Zustand gerathen, den wir bisher beschrieben: laßt ihn nur die Miltz-Sucht in einem großem Maße, oder durch andere Zufälle Hertz- Klemmungen bekommen, so daß ihm angst und bange wird, und doch nicht weiß warum, und ihm die gantze Welt zu enge werden will; er soll sich leicht Objecta suchen zu diesem Affecte, und dafern er anders nur GOttes Wort gele- sen, und gehöret hat, oder noch höret, gar leicht an seine Sünden gedencken, und diesel- ben nun mit gantz andern Augen ansehen, und gantz anders, als zuvor von denselben urtheilen. Jch kannte ehemahls einen Schlosser allhier, einen muntern, behertzten, aber zum Zorn ge- neigten Mann, wenn er aufgebracht wurde, und der ein großer Liebhaber des Tuchsteines war. So wenig er sich aus den Sünden machte, die er ehemahls begangen, als deren er wol manchmahl sich noch rühmete, so traff ich ihn doch einst in lauter Angst, Melancholie und Schrecken an, und wuste nicht genug über seine Sünde zu klagen. Er muste mir selbst gestehen, daß er durch den vielen Tuchstein sich noch mehr feurig, und hitzig gesoffen, und sich seine Schwermuth zugezogen, welche nun ihm zum besten dienen muste, weil er ietzt so gar vor Sünde erkennte, was er zuvor vor keine Sün- de, oder nur vor kleine Sünden gehalten hatte.
Selbst
daß ſchwache Gemuͤther,
Zuſtand gerathen, den wir bisher beſchrieben: laßt ihn nur die Miltz-Sucht in einem großem Maße, oder durch andere Zufaͤlle Hertz- Klemmungen bekommen, ſo daß ihm angſt und bange wird, und doch nicht weiß warum, und ihm die gantze Welt zu enge werden will; er ſoll ſich leicht Objecta ſuchen zu dieſem Affecte, und dafern er anders nur GOttes Wort gele- ſen, und gehoͤret hat, oder noch hoͤret, gar leicht an ſeine Suͤnden gedencken, und dieſel- ben nun mit gantz andern Augen anſehen, und gantz anders, als zuvor von denſelben urtheilen. Jch kannte ehemahls einen Schloſſer allhier, einen muntern, behertzten, aber zum Zorn ge- neigten Mann, wenn er aufgebracht wurde, und der ein großer Liebhaber des Tuchſteines war. So wenig er ſich aus den Suͤnden machte, die er ehemahls begangen, als deren er wol manchmahl ſich noch ruͤhmete, ſo traff ich ihn doch einſt in lauter Angſt, Melancholie und Schrecken an, und wuſte nicht genug uͤber ſeine Suͤnde zu klagen. Er muſte mir ſelbſt geſtehen, daß er durch den vielen Tuchſtein ſich noch mehr feurig, und hitzig geſoffen, und ſich ſeine Schwermuth zugezogen, welche nun ihm zum beſten dienen muſte, weil er ietzt ſo gar vor Suͤnde erkennte, was er zuvor vor keine Suͤn- de, oder nur vor kleine Suͤnden gehalten hatte.
Selbſt
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daß ſchwache Gemuͤther,
Zuſtand gerathen, den wir bisher beſchrieben:
laßt ihn nur die Miltz-Sucht in einem großem
Maße, oder durch andere Zufaͤlle Hertz-
Klemmungen bekommen, ſo daß ihm angſt und
bange wird, und doch nicht weiß warum, und
ihm die gantze Welt zu enge werden will; er
ſoll ſich leicht Objecta ſuchen zu dieſem Affecte,
und dafern er anders nur GOttes Wort gele-
ſen, und gehoͤret hat, oder noch hoͤret, gar
leicht an ſeine Suͤnden gedencken, und dieſel-
ben nun mit gantz andern Augen anſehen, und
gantz anders, als zuvor von denſelben urtheilen.
Jch kannte ehemahls einen Schloſſer allhier,
einen muntern, behertzten, aber zum Zorn ge-
neigten Mann, wenn er aufgebracht wurde,
und der ein großer Liebhaber des Tuchſteines
war. So wenig er ſich aus den Suͤnden
machte, die er ehemahls begangen, als deren
er wol manchmahl ſich noch ruͤhmete, ſo traff
ich ihn doch einſt in lauter Angſt, Melancholie
und Schrecken an, und wuſte nicht genug uͤber
ſeine Suͤnde zu klagen. Er muſte mir ſelbſt
geſtehen, daß er durch den vielen Tuchſtein ſich
noch mehr feurig, und hitzig geſoffen, und ſich
ſeine Schwermuth zugezogen, welche nun ihm
zum beſten dienen muſte, weil er ietzt ſo gar vor
Suͤnde erkennte, was er zuvor vor keine Suͤn-
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/346>, abgerufen am 22.11.2024.
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