Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht stärcker werden,
geschehen solte, wie sie wol meines Erachtens
in der Welt bey dergleichen Subjectis geschehen
mag, und also dadurch diese neue Angst und
Furcht den Weg zur Schlafloßigkeit und höch-
sten Schwächung, ja Beraubung des Verstan-
des bahnen mag. Saß ich damahls, oder
stund nahe bey einem, so muste ich mir offt den
Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anspye,
wenn er gleich mein Freund war, und ich alle
Liebe zu ihm hatte, so daß ich gar nicht wuste,
warum ich ihn anspeyen solte. Denn das An-
speyen kam mir so deutlich vor, als ob es ge-
schähe. Oder ich schlug ihn in Gedancken
mit der Hand ins Angesichte, so daß ich die eine
Hand mit der andern Hand halten muste, da-
mit es nur nicht würcklich geschehen möchte.
Vor allem ungewöhnlichen erschrickt man zu
solchen Zeiten; allem Ansehen nach, weil die
betrübten Affecten, Furcht, Angst und Sor-
gen lauter Contractiones nervorum, kleine
Convulsiones, Spasmos im Miltz, und andern
Gefäßen des Leibes verursachen. Jch konte
nicht ohne innerlich Auffahren eine große Ziffer
sehen, v. g. eine 6. oder 9; ein Spatium, wo
drey oder vier Bücher gestanden, machte mir
schon Aengstlichkeit, und konte nicht ruhen, bis
der Raum wieder mit Büchern ausgefüllet
wurde. Jch bebete vor einem Zeddel, wenn

der-

nicht ſtaͤrcker werden,
geſchehen ſolte, wie ſie wol meines Erachtens
in der Welt bey dergleichen Subjectis geſchehen
mag, und alſo dadurch dieſe neue Angſt und
Furcht den Weg zur Schlafloßigkeit und hoͤch-
ſten Schwaͤchung, ja Beraubung des Verſtan-
des bahnen mag. Saß ich damahls, oder
ſtund nahe bey einem, ſo muſte ich mir offt den
Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anſpye,
wenn er gleich mein Freund war, und ich alle
Liebe zu ihm hatte, ſo daß ich gar nicht wuſte,
warum ich ihn anſpeyen ſolte. Denn das An-
ſpeyen kam mir ſo deutlich vor, als ob es ge-
ſchaͤhe. Oder ich ſchlug ihn in Gedancken
mit der Hand ins Angeſichte, ſo daß ich die eine
Hand mit der andern Hand halten muſte, da-
mit es nur nicht wuͤrcklich geſchehen moͤchte.
Vor allem ungewoͤhnlichen erſchrickt man zu
ſolchen Zeiten; allem Anſehen nach, weil die
betruͤbten Affecten, Furcht, Angſt und Sor-
gen lauter Contractiones nervorum, kleine
Convulſiones, Spaſmos im Miltz, und andern
Gefaͤßen des Leibes verurſachen. Jch konte
nicht ohne innerlich Auffahren eine große Ziffer
ſehen, v. g. eine 6. oder 9; ein Spatium, wo
drey oder vier Buͤcher geſtanden, machte mir
ſchon Aengſtlichkeit, und konte nicht ruhen, bis
der Raum wieder mit Buͤchern ausgefuͤllet
wurde. Jch bebete vor einem Zeddel, wenn

der-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0283" n="237"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nicht &#x017F;ta&#x0364;rcker werden,</hi></fw><lb/>
ge&#x017F;chehen &#x017F;olte, wie &#x017F;ie wol meines Erachtens<lb/>
in der Welt bey dergleichen <hi rendition="#aq">Subjectis</hi> ge&#x017F;chehen<lb/>
mag, und al&#x017F;o dadurch die&#x017F;e neue Ang&#x017F;t und<lb/>
Furcht den Weg zur Schlafloßigkeit und ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Schwa&#x0364;chung, ja Beraubung des Ver&#x017F;tan-<lb/>
des bahnen mag. Saß ich damahls, oder<lb/>
&#x017F;tund nahe bey einem, &#x017F;o mu&#x017F;te ich mir offt den<lb/>
Mund zuhalten, daß ich ihn nicht an&#x017F;pye,<lb/>
wenn er gleich mein Freund war, und ich alle<lb/>
Liebe zu ihm hatte, &#x017F;o daß ich gar nicht wu&#x017F;te,<lb/>
warum ich ihn an&#x017F;peyen &#x017F;olte. Denn das An-<lb/>
&#x017F;peyen kam mir &#x017F;o deutlich vor, als ob es ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;he. Oder ich &#x017F;chlug ihn in Gedancken<lb/>
mit der Hand ins Ange&#x017F;ichte, &#x017F;o daß ich die eine<lb/>
Hand mit der andern Hand halten mu&#x017F;te, da-<lb/>
mit es nur nicht wu&#x0364;rcklich ge&#x017F;chehen mo&#x0364;chte.<lb/>
Vor allem ungewo&#x0364;hnlichen er&#x017F;chrickt man zu<lb/>
&#x017F;olchen Zeiten; allem An&#x017F;ehen nach, weil die<lb/>
betru&#x0364;bten <hi rendition="#aq">Affect</hi>en, Furcht, Ang&#x017F;t und Sor-<lb/>
gen lauter <hi rendition="#aq">Contractiones nervorum,</hi> kleine<lb/><hi rendition="#aq">Convul&#x017F;iones, Spa&#x017F;mos</hi> im Miltz, und andern<lb/>
Gefa&#x0364;ßen des Leibes verur&#x017F;achen. Jch konte<lb/>
nicht ohne innerlich Auffahren eine große Ziffer<lb/>
&#x017F;ehen, <hi rendition="#aq">v. g.</hi> eine 6. oder 9; ein <hi rendition="#aq">Spatium,</hi> wo<lb/>
drey oder vier Bu&#x0364;cher ge&#x017F;tanden, machte mir<lb/>
&#x017F;chon Aeng&#x017F;tlichkeit, und konte nicht ruhen, bis<lb/>
der Raum wieder mit Bu&#x0364;chern ausgefu&#x0364;llet<lb/>
wurde. Jch bebete vor einem Zeddel, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0283] nicht ſtaͤrcker werden, geſchehen ſolte, wie ſie wol meines Erachtens in der Welt bey dergleichen Subjectis geſchehen mag, und alſo dadurch dieſe neue Angſt und Furcht den Weg zur Schlafloßigkeit und hoͤch- ſten Schwaͤchung, ja Beraubung des Verſtan- des bahnen mag. Saß ich damahls, oder ſtund nahe bey einem, ſo muſte ich mir offt den Mund zuhalten, daß ich ihn nicht anſpye, wenn er gleich mein Freund war, und ich alle Liebe zu ihm hatte, ſo daß ich gar nicht wuſte, warum ich ihn anſpeyen ſolte. Denn das An- ſpeyen kam mir ſo deutlich vor, als ob es ge- ſchaͤhe. Oder ich ſchlug ihn in Gedancken mit der Hand ins Angeſichte, ſo daß ich die eine Hand mit der andern Hand halten muſte, da- mit es nur nicht wuͤrcklich geſchehen moͤchte. Vor allem ungewoͤhnlichen erſchrickt man zu ſolchen Zeiten; allem Anſehen nach, weil die betruͤbten Affecten, Furcht, Angſt und Sor- gen lauter Contractiones nervorum, kleine Convulſiones, Spaſmos im Miltz, und andern Gefaͤßen des Leibes verurſachen. Jch konte nicht ohne innerlich Auffahren eine große Ziffer ſehen, v. g. eine 6. oder 9; ein Spatium, wo drey oder vier Buͤcher geſtanden, machte mir ſchon Aengſtlichkeit, und konte nicht ruhen, bis der Raum wieder mit Buͤchern ausgefuͤllet wurde. Jch bebete vor einem Zeddel, wenn der-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/283
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/283>, abgerufen am 18.06.2024.