Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

nimbt gleichwol eine Predigt an
schen, der gesund im Gemüthe ist; geschweige
denn vor einen solchen angefochtenen, wo iedes
geringes Ding fähig ist, die Angst zu vermehren.
Trüber Himmel, Sturm-Winde, Wetter,
Faße püchen sehen etc. machen alsdenn lauter
Aengstlichkeit, und Zittern und Beben. Das
Schreyen der Pfauen, und das Krähen der
Hähne, weil es eine Aehnlichkeit mit dem ängst-
lichen Schreyen eines Menschen hat, ist einem
so zuwider, daß einer sich kaum enthalten kan
selbst zu schreyen. (Angelus in penna, pede
latro, voce gehenna,
lautet der Vers, den man
von den Pfauen gemacht hat.)

Diese meine betrübte Gedancken zu vertrei-
ben hatte ich mich eben den Dienstag in der Mar-
ter-Woche, da sie mir eben das erstemahl auf-
gestiegen, bewegen lassen eine Predigt auf den
Oster-Dienstag in der Thomas-Kirche in der
Vesper anzunehmen. Jch hielte es zwar An-
fangs vor eine Schickung GOTTes; es wurde
mir aber gar bald eine neue Anfechtung draus,
alß ich in der Angst nichts zu dencken, noch zu
machen fähig war, und in den miserablesten
Streit mit mir selbst verfiel, ob ich die Predigt
behalten, oder wieder aufkündigen solte. Auf-
zukündigen schien mir ein Mißtrauen zu seyn auf
GOttes Beystand; und zu behalten, kunte ich
mich auch schwer resolviren, weil ich nicht wuste,

was
P

nimbt gleichwol eine Predigt an
ſchen, der geſund im Gemuͤthe iſt; geſchweige
denn vor einen ſolchen angefochtenen, wo iedes
geringes Ding faͤhig iſt, die Angſt zu vermehren.
Truͤber Himmel, Sturm-Winde, Wetter,
Faße puͤchen ſehen ꝛc. machen alsdenn lauter
Aengſtlichkeit, und Zittern und Beben. Das
Schreyen der Pfauen, und das Kraͤhen der
Haͤhne, weil es eine Aehnlichkeit mit dem aͤngſt-
lichen Schreyen eines Menſchen hat, iſt einem
ſo zuwider, daß einer ſich kaum enthalten kan
ſelbſt zu ſchreyen. (Angelus in penna, pede
latro, voce gehenna,
lautet der Vers, den man
von den Pfauen gemacht hat.)

Dieſe meine betruͤbte Gedancken zu vertrei-
ben hatte ich mich eben den Dienſtag in der Mar-
ter-Woche, da ſie mir eben das erſtemahl auf-
geſtiegen, bewegen laſſen eine Predigt auf den
Oſter-Dienſtag in der Thomas-Kirche in der
Veſper anzunehmen. Jch hielte es zwar An-
fangs vor eine Schickung GOTTes; es wurde
mir aber gar bald eine neue Anfechtung draus,
alß ich in der Angſt nichts zu dencken, noch zu
machen faͤhig war, und in den miſerableſten
Streit mit mir ſelbſt verfiel, ob ich die Predigt
behalten, oder wieder aufkuͤndigen ſolte. Auf-
zukuͤndigen ſchien mir ein Mißtrauen zu ſeyn auf
GOttes Beyſtand; und zu behalten, kunte ich
mich auch ſchwer reſolviren, weil ich nicht wuſte,

was
P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="225"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nimbt gleichwol eine Predigt an</hi></fw><lb/>
&#x017F;chen, der ge&#x017F;und im Gemu&#x0364;the i&#x017F;t; ge&#x017F;chweige<lb/>
denn vor einen &#x017F;olchen angefochtenen, wo iedes<lb/>
geringes Ding fa&#x0364;hig i&#x017F;t, die Ang&#x017F;t zu vermehren.<lb/>
Tru&#x0364;ber Himmel, Sturm-Winde, Wetter,<lb/>
Faße pu&#x0364;chen &#x017F;ehen &#xA75B;c. machen alsdenn lauter<lb/>
Aeng&#x017F;tlichkeit, und Zittern und Beben. Das<lb/>
Schreyen der Pfauen, und das Kra&#x0364;hen der<lb/>
Ha&#x0364;hne, weil es eine Aehnlichkeit mit dem a&#x0364;ng&#x017F;t-<lb/>
lichen Schreyen eines Men&#x017F;chen hat, i&#x017F;t einem<lb/>
&#x017F;o zuwider, daß einer &#x017F;ich kaum enthalten kan<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;chreyen. (<hi rendition="#aq">Angelus in penna, pede<lb/>
latro, voce gehenna,</hi> lautet der Vers, den man<lb/>
von den Pfauen gemacht hat.)</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e meine betru&#x0364;bte Gedancken zu vertrei-<lb/>
ben hatte ich mich eben den Dien&#x017F;tag in der Mar-<lb/>
ter-Woche, da &#x017F;ie mir eben das er&#x017F;temahl auf-<lb/>
ge&#x017F;tiegen, bewegen la&#x017F;&#x017F;en eine Predigt auf den<lb/>
O&#x017F;ter-Dien&#x017F;tag in der Thomas-Kirche in der<lb/><hi rendition="#aq">Ve&#x017F;per</hi> anzunehmen. Jch hielte es zwar An-<lb/>
fangs vor eine Schickung GOTTes; es wurde<lb/>
mir aber gar bald eine neue Anfechtung draus,<lb/>
alß ich in der Ang&#x017F;t nichts zu dencken, noch zu<lb/>
machen fa&#x0364;hig war, und in den <hi rendition="#aq">mi&#x017F;erable&#x017F;t</hi>en<lb/>
Streit mit mir &#x017F;elb&#x017F;t verfiel, ob ich die Predigt<lb/>
behalten, oder wieder aufku&#x0364;ndigen &#x017F;olte. Auf-<lb/>
zuku&#x0364;ndigen &#x017F;chien mir ein Mißtrauen zu &#x017F;eyn auf<lb/>
GOttes Bey&#x017F;tand; und zu behalten, kunte ich<lb/>
mich auch &#x017F;chwer <hi rendition="#aq">re&#x017F;olvi</hi>ren, weil ich nicht wu&#x017F;te,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">P</hi></fw><fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0271] nimbt gleichwol eine Predigt an ſchen, der geſund im Gemuͤthe iſt; geſchweige denn vor einen ſolchen angefochtenen, wo iedes geringes Ding faͤhig iſt, die Angſt zu vermehren. Truͤber Himmel, Sturm-Winde, Wetter, Faße puͤchen ſehen ꝛc. machen alsdenn lauter Aengſtlichkeit, und Zittern und Beben. Das Schreyen der Pfauen, und das Kraͤhen der Haͤhne, weil es eine Aehnlichkeit mit dem aͤngſt- lichen Schreyen eines Menſchen hat, iſt einem ſo zuwider, daß einer ſich kaum enthalten kan ſelbſt zu ſchreyen. (Angelus in penna, pede latro, voce gehenna, lautet der Vers, den man von den Pfauen gemacht hat.) Dieſe meine betruͤbte Gedancken zu vertrei- ben hatte ich mich eben den Dienſtag in der Mar- ter-Woche, da ſie mir eben das erſtemahl auf- geſtiegen, bewegen laſſen eine Predigt auf den Oſter-Dienſtag in der Thomas-Kirche in der Veſper anzunehmen. Jch hielte es zwar An- fangs vor eine Schickung GOTTes; es wurde mir aber gar bald eine neue Anfechtung draus, alß ich in der Angſt nichts zu dencken, noch zu machen faͤhig war, und in den miſerableſten Streit mit mir ſelbſt verfiel, ob ich die Predigt behalten, oder wieder aufkuͤndigen ſolte. Auf- zukuͤndigen ſchien mir ein Mißtrauen zu ſeyn auf GOttes Beyſtand; und zu behalten, kunte ich mich auch ſchwer reſolviren, weil ich nicht wuſte, was P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/271
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/271>, abgerufen am 01.07.2024.