Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Alpstubete oder Aelplerfest. Ritter und Reisigen schmetterten und sie zu Boden warfen. Hierists nur Scherz, fast nur ein Kinderspiel im Großen, und doch bekundet es den streitbaren, männlich sich rüstenden Geist, der in diesem Bergvolke lebt und webt. Mit festen Händen umspannt der Senn den Laststein, hebt ihn scheinbar leicht sich auf die Schul¬ ter, während die innere Fläche der rechten Hand ihn eigentlich trägt. Das Ziel, das er im Wurfe erreichen will, ist etwa ein Dutzend Schritte vor ihm abgesteckt. Im wiegenden Schwanken des Oberkörpers sucht er den rechten Augenblick abzupassen, und plötzlich den Arm ausstoßend wirft er den Stein dem Ziele zu. Es gilt gewöhnlich eine Wette, die durch ein Halbes Wein aus¬ geglichen wird. Turnübungen wurden von den Aelplern naturalistisch schon Alpſtubete oder Aelplerfeſt. Ritter und Reiſigen ſchmetterten und ſie zu Boden warfen. Hieriſts nur Scherz, faſt nur ein Kinderſpiel im Großen, und doch bekundet es den ſtreitbaren, männlich ſich rüſtenden Geiſt, der in dieſem Bergvolke lebt und webt. Mit feſten Händen umſpannt der Senn den Laſtſtein, hebt ihn ſcheinbar leicht ſich auf die Schul¬ ter, während die innere Fläche der rechten Hand ihn eigentlich trägt. Das Ziel, das er im Wurfe erreichen will, iſt etwa ein Dutzend Schritte vor ihm abgeſteckt. Im wiegenden Schwanken des Oberkörpers ſucht er den rechten Augenblick abzupaſſen, und plötzlich den Arm ausſtoßend wirft er den Stein dem Ziele zu. Es gilt gewöhnlich eine Wette, die durch ein Halbes Wein aus¬ geglichen wird. Turnübungen wurden von den Aelplern naturaliſtiſch ſchon <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0435" n="391"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpſtubete</hi><hi rendition="#fr">oder</hi><hi rendition="#fr #g">Aelplerfeſt.</hi><lb/></fw>Ritter und Reiſigen ſchmetterten und ſie zu Boden warfen. Hier<lb/> iſts nur Scherz, faſt nur ein Kinderſpiel im Großen, und doch<lb/> bekundet es den ſtreitbaren, männlich ſich rüſtenden Geiſt, der in<lb/> dieſem Bergvolke lebt und webt. Mit feſten Händen umſpannt<lb/> der Senn den Laſtſtein, hebt ihn ſcheinbar leicht ſich auf die Schul¬<lb/> ter, während die innere Fläche der rechten Hand ihn eigentlich<lb/> trägt. Das Ziel, das er im Wurfe erreichen will, iſt etwa ein<lb/> Dutzend Schritte vor ihm abgeſteckt. Im wiegenden Schwanken<lb/> des Oberkörpers ſucht er den rechten Augenblick abzupaſſen, und<lb/> plötzlich den Arm ausſtoßend wirft er den Stein dem Ziele zu.<lb/> Es gilt gewöhnlich eine Wette, die durch ein Halbes Wein aus¬<lb/> geglichen wird.</p><lb/> <p>Turnübungen wurden von den Aelplern naturaliſtiſch ſchon<lb/> Jahrhunderte lang exerzirt, bevor der „Demagogen-Jahn“ und<lb/> Vater Maßmann auf der Haſenhaide die erſten Lektionen gaben.<lb/> Das Klettertalent der Geißbuben iſt ebenſo alt als ihr Stand,<lb/> und von der Sicherheit des Schuſſes legte Wilhelm Tell ſchon vor<lb/> mehr als 500 Jahren eine hiſtoriſch gewordene Probe ab. Die<lb/> unterhaltendſte aber von allen Turnerfähigkeiten können wir auf<lb/> unſerem heutigen Aelplerfeſte ſehen; es iſt das „<hi rendition="#g">Schwingen</hi>“<lb/> oder der „Hoſenlupf“. Im Lande Appenzell ſind ſie unmittelbar im<lb/> Gefolge einer Alpſtubete; im Entlibuch und Emmenthal, im Berner<lb/> Oberlande und im Kanton Unterwalden beſtehen ſie als ſelbſteigene<lb/> Volksfeſte, die aber ebenſo wie dort die Stubeten ihre unabän¬<lb/> derlich feſten Tage haben. So finden deren auf der Wengenalp<lb/> und auf der Großen Scheideck am Fuße des Wetterhornes ſtatt, —<lb/> jenes von den Grindelwaldnern und Lauterbrunnern, dieſes von den<lb/> Grindelwaldnern und Bewohnern des Haslithales beſucht. Ge¬<lb/> wöhnlich iſts auf einer Gränzalp, zu der von beiden Thalſeiten<lb/> die kampfesluſtigen Jünglinge hinaufſteigen. Denn es kommt<lb/> darauf an, daß zwiſchen den Parteien zweier Thalſchaften die<lb/> eine den Sieg über die andere erringe. Begreiflich iſts, daß die,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [391/0435]
Alpſtubete oder Aelplerfeſt.
Ritter und Reiſigen ſchmetterten und ſie zu Boden warfen. Hier
iſts nur Scherz, faſt nur ein Kinderſpiel im Großen, und doch
bekundet es den ſtreitbaren, männlich ſich rüſtenden Geiſt, der in
dieſem Bergvolke lebt und webt. Mit feſten Händen umſpannt
der Senn den Laſtſtein, hebt ihn ſcheinbar leicht ſich auf die Schul¬
ter, während die innere Fläche der rechten Hand ihn eigentlich
trägt. Das Ziel, das er im Wurfe erreichen will, iſt etwa ein
Dutzend Schritte vor ihm abgeſteckt. Im wiegenden Schwanken
des Oberkörpers ſucht er den rechten Augenblick abzupaſſen, und
plötzlich den Arm ausſtoßend wirft er den Stein dem Ziele zu.
Es gilt gewöhnlich eine Wette, die durch ein Halbes Wein aus¬
geglichen wird.
Turnübungen wurden von den Aelplern naturaliſtiſch ſchon
Jahrhunderte lang exerzirt, bevor der „Demagogen-Jahn“ und
Vater Maßmann auf der Haſenhaide die erſten Lektionen gaben.
Das Klettertalent der Geißbuben iſt ebenſo alt als ihr Stand,
und von der Sicherheit des Schuſſes legte Wilhelm Tell ſchon vor
mehr als 500 Jahren eine hiſtoriſch gewordene Probe ab. Die
unterhaltendſte aber von allen Turnerfähigkeiten können wir auf
unſerem heutigen Aelplerfeſte ſehen; es iſt das „Schwingen“
oder der „Hoſenlupf“. Im Lande Appenzell ſind ſie unmittelbar im
Gefolge einer Alpſtubete; im Entlibuch und Emmenthal, im Berner
Oberlande und im Kanton Unterwalden beſtehen ſie als ſelbſteigene
Volksfeſte, die aber ebenſo wie dort die Stubeten ihre unabän¬
derlich feſten Tage haben. So finden deren auf der Wengenalp
und auf der Großen Scheideck am Fuße des Wetterhornes ſtatt, —
jenes von den Grindelwaldnern und Lauterbrunnern, dieſes von den
Grindelwaldnern und Bewohnern des Haslithales beſucht. Ge¬
wöhnlich iſts auf einer Gränzalp, zu der von beiden Thalſeiten
die kampfesluſtigen Jünglinge hinaufſteigen. Denn es kommt
darauf an, daß zwiſchen den Parteien zweier Thalſchaften die
eine den Sieg über die andere erringe. Begreiflich iſts, daß die,
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