sem 1705ten Jahre das erstemahl meine Aufwar- tung machte. Er kam im Discurse mit mir unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu- mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re- den. Um GOttes willen, sieng er an, was macht doch der Mensch draußen? Er ist ja ein purerSpinoziste. Er hat mit mir zu correspondiren angefangen, und, da wir einmahl mit einander auf denSpinozamzu reden gekommen, so will er ihn mit aller Gewaltexcusiren: er soll keinAtheistseyn, sondern überall recht haben, oder zu ent- schuldigen seyn.
Mich aber wolte der Herr Inspector in dem- selben Jahre zum Stengeristen machen, sobald er mich das erstemahl predigen gehöret hatte, weil ich etwan gesaget, daß die vielfältigen Wieder- holungen der Busse der rückfälligen Sünder, die sich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver- änderungen des gantzen Hertzens moraliter unmög- lich wären. Zwar war seine erste Zukunfft in das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener Predigt in seinem Hause Audienz gab, noch ziemlich sanfftmüthig. Was er wegen Wieder- holung der Buße gedachte, geschahe alles nur in Freundlichkeit, und gleichsam aus alter Liebe mich zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten
in acht
der ihn zu einem Stengenianer
ſem 1705ten Jahre das erſtemahl meine Aufwar- tung machte. Er kam im Diſcurſe mit mir unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu- mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re- den. Um GOttes willen, ſieng er an, was macht doch der Menſch draußen? Er iſt ja ein purerSpinoziſte. Er hat mit mir zu correſpondiren angefangen, und, da wir einmahl mit einander auf denSpinozamzu reden gekommen, ſo will er ihn mit aller Gewaltexcuſiren: er ſoll keinAtheiſtſeyn, ſondern uͤberall recht haben, oder zu ent- ſchuldigen ſeyn.
Mich aber wolte der Herr Inſpector in dem- ſelben Jahre zum Stengeriſten machen, ſobald er mich das erſtemahl predigen gehoͤret hatte, weil ich etwan geſaget, daß die vielfaͤltigen Wieder- holungen der Buſſe der ruͤckfaͤlligen Suͤnder, die ſich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver- aͤnderungen des gantzen Hertzens moraliter unmoͤg- lich waͤren. Zwar war ſeine erſte Zukunfft in das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener Predigt in ſeinem Hauſe Audienz gab, noch ziemlich ſanfftmuͤthig. Was er wegen Wieder- holung der Buße gedachte, geſchahe alles nur in Freundlichkeit, und gleichſam aus alter Liebe mich zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten
in acht
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der ihn zu einem Stengenianer
ſem 1705ten Jahre das erſtemahl meine Aufwar-
tung machte. Er kam im Diſcurſe mit mir
unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu-
mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re-
den. Um GOttes willen, ſieng er an, was
macht doch der Menſch draußen? Er iſt ja
ein purer Spinoziſte. Er hat mit mir zu
correſpondiren angefangen, und, da wir
einmahl mit einander auf den Spinozam zu
reden gekommen, ſo will er ihn mit aller
Gewalt excuſiren: er ſoll kein Atheiſt ſeyn,
ſondern uͤberall recht haben, oder zu ent-
ſchuldigen ſeyn.
Mich aber wolte der Herr Inſpector in dem-
ſelben Jahre zum Stengeriſten machen, ſobald
er mich das erſtemahl predigen gehoͤret hatte, weil
ich etwan geſaget, daß die vielfaͤltigen Wieder-
holungen der Buſſe der ruͤckfaͤlligen Suͤnder, die
ſich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im
Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver-
aͤnderungen des gantzen Hertzens moraliter unmoͤg-
lich waͤren. Zwar war ſeine erſte Zukunfft in
das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener
Predigt in ſeinem Hauſe Audienz gab, noch
ziemlich ſanfftmuͤthig. Was er wegen Wieder-
holung der Buße gedachte, geſchahe alles nur in
Freundlichkeit, und gleichſam aus alter Liebe mich
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/430>, abgerufen am 22.11.2024.
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