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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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Augen nach oben, Erweiterung und Trägheit der Pupillen
und einmal unwillkürlicher Abgang von Urin. Unmittel-
bar nach dem Anfall hängende Gesichtszüge, einmal be-
ständiges Drehen des Körpers nach links; etwas später
eine Zeitlang Schwerbesinnlichkeit, namentlich kann Pa-
tient öfter die rechten Worte nicht finden, schreibt auch
einmal confus, während er alle Buchstaben richtig erkennt.
Nach einer, bis einigen Stunden sind in der Regel sämmt-
liche Folgen eines solchen Anfalls vorüber; nie blieb nach
demselben eine Spur einer Lähmung oder einseitigen
Schwäche zurück.

Diese Anfälle wiederholten sich im Jahre 1883 und
besonders 1884 ziemlich häufig. Sie hinterliessen eine
mehr und mehr sich steigernde körperliche Schwäche und
auch die Stimmung wurde eine äusserst gedrückte und
reizbare. Die Intelligenz blieb im Ganzen merkwürdig
erhalten. Nachdem am 30. August 1884 wieder ein An-
fall eingetreten war, welcher wie die früheren ohne un-
mittelbare Folgen vorüberging, starb Patient am 1. Sep-
tember apoplectisch.

Zufällig war der Hausarzt um diese Zeit verreist und
den stellvertretenden Aerzten Herrn Dr. R. Elben und
Herrn Dr. Reuss junior war meine frühere Behandlung
des Kranken unbekannt geblieben. Aus diesem Grunde
wurde ich, zu ihrem nachträglichen Bedauern, nicht auf-
gefordert, der Section beizuwohnen, jedoch stellten sie
mir das Protocoll bereitwilligst zur Verfügung. Das-
selbe lautet:

"Dura mater am Schädeldach sehr fest anhängend,
Längsblutleiter leer, weiche Gehirnhäute normal; hie und
da unter denselben (linkerseits) Blutsuffusionen durch-
scheinend. Gehirnwindungen abgeflacht. Gehirnsubstanz
sehr matsch (Fäulniss?), reisst beim Herausnehmen ein
und es ergiesst sich aus dem in den Ventrikel führenden
Riss flüssiges dunkles Blut. Ventrikel beiderseits hoch-

Augen nach oben, Erweiterung und Trägheit der Pupillen
und einmal unwillkürlicher Abgang von Urin. Unmittel-
bar nach dem Anfall hängende Gesichtszüge, einmal be-
ständiges Drehen des Körpers nach links; etwas später
eine Zeitlang Schwerbesinnlichkeit, namentlich kann Pa-
tient öfter die rechten Worte nicht finden, schreibt auch
einmal confus, während er alle Buchstaben richtig erkennt.
Nach einer, bis einigen Stunden sind in der Regel sämmt-
liche Folgen eines solchen Anfalls vorüber; nie blieb nach
demselben eine Spur einer Lähmung oder einseitigen
Schwäche zurück.

Diese Anfälle wiederholten sich im Jahre 1883 und
besonders 1884 ziemlich häufig. Sie hinterliessen eine
mehr und mehr sich steigernde körperliche Schwäche und
auch die Stimmung wurde eine äusserst gedrückte und
reizbare. Die Intelligenz blieb im Ganzen merkwürdig
erhalten. Nachdem am 30. August 1884 wieder ein An-
fall eingetreten war, welcher wie die früheren ohne un-
mittelbare Folgen vorüberging, starb Patient am 1. Sep-
tember apoplectisch.

Zufällig war der Hausarzt um diese Zeit verreist und
den stellvertretenden Aerzten Herrn Dr. R. Elben und
Herrn Dr. Reuss junior war meine frühere Behandlung
des Kranken unbekannt geblieben. Aus diesem Grunde
wurde ich, zu ihrem nachträglichen Bedauern, nicht auf-
gefordert, der Section beizuwohnen, jedoch stellten sie
mir das Protocoll bereitwilligst zur Verfügung. Das-
selbe lautet:

„Dura mater am Schädeldach sehr fest anhängend,
Längsblutleiter leer, weiche Gehirnhäute normal; hie und
da unter denselben (linkerseits) Blutsuffusionen durch-
scheinend. Gehirnwindungen abgeflacht. Gehirnsubstanz
sehr matsch (Fäulniss?), reisst beim Herausnehmen ein
und es ergiesst sich aus dem in den Ventrikel führenden
Riss flüssiges dunkles Blut. Ventrikel beiderseits hoch-

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[7/0011] Augen nach oben, Erweiterung und Trägheit der Pupillen und einmal unwillkürlicher Abgang von Urin. Unmittel- bar nach dem Anfall hängende Gesichtszüge, einmal be- ständiges Drehen des Körpers nach links; etwas später eine Zeitlang Schwerbesinnlichkeit, namentlich kann Pa- tient öfter die rechten Worte nicht finden, schreibt auch einmal confus, während er alle Buchstaben richtig erkennt. Nach einer, bis einigen Stunden sind in der Regel sämmt- liche Folgen eines solchen Anfalls vorüber; nie blieb nach demselben eine Spur einer Lähmung oder einseitigen Schwäche zurück. Diese Anfälle wiederholten sich im Jahre 1883 und besonders 1884 ziemlich häufig. Sie hinterliessen eine mehr und mehr sich steigernde körperliche Schwäche und auch die Stimmung wurde eine äusserst gedrückte und reizbare. Die Intelligenz blieb im Ganzen merkwürdig erhalten. Nachdem am 30. August 1884 wieder ein An- fall eingetreten war, welcher wie die früheren ohne un- mittelbare Folgen vorüberging, starb Patient am 1. Sep- tember apoplectisch. Zufällig war der Hausarzt um diese Zeit verreist und den stellvertretenden Aerzten Herrn Dr. R. Elben und Herrn Dr. Reuss junior war meine frühere Behandlung des Kranken unbekannt geblieben. Aus diesem Grunde wurde ich, zu ihrem nachträglichen Bedauern, nicht auf- gefordert, der Section beizuwohnen, jedoch stellten sie mir das Protocoll bereitwilligst zur Verfügung. Das- selbe lautet: „Dura mater am Schädeldach sehr fest anhängend, Längsblutleiter leer, weiche Gehirnhäute normal; hie und da unter denselben (linkerseits) Blutsuffusionen durch- scheinend. Gehirnwindungen abgeflacht. Gehirnsubstanz sehr matsch (Fäulniss?), reisst beim Herausnehmen ein und es ergiesst sich aus dem in den Ventrikel führenden Riss flüssiges dunkles Blut. Ventrikel beiderseits hoch-

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/11>, abgerufen am 23.04.2024.