Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Stadt Glogau
kleine Reise gleichsam eine Praeparation auf die
große seyn, damit ich solche auszustehen desto ge-
schickter wäre. Jch hatte auch im Sinne,
meines Vaters Geburts-Stadt, Primcke-
nau,
zu sehen, so ein kleiner Ort, und nicht
weit von Glogau entfernet ist. Wie uns
mein Vater erzehlet, so waren seine Eltern
allem Ansehen nach wohlhabende Leute gewesen;
die Pest aber hatte dazumahl so gewaltig grassi-
ret, daß von 21. Personen, aus welchen seine
Familie bestanden, und die alle schier in einer
Nacht durch die Pest hingerissen worden, er
allein übrig geblieben. Und, weil er als ein
kleiner Junge nicht gewust, was er anfangen
sollen, so war er in der Tummheit so weit ge-
lauffen, so weit ihn seine Beine tragen können,
bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus
Erbarmen zu sich, und ihn in seinen Dienst ge-
nommen. Allein ich war kaum den andern
Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die
vorige Nacht, weil die Kutschen des Sommers
kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge-
schlafen hatte; siehe, so wolte ich schon wie-
der davon lauffen. Die Furcht und Ban-
gigkeit war so groß, daß ich glaube, ich wäre
in stockfinsterer Nacht wieder davon gegangen,
wenn mein Kutscher es zugelaßen hätte, und die
Thore nicht schon geschlossen gewesen wären.

Nach

Stadt Glogau
kleine Reiſe gleichſam eine Præparation auf die
große ſeyn, damit ich ſolche auszuſtehen deſto ge-
ſchickter waͤre. Jch hatte auch im Sinne,
meines Vaters Geburts-Stadt, Primcke-
nau,
zu ſehen, ſo ein kleiner Ort, und nicht
weit von Glogau entfernet iſt. Wie uns
mein Vater erzehlet, ſo waren ſeine Eltern
allem Anſehen nach wohlhabende Leute geweſen;
die Peſt aber hatte dazumahl ſo gewaltig graſſi-
ret, daß von 21. Perſonen, aus welchen ſeine
Familie beſtanden, und die alle ſchier in einer
Nacht durch die Peſt hingeriſſen worden, er
allein uͤbrig geblieben. Und, weil er als ein
kleiner Junge nicht gewuſt, was er anfangen
ſollen, ſo war er in der Tummheit ſo weit ge-
lauffen, ſo weit ihn ſeine Beine tragen koͤnnen,
bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus
Erbarmen zu ſich, und ihn in ſeinen Dienſt ge-
nommen. Allein ich war kaum den andern
Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die
vorige Nacht, weil die Kutſchen des Sommers
kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge-
ſchlafen hatte; ſiehe, ſo wolte ich ſchon wie-
der davon lauffen. Die Furcht und Ban-
gigkeit war ſo groß, daß ich glaube, ich waͤre
in ſtockfinſterer Nacht wieder davon gegangen,
wenn mein Kutſcher es zugelaßen haͤtte, und die
Thore nicht ſchon geſchloſſen geweſen waͤren.

Nach
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Stadt Glogau</hi></fw><lb/>
kleine Rei&#x017F;e gleich&#x017F;am eine <hi rendition="#aq">Præparation</hi> auf die<lb/>
große &#x017F;eyn, damit ich &#x017F;olche auszu&#x017F;tehen de&#x017F;to ge-<lb/>
&#x017F;chickter wa&#x0364;re. Jch hatte auch im Sinne,<lb/>
meines Vaters Geburts-Stadt, <hi rendition="#fr">Primcke-<lb/>
nau,</hi> zu &#x017F;ehen, &#x017F;o ein kleiner Ort, und nicht<lb/>
weit von Glogau entfernet i&#x017F;t. Wie uns<lb/>
mein Vater erzehlet, &#x017F;o waren &#x017F;eine Eltern<lb/>
allem An&#x017F;ehen nach wohlhabende Leute gewe&#x017F;en;<lb/>
die Pe&#x017F;t aber hatte dazumahl &#x017F;o gewaltig <hi rendition="#aq">gra&#x017F;&#x017F;i-</hi><lb/>
ret, daß von 21. Per&#x017F;onen, aus welchen &#x017F;eine<lb/>
Familie be&#x017F;tanden, und die alle &#x017F;chier in einer<lb/>
Nacht durch die Pe&#x017F;t hingeri&#x017F;&#x017F;en worden, er<lb/>
allein u&#x0364;brig geblieben. Und, weil er als ein<lb/>
kleiner Junge nicht gewu&#x017F;t, was er anfangen<lb/>
&#x017F;ollen, &#x017F;o war er in der Tummheit &#x017F;o weit ge-<lb/>
lauffen, &#x017F;o weit ihn &#x017F;eine Beine tragen ko&#x0364;nnen,<lb/>
bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus<lb/>
Erbarmen zu &#x017F;ich, und ihn in &#x017F;einen Dien&#x017F;t ge-<lb/>
nommen. Allein ich war kaum den andern<lb/>
Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die<lb/>
vorige Nacht, weil die Kut&#x017F;chen des Sommers<lb/>
kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge-<lb/>
&#x017F;chlafen hatte; &#x017F;iehe, &#x017F;o wolte ich &#x017F;chon wie-<lb/>
der davon lauffen. Die Furcht und Ban-<lb/>
gigkeit war &#x017F;o groß, daß ich glaube, ich wa&#x0364;re<lb/>
in &#x017F;tockfin&#x017F;terer Nacht wieder davon gegangen,<lb/>
wenn mein Kut&#x017F;cher es zugelaßen ha&#x0364;tte, und die<lb/>
Thore nicht &#x017F;chon ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nach</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0189] Stadt Glogau kleine Reiſe gleichſam eine Præparation auf die große ſeyn, damit ich ſolche auszuſtehen deſto ge- ſchickter waͤre. Jch hatte auch im Sinne, meines Vaters Geburts-Stadt, Primcke- nau, zu ſehen, ſo ein kleiner Ort, und nicht weit von Glogau entfernet iſt. Wie uns mein Vater erzehlet, ſo waren ſeine Eltern allem Anſehen nach wohlhabende Leute geweſen; die Peſt aber hatte dazumahl ſo gewaltig graſſi- ret, daß von 21. Perſonen, aus welchen ſeine Familie beſtanden, und die alle ſchier in einer Nacht durch die Peſt hingeriſſen worden, er allein uͤbrig geblieben. Und, weil er als ein kleiner Junge nicht gewuſt, was er anfangen ſollen, ſo war er in der Tummheit ſo weit ge- lauffen, ſo weit ihn ſeine Beine tragen koͤnnen, bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus Erbarmen zu ſich, und ihn in ſeinen Dienſt ge- nommen. Allein ich war kaum den andern Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die vorige Nacht, weil die Kutſchen des Sommers kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge- ſchlafen hatte; ſiehe, ſo wolte ich ſchon wie- der davon lauffen. Die Furcht und Ban- gigkeit war ſo groß, daß ich glaube, ich waͤre in ſtockfinſterer Nacht wieder davon gegangen, wenn mein Kutſcher es zugelaßen haͤtte, und die Thore nicht ſchon geſchloſſen geweſen waͤren. Nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/189
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/189>, abgerufen am 15.10.2024.