Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

flüchtigen Gedancken,
angefangen. Ach GOTT! hilff mir, schrie
ich offt, und errette mich. Wenn ich aber nur
ein oder zwey Stunden bis um 10 Uhr, oder 1
Uhr hinbrachte, daß die Speise ein wenig mehr
verzehret und verdauet war worden, und um die
Gegend des Miltzes es sich öffnete, allwo ich
alsdenn einen dolorem gravativum verspührte,
so ließ das Ubel ein wenig, ja öffters völlig nach.
Schlieff ich aber in noch währendem übeln Zu-
stande ein, so traumte mir so gar zuweilen, als
ob ich unter Menschen ohne den rechten Ge-
brauch meines Verstandes mich befände, und
von ihnen verhönet würde. Es ist auch was
seltsames, daß ich, wie oben schon angemercket,
in meinem Leben keinen närrischen Menschen,
der des Verstandes beraubet, ohne Ubelkeit und
Aengstlichkeit sehen kan. Jch zittere und bebe,
worüber starcke Leute lachen, und ihren Spott
haben. Das Bild eines thörichten Menschen,
oder auch nur eines Patienten, der im Fieber ra-
set, und seltsame Dinge redet, drücket sich so
tieff in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage
nicht heraus bringen kan, und immer eodem
modo,
und auf gleiche Weise agiren will.

Da mich dergleichen flüchtige Gedancken in
meinem Leben das erstemahl überfielen, und ich
erschreckliche Suiten besorgte, so war meine Furcht
und der Kummer, wer mich zu sich nehmen und

ver-

fluͤchtigen Gedancken,
angefangen. Ach GOTT! hilff mir, ſchrie
ich offt, und errette mich. Wenn ich aber nur
ein oder zwey Stunden bis um 10 Uhr, oder 1
Uhr hinbrachte, daß die Speiſe ein wenig mehr
verzehret und verdauet war worden, und um die
Gegend des Miltzes es ſich oͤffnete, allwo ich
alsdenn einen dolorem gravativum verſpuͤhrte,
ſo ließ das Ubel ein wenig, ja oͤffters voͤllig nach.
Schlieff ich aber in noch waͤhrendem uͤbeln Zu-
ſtande ein, ſo traumte mir ſo gar zuweilen, als
ob ich unter Menſchen ohne den rechten Ge-
brauch meines Verſtandes mich befaͤnde, und
von ihnen verhoͤnet wuͤrde. Es iſt auch was
ſeltſames, daß ich, wie oben ſchon angemercket,
in meinem Leben keinen naͤrriſchen Menſchen,
der des Verſtandes beraubet, ohne Ubelkeit und
Aengſtlichkeit ſehen kan. Jch zittere und bebe,
woruͤber ſtarcke Leute lachen, und ihren Spott
haben. Das Bild eines thoͤrichten Menſchen,
oder auch nur eines Patienten, der im Fieber ra-
ſet, und ſeltſame Dinge redet, druͤcket ſich ſo
tieff in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage
nicht heraus bringen kan, und immer eodem
modo,
und auf gleiche Weiſe agiren will.

Da mich dergleichen fluͤchtige Gedancken in
meinem Leben das erſtemahl uͤberfielen, und ich
erſchreckliche Suiten beſorgte, ſo war meine Furcht
und der Kummer, wer mich zu ſich nehmen und

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0628" n="582"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">flu&#x0364;chtigen Gedancken,</hi></fw><lb/>
angefangen. Ach GOTT! hilff mir, &#x017F;chrie<lb/>
ich offt, und errette mich. Wenn ich aber nur<lb/>
ein oder zwey Stunden bis um 10 Uhr, oder 1<lb/>
Uhr hinbrachte, daß die Spei&#x017F;e ein wenig mehr<lb/>
verzehret und verdauet war worden, und um die<lb/>
Gegend des Miltzes es &#x017F;ich o&#x0364;ffnete, allwo ich<lb/>
alsdenn einen <hi rendition="#aq">dolorem gravativum</hi> ver&#x017F;pu&#x0364;hrte,<lb/>
&#x017F;o ließ das Ubel ein wenig, ja o&#x0364;ffters vo&#x0364;llig nach.<lb/>
Schlieff ich aber in noch wa&#x0364;hrendem u&#x0364;beln Zu-<lb/>
&#x017F;tande ein, &#x017F;o traumte mir &#x017F;o gar zuweilen, als<lb/>
ob ich unter Men&#x017F;chen ohne den rechten Ge-<lb/>
brauch meines Ver&#x017F;tandes mich befa&#x0364;nde, und<lb/>
von ihnen verho&#x0364;net wu&#x0364;rde. Es i&#x017F;t auch was<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;ames, daß ich, wie oben &#x017F;chon angemercket,<lb/>
in meinem Leben keinen na&#x0364;rri&#x017F;chen Men&#x017F;chen,<lb/>
der des Ver&#x017F;tandes beraubet, ohne Ubelkeit und<lb/>
Aeng&#x017F;tlichkeit &#x017F;ehen kan. Jch zittere und bebe,<lb/>
woru&#x0364;ber &#x017F;tarcke Leute lachen, und ihren Spott<lb/>
haben. Das Bild eines tho&#x0364;richten Men&#x017F;chen,<lb/>
oder auch nur eines Patienten, der im Fieber ra-<lb/>
&#x017F;et, und &#x017F;elt&#x017F;ame Dinge redet, dru&#x0364;cket &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
tieff in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage<lb/>
nicht heraus bringen kan, und immer <hi rendition="#aq">eodem<lb/>
modo,</hi> und auf gleiche Wei&#x017F;e <hi rendition="#aq">agi</hi>ren will.</p><lb/>
        <p>Da mich dergleichen flu&#x0364;chtige Gedancken in<lb/>
meinem Leben das er&#x017F;temahl u&#x0364;berfielen, und ich<lb/>
er&#x017F;chreckliche <hi rendition="#aq">Suit</hi>en be&#x017F;orgte, &#x017F;o war meine Furcht<lb/>
und der Kummer, wer mich zu &#x017F;ich nehmen und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[582/0628] fluͤchtigen Gedancken, angefangen. Ach GOTT! hilff mir, ſchrie ich offt, und errette mich. Wenn ich aber nur ein oder zwey Stunden bis um 10 Uhr, oder 1 Uhr hinbrachte, daß die Speiſe ein wenig mehr verzehret und verdauet war worden, und um die Gegend des Miltzes es ſich oͤffnete, allwo ich alsdenn einen dolorem gravativum verſpuͤhrte, ſo ließ das Ubel ein wenig, ja oͤffters voͤllig nach. Schlieff ich aber in noch waͤhrendem uͤbeln Zu- ſtande ein, ſo traumte mir ſo gar zuweilen, als ob ich unter Menſchen ohne den rechten Ge- brauch meines Verſtandes mich befaͤnde, und von ihnen verhoͤnet wuͤrde. Es iſt auch was ſeltſames, daß ich, wie oben ſchon angemercket, in meinem Leben keinen naͤrriſchen Menſchen, der des Verſtandes beraubet, ohne Ubelkeit und Aengſtlichkeit ſehen kan. Jch zittere und bebe, woruͤber ſtarcke Leute lachen, und ihren Spott haben. Das Bild eines thoͤrichten Menſchen, oder auch nur eines Patienten, der im Fieber ra- ſet, und ſeltſame Dinge redet, druͤcket ſich ſo tieff in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht heraus bringen kan, und immer eodem modo, und auf gleiche Weiſe agiren will. Da mich dergleichen fluͤchtige Gedancken in meinem Leben das erſtemahl uͤberfielen, und ich erſchreckliche Suiten beſorgte, ſo war meine Furcht und der Kummer, wer mich zu ſich nehmen und ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/628
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/628>, abgerufen am 24.11.2024.