noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬ zen Körper, und stampft mit den Füßen metrisch den Takt zu seinen musikalischen Arabesken. Der arme Narr schwitzt über und über, und um bei seiner schweren Arbeit wenigstens einigen Schutz zu haben, so hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen Familien-Regenschirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter sich aufgerichtet, in dessen leuchtendem Schatten er sein Tagewerk vollbringt.
Just so ists dem Volke recht; das ist die Musik, die es sucht und haben will. Stellt ihm die Virtuosen einer fürstlichen Kapelle hin; -- mit aller ihrer Präcision und Glockenreinheit im Spiel vermögen sie es nicht, das sinnenberauschte Alpenