Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

den armen Melancholicis,
mit falschem Troste aufrichten solte, welche sei-
nen Absichten, und dem Verderbenschon so nahe
sind. Jst aber der überschwengliche Trost
von GOtt gewesen, so können unmöglich alle
Glücks-Spiele zu allen Zeiten, und bey allen
Menschen Sünde seyn. (Das magst du,
geneigter Leser, dir mercken, daferne du et-
wan geneigt seyn soltest, meine Plagen, welche
ich in diesem Buche beschrieben, einer excessiven
Morale, oder einem nimio pietatis studio zuzu-
schreiben; worinnen ich eher in meinem Leben
zu wenig, als zu viel gethan, und eher in defectu, als
excessu, sowol den Lehr-Sätzen, als der That
nach, pecciret.)

Solche Patienten, von denen ich hier rede,
müssen auch bey ihrem Ausgehen das Wetter
wohl beobachten, und wie alle Medici rathen,
bey dicker, trüber, kalter und nebelichter Lufft
lieber zu Hause bleiben, als spatzieren gehen;
es müsten denn schreckliche Sturm-Winde, die
den Melancholicis unerträglich sind, und sie zit-
ternd und bebend machen, ein anders ihnen ra-
then. Daß gewisse Kranckheiten in großem
Maaße in einer Stadt und Gegend zuweilen
grassiren, macht vielfältigmahl die Witterung
und die Himmels-Lufft. An. 1713. kriegten
hier in Leipzig wohl hundert und mehr Leute auf
zwey, drey Tage einen Anfall vom Fieber; und

vor
Z 2

den armen Melancholicis,
mit falſchem Troſte aufrichten ſolte, welche ſei-
nen Abſichten, und dem Verderbenſchon ſo nahe
ſind. Jſt aber der uͤberſchwengliche Troſt
von GOtt geweſen, ſo koͤnnen unmoͤglich alle
Gluͤcks-Spiele zu allen Zeiten, und bey allen
Menſchen Suͤnde ſeyn. (Das magſt du,
geneigter Leſer, dir mercken, daferne du et-
wan geneigt ſeyn ſolteſt, meine Plagen, welche
ich in dieſem Buche beſchrieben, einer exceſſiven
Morale, oder einem nimio pietatis ſtudio zuzu-
ſchreiben; worinnen ich eher in meinem Leben
zu wenig, als zu viel gethan, und eher in defectu, als
exceſſu, ſowol den Lehr-Saͤtzen, als der That
nach, pecciret.)

Solche Patienten, von denen ich hier rede,
muͤſſen auch bey ihrem Ausgehen das Wetter
wohl beobachten, und wie alle Medici rathen,
bey dicker, truͤber, kalter und nebelichter Lufft
lieber zu Hauſe bleiben, als ſpatzieren gehen;
es muͤſten denn ſchreckliche Sturm-Winde, die
den Melancholicis unertraͤglich ſind, und ſie zit-
ternd und bebend machen, ein anders ihnen ra-
then. Daß gewiſſe Kranckheiten in großem
Maaße in einer Stadt und Gegend zuweilen
graſſiren, macht vielfaͤltigmahl die Witterung
und die Himmels-Lufft. An. 1713. kriegten
hier in Leipzig wohl hundert und mehr Leute auf
zwey, drey Tage einen Anfall vom Fieber; und

