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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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Nimbt einen Sprach-Meister

Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der
Melancholicorum, allzusehr verzagt; so war ich
zu einer andern Zeit, so offt das Geblüte dünner,
und die Nerven stärcker, und die Säffte besser
circulirten, desto kühner, und verwegener.
Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald
zu viel Hertze, und können zwischen Furcht und
Zorn, Kleinmuth und Hochmuth selten lange in
der Mittel-Straße bleiben. Jch informirte diesen
Sommer A 1701. zwar im Frantzösischen und Jta-
liänischen, wie ich die ersten zwey Jahr gethan hatte,
auch so gar im Englischen; da ich aber noch nicht so
fertig, sonderlich was das Frantzösische und Jtaliä-
nische anbelanget, parliren kunte, als ich gerne
wünschte, so fiel ich auf einen Anschlag, einen
Sprach-Meister, oder sonst iemanden, der dieser
Sprache mächtig, auf meine Stube zu nehmen,
und ihm solche frey zu geben, damit ich Gelegen-
heit hätte blos im parliren mit demselben mich zu
exerciren. Meine Stube war dazumahl im
Cramer-Hause, und samt der Cammer groß ge-
nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten.
Was geschah? Jch traff einen Sprach-Mei-
ster an, und las ihn, so zu reden, auf der Gaße
auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der
mit gebundenen Büchern handelte, und auf der
Grimmischen Straße, am Paulino seine Bude
hatte, stehende, und discurirende. Jch ließ

mich
M 5
Nimbt einen Sprach-Meiſter

Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der
Melancholicorum, allzuſehr verzagt; ſo war ich
zu einer andern Zeit, ſo offt das Gebluͤte duͤnner,
und die Nerven ſtaͤrcker, und die Saͤffte beſſer
circulirten, deſto kuͤhner, und verwegener.
Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald
zu viel Hertze, und koͤnnen zwiſchen Furcht und
Zorn, Kleinmuth und Hochmuth ſelten lange in
der Mittel-Straße bleiben. Jch informirte dieſen
Sommer A 1701. zwar im Frantzoͤſiſchen und Jta-
liaͤniſchen, wie ich die erſten zwey Jahr gethan hatte,
auch ſo gar im Engliſchen; da ich aber noch nicht ſo
fertig, ſonderlich was das Frantzoͤſiſche und Jtaliaͤ-
niſche anbelanget, parliren kunte, als ich gerne
wuͤnſchte, ſo fiel ich auf einen Anſchlag, einen
Sprach-Meiſter, oder ſonſt iemanden, der dieſer
Sprache maͤchtig, auf meine Stube zu nehmen,
und ihm ſolche frey zu geben, damit ich Gelegen-
heit haͤtte blos im parliren mit demſelben mich zu
exerciren. Meine Stube war dazumahl im
Cramer-Hauſe, und ſamt der Cammer groß ge-
nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten.
Was geſchah? Jch traff einen Sprach-Mei-
ſter an, und las ihn, ſo zu reden, auf der Gaße
auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der
mit gebundenen Buͤchern handelte, und auf der
Grimmiſchen Straße, am Paulino ſeine Bude
hatte, ſtehende, und diſcurirende. Jch ließ

mich
M 5
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[185/0231] Nimbt einen Sprach-Meiſter Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der Melancholicorum, allzuſehr verzagt; ſo war ich zu einer andern Zeit, ſo offt das Gebluͤte duͤnner, und die Nerven ſtaͤrcker, und die Saͤffte beſſer circulirten, deſto kuͤhner, und verwegener. Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald zu viel Hertze, und koͤnnen zwiſchen Furcht und Zorn, Kleinmuth und Hochmuth ſelten lange in der Mittel-Straße bleiben. Jch informirte dieſen Sommer A 1701. zwar im Frantzoͤſiſchen und Jta- liaͤniſchen, wie ich die erſten zwey Jahr gethan hatte, auch ſo gar im Engliſchen; da ich aber noch nicht ſo fertig, ſonderlich was das Frantzoͤſiſche und Jtaliaͤ- niſche anbelanget, parliren kunte, als ich gerne wuͤnſchte, ſo fiel ich auf einen Anſchlag, einen Sprach-Meiſter, oder ſonſt iemanden, der dieſer Sprache maͤchtig, auf meine Stube zu nehmen, und ihm ſolche frey zu geben, damit ich Gelegen- heit haͤtte blos im parliren mit demſelben mich zu exerciren. Meine Stube war dazumahl im Cramer-Hauſe, und ſamt der Cammer groß ge- nug, daß deren zwey darauf wohnen kunten. Was geſchah? Jch traff einen Sprach-Mei- ſter an, und las ihn, ſo zu reden, auf der Gaße auf. Jch fand ihn bey Herr Wetzeln, der mit gebundenen Buͤchern handelte, und auf der Grimmiſchen Straße, am Paulino ſeine Bude hatte, ſtehende, und diſcurirende. Jch ließ mich M 5

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/231>, abgerufen am 22.11.2024.