Nach meines Bruders Absehen solte ich 8. Tage daselbst bleiben, und mich ein wenig umsehen; aber gleichwie ich Sonnabends kommen, so rei- sete ich schon wieder Montags drauf mit dem Kutscher zurücke. So eine furchtsame, und miserable Creatur bin ich mein Lebtage gewe- sen, so daß der Geist der Zaghafftigkeit, und der Verzweiffelung mich offt bey den geringsten und nichtswürdigsten Fällen angefallen. Sein Logis verändern, und aus einem Hause ins an- dere zu ziehen, ist vielen nur eine geringe Sa- che, aus der sie sich nichts machen; mir aber hat solches in meinem Leben gemeiniglich so viel Angst, und Noth, und Sorgen gemacht, daß ich offt darüber in rechte Anfechtung gerathen, wie ich vielleicht hie, und da besser unten anmer- cken werde.
Doch ist die Furcht auch zu vielen Dingen gut. Sie hält einen von manchen Sünden ab, wozu andere Menschen Hertz, und Gele- genheit genug haben; insonderheit, wo man das Gifft der Sünden, und die Bitterkeit, wel- ches sie nach sich ziehet, einmahl schon geschme- cket hat. Und so man es ja wagen, und wiederum sündigen will, oder sich aus Schwach- heit zu etwas läst verleiten, was wider GOttes Gesetz ist; so ist diese Furcht dasjenige, was einem die genossene Lust sattsam vergället, und
das
wiederumb nach Hauſe
Nach meines Bruders Abſehen ſolte ich 8. Tage daſelbſt bleiben, und mich ein wenig umſehen; aber gleichwie ich Sonnabends kommen, ſo rei- ſete ich ſchon wieder Montags drauf mit dem Kutſcher zuruͤcke. So eine furchtſame, und miſerable Creatur bin ich mein Lebtage gewe- ſen, ſo daß der Geiſt der Zaghafftigkeit, und der Verzweiffelung mich offt bey den geringſten und nichtswuͤrdigſten Faͤllen angefallen. Sein Logis veraͤndern, und aus einem Hauſe ins an- dere zu ziehen, iſt vielen nur eine geringe Sa- che, aus der ſie ſich nichts machen; mir aber hat ſolches in meinem Leben gemeiniglich ſo viel Angſt, und Noth, und Sorgen gemacht, daß ich offt daruͤber in rechte Anfechtung gerathen, wie ich vielleicht hie, und da beſſer unten anmer- cken werde.
Doch iſt die Furcht auch zu vielen Dingen gut. Sie haͤlt einen von manchen Suͤnden ab, wozu andere Menſchen Hertz, und Gele- genheit genug haben; inſonderheit, wo man das Gifft der Suͤnden, und die Bitterkeit, wel- ches ſie nach ſich ziehet, einmahl ſchon geſchme- cket hat. Und ſo man es ja wagen, und wiederum ſuͤndigen will, oder ſich aus Schwach- heit zu etwas laͤſt verleiten, was wider GOttes Geſetz iſt; ſo iſt dieſe Furcht dasjenige, was einem die genoſſene Luſt ſattſam vergaͤllet, und
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wiederumb nach Hauſe
Nach meines Bruders Abſehen ſolte ich 8. Tage
daſelbſt bleiben, und mich ein wenig umſehen;
aber gleichwie ich Sonnabends kommen, ſo rei-
ſete ich ſchon wieder Montags drauf mit dem
Kutſcher zuruͤcke. So eine furchtſame, und
miſerable Creatur bin ich mein Lebtage gewe-
ſen, ſo daß der Geiſt der Zaghafftigkeit, und
der Verzweiffelung mich offt bey den geringſten
und nichtswuͤrdigſten Faͤllen angefallen. Sein
Logis veraͤndern, und aus einem Hauſe ins an-
dere zu ziehen, iſt vielen nur eine geringe Sa-
che, aus der ſie ſich nichts machen; mir aber
hat ſolches in meinem Leben gemeiniglich ſo viel
Angſt, und Noth, und Sorgen gemacht, daß
ich offt daruͤber in rechte Anfechtung gerathen,
wie ich vielleicht hie, und da beſſer unten anmer-
cken werde.
Doch iſt die Furcht auch zu vielen Dingen
gut. Sie haͤlt einen von manchen Suͤnden
ab, wozu andere Menſchen Hertz, und Gele-
genheit genug haben; inſonderheit, wo man
das Gifft der Suͤnden, und die Bitterkeit, wel-
ches ſie nach ſich ziehet, einmahl ſchon geſchme-
cket hat. Und ſo man es ja wagen, und
wiederum ſuͤndigen will, oder ſich aus Schwach-
heit zu etwas laͤſt verleiten, was wider GOttes
Geſetz iſt; ſo iſt dieſe Furcht dasjenige, was
einem die genoſſene Luſt ſattſam vergaͤllet, und
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/190>, abgerufen am 24.11.2024.
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