vor
Z 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0401" n="355"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">den armen</hi><hi rendition="#aq">Melancholicis,</hi></fw><lb/>
mit fal&#x017F;chem Tro&#x017F;te aufrichten &#x017F;olte, welche &#x017F;ei-<lb/>
nen Ab&#x017F;ichten, und dem Verderben&#x017F;chon &#x017F;o nahe<lb/>
&#x017F;ind. J&#x017F;t aber der u&#x0364;ber&#x017F;chwengliche Tro&#x017F;t<lb/>
von GOtt gewe&#x017F;en, &#x017F;o ko&#x0364;nnen unmo&#x0364;glich alle<lb/>
Glu&#x0364;cks-Spiele zu allen Zeiten, und bey allen<lb/>
Men&#x017F;chen Su&#x0364;nde &#x017F;eyn. (Das mag&#x017F;t du,<lb/><hi rendition="#fr">geneigter Le&#x017F;er,</hi> dir mercken, daferne du et-<lb/>
wan geneigt &#x017F;eyn &#x017F;olte&#x017F;t, meine Plagen, welche<lb/>
ich in die&#x017F;em Buche be&#x017F;chrieben, einer <hi rendition="#aq">exce&#x017F;&#x017F;iv</hi>en<lb/><hi rendition="#aq">Moral</hi>e, oder einem <hi rendition="#aq">nimio pietatis &#x017F;tudio</hi> zuzu-<lb/>
&#x017F;chreiben; worinnen ich eher in meinem Leben<lb/>
zu wenig, als zu viel gethan, und eher <hi rendition="#aq">in defectu,</hi> als<lb/><hi rendition="#aq">exce&#x017F;&#x017F;u,</hi> &#x017F;owol den Lehr-Sa&#x0364;tzen, als der That<lb/>
nach, <hi rendition="#aq">pecci</hi>ret.)</p><lb/>
        <p>Solche Patienten, von denen ich hier rede,<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auch bey ihrem Ausgehen das Wetter<lb/>
wohl beobachten, und wie alle <hi rendition="#aq">Medici</hi> rathen,<lb/>
bey dicker, tru&#x0364;ber, kalter und nebelichter Lufft<lb/>
lieber zu Hau&#x017F;e bleiben, als &#x017F;patzieren gehen;<lb/>
es mu&#x0364;&#x017F;ten denn &#x017F;chreckliche Sturm-Winde, die<lb/>
den <hi rendition="#aq">Melancholicis</hi> unertra&#x0364;glich &#x017F;ind, und &#x017F;ie zit-<lb/>
ternd und bebend machen, ein anders ihnen ra-<lb/>
then. Daß gewi&#x017F;&#x017F;e Kranckheiten in großem<lb/>
Maaße in einer Stadt und Gegend zuweilen<lb/><hi rendition="#aq">gra&#x017F;&#x017F;i</hi>ren, macht vielfa&#x0364;ltigmahl die Witterung<lb/>
und die Himmels-Lufft. <hi rendition="#aq">An.</hi> 1713. kriegten<lb/>
hier in Leipzig wohl hundert und mehr Leute auf<lb/>
zwey, drey Tage einen Anfall vom Fieber; und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 2</fw><fw place="bottom" type="catch">vor</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0401] den armen Melancholicis, mit falſchem Troſte aufrichten ſolte, welche ſei- nen Abſichten, und dem Verderbenſchon ſo nahe ſind. Jſt aber der uͤberſchwengliche Troſt von GOtt geweſen, ſo koͤnnen unmoͤglich alle Gluͤcks-Spiele zu allen Zeiten, und bey allen Menſchen Suͤnde ſeyn. (Das magſt du, geneigter Leſer, dir mercken, daferne du et- wan geneigt ſeyn ſolteſt, meine Plagen, welche ich in dieſem Buche beſchrieben, einer exceſſiven Morale, oder einem nimio pietatis ſtudio zuzu- ſchreiben; worinnen ich eher in meinem Leben zu wenig, als zu viel gethan, und eher in defectu, als exceſſu, ſowol den Lehr-Saͤtzen, als der That nach, pecciret.) Solche Patienten, von denen ich hier rede, muͤſſen auch bey ihrem Ausgehen das Wetter wohl beobachten, und wie alle Medici rathen, bey dicker, truͤber, kalter und nebelichter Lufft lieber zu Hauſe bleiben, als ſpatzieren gehen; es muͤſten denn ſchreckliche Sturm-Winde, die den Melancholicis unertraͤglich ſind, und ſie zit- ternd und bebend machen, ein anders ihnen ra- then. Daß gewiſſe Kranckheiten in großem Maaße in einer Stadt und Gegend zuweilen graſſiren, macht vielfaͤltigmahl die Witterung und die Himmels-Lufft. An. 1713. kriegten hier in Leipzig wohl hundert und mehr Leute auf zwey, drey Tage einen Anfall vom Fieber; und vor Z 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/401
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/401>, abgerufen am 22.11.2024.