich bey dem ordentlichen Maaße des Ge- traͤnckes bleibe. Solches erfuhr ich auch dazu- mahl, und in demſelben Jahre, ſo daß wegen der vielen Lieder, und in ſpecie der Litaney, welche vor der Predigt geſungen werden, es bey- nahe noͤthig geweſen waͤre, daß ich erſtlich auf den Abtrit gegangen. Jch habe mich aber deſſen niemahls zuvor bedienet, noch die natuͤr- liche Begierde, das Waſſer abzuſchlagen, mich in Bewegung, vielweniger in Verwirrung ſe- tzen laßen. Die Sacriſtey war voller Zuhoͤ- rer, und ich habe mich lange Zeit geſchaͤmet, in Gegenwart derſelben, ehe ich auf die Cantzel gieng, erſt zu Stuhle, und aus der Sacriſtey hinaus zu gehen, allwo der Abtritt gemacht iſt, bis mich nach der Zeit die Noth, in welche ich dieſes mahl gerathen, genoͤthiget, ſolches zu thun, aber auch ſelten thun koͤnnen, daß ich nicht von anweſenden Zuhoͤrern, vor die es beſſer iſt, daß ſie es glauben, und wiſſen, als daß ſie es mit Augen ſehen, daß der Prediger ein Menſch, wie andere Menſchen, iſt, hoͤniſch verlacht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/669
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/669>, abgerufen am 22.11.2024.