Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der Melancholicorum, allzusehr verzagt; so war ich zu einer andern Zeit, so offt das Geblüte dünner, und die Nerven stärcker, und die Säffte besser circulirten, desto kühner, und verwegener. Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald zu viel Hertze, und können zwischen Furcht und Zorn, Kleinmuth und Hochmuth selten lange in der Mittel-Straße bleiben. Jch informirte diesen Sommer A 1701. zwar im Frantzösischen und Jta- liänischen, wie ich die ersten zwey Jahr gethan hatte, auch so gar im Englischen; da ich aber noch nicht so fertig, sonderlich was das Frantzösische und Jtaliä- nische anbelanget, parliren kunte, als ich gerne wünschte, so fiel ich auf einen Anschlag, einen Sprach-Meister, oder sonst iemanden, der dieser Sprache mächtig, auf meine Stube zu nehmen, und ihm solche frey zu geben, damit ich Gelegen- heit hätte blos im parliren mit demselben mich zu exerciren. Meine Stube war dazumahl im Cramer-Hause, und samt der Cammer groß ge- nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten. Was geschah? Jch traff einen Sprach-Mei- ster an, und las ihn, so zu reden, auf der Gaße auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der mit gebundenen Büchern handelte, und auf der Grimmischen Straße, am Paulino seine Bude hatte, stehende, und discurirende. Jch ließ
mich
M 5
Nimbt einen Sprach-Meiſter
Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der Melancholicorum, allzuſehr verzagt; ſo war ich zu einer andern Zeit, ſo offt das Gebluͤte duͤnner, und die Nerven ſtaͤrcker, und die Saͤffte beſſer circulirten, deſto kuͤhner, und verwegener. Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald zu viel Hertze, und koͤnnen zwiſchen Furcht und Zorn, Kleinmuth und Hochmuth ſelten lange in der Mittel-Straße bleiben. Jch informirte dieſen Sommer A 1701. zwar im Frantzoͤſiſchen und Jta- liaͤniſchen, wie ich die erſten zwey Jahr gethan hatte, auch ſo gar im Engliſchen; da ich aber noch nicht ſo fertig, ſonderlich was das Frantzoͤſiſche und Jtaliaͤ- niſche anbelanget, parliren kunte, als ich gerne wuͤnſchte, ſo fiel ich auf einen Anſchlag, einen Sprach-Meiſter, oder ſonſt iemanden, der dieſer Sprache maͤchtig, auf meine Stube zu nehmen, und ihm ſolche frey zu geben, damit ich Gelegen- heit haͤtte blos im parliren mit demſelben mich zu exerciren. Meine Stube war dazumahl im Cramer-Hauſe, und ſamt der Cammer groß ge- nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten. Was geſchah? Jch traff einen Sprach-Mei- ſter an, und las ihn, ſo zu reden, auf der Gaße auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der mit gebundenen Buͤchern handelte, und auf der Grimmiſchen Straße, am Paulino ſeine Bude hatte, ſtehende, und diſcurirende. Jch ließ
mich
M 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0231"n="185"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Nimbt einen Sprach-Meiſter</hi></fw><lb/><p>Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der<lb/><hirendition="#aq">Melancholicorum,</hi> allzuſehr verzagt; ſo war ich<lb/>
zu einer andern Zeit, ſo offt das Gebluͤte duͤnner,<lb/>
und die Nerven ſtaͤrcker, und die Saͤffte beſſer<lb/><hirendition="#aq">circuli</hi>rten, deſto kuͤhner, und verwegener.<lb/>
Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald<lb/>
zu viel Hertze, und koͤnnen zwiſchen Furcht und<lb/>
Zorn, Kleinmuth und Hochmuth ſelten lange in<lb/>
der Mittel-Straße bleiben. Jch <hirendition="#aq">informi</hi>rte dieſen<lb/>
Sommer <hirendition="#aq">A</hi> 1701. zwar im Frantzoͤſiſchen und Jta-<lb/>
liaͤniſchen, wie ich die erſten zwey Jahr gethan hatte,<lb/>
auch ſo gar im Engliſchen; da ich aber noch nicht ſo<lb/>
fertig, ſonderlich was das Frantzoͤſiſche und Jtaliaͤ-<lb/>
niſche anbelanget, <hirendition="#aq">parli</hi>ren kunte, als ich gerne<lb/>
wuͤnſchte, ſo fiel ich auf einen Anſchlag, einen<lb/>
Sprach-Meiſter, oder ſonſt iemanden, der dieſer<lb/>
Sprache maͤchtig, auf meine Stube zu nehmen,<lb/>
und ihm ſolche frey zu geben, damit ich Gelegen-<lb/>
heit haͤtte blos im <hirendition="#aq">parli</hi>ren mit demſelben mich zu<lb/><hirendition="#aq">exerci</hi>ren. Meine Stube war dazumahl im<lb/>
Cramer-Hauſe, und ſamt der Cammer groß ge-<lb/>
nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten.<lb/>
Was geſchah? Jch traff einen Sprach-Mei-<lb/>ſter an, und las ihn, ſo zu reden, auf der Gaße<lb/>
auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der<lb/>
mit gebundenen Buͤchern handelte, und auf der<lb/>
Grimmiſchen Straße, am <hirendition="#aq">Paulino</hi>ſeine Bude<lb/>
hatte, ſtehende, und <hirendition="#aq">diſcuri</hi>rende. Jch ließ<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">mich</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0231]
Nimbt einen Sprach-Meiſter
Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der
Melancholicorum, allzuſehr verzagt; ſo war ich
zu einer andern Zeit, ſo offt das Gebluͤte duͤnner,
und die Nerven ſtaͤrcker, und die Saͤffte beſſer
circulirten, deſto kuͤhner, und verwegener.
Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald
zu viel Hertze, und koͤnnen zwiſchen Furcht und
Zorn, Kleinmuth und Hochmuth ſelten lange in
der Mittel-Straße bleiben. Jch informirte dieſen
Sommer A 1701. zwar im Frantzoͤſiſchen und Jta-
liaͤniſchen, wie ich die erſten zwey Jahr gethan hatte,
auch ſo gar im Engliſchen; da ich aber noch nicht ſo
fertig, ſonderlich was das Frantzoͤſiſche und Jtaliaͤ-
niſche anbelanget, parliren kunte, als ich gerne
wuͤnſchte, ſo fiel ich auf einen Anſchlag, einen
Sprach-Meiſter, oder ſonſt iemanden, der dieſer
Sprache maͤchtig, auf meine Stube zu nehmen,
und ihm ſolche frey zu geben, damit ich Gelegen-
heit haͤtte blos im parliren mit demſelben mich zu
exerciren. Meine Stube war dazumahl im
Cramer-Hauſe, und ſamt der Cammer groß ge-
nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten.
Was geſchah? Jch traff einen Sprach-Mei-
ſter an, und las ihn, ſo zu reden, auf der Gaße
auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der
mit gebundenen Buͤchern handelte, und auf der
Grimmiſchen Straße, am Paulino ſeine Bude
hatte, ſtehende, und diſcurirende. Jch ließ
mich
M 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/231>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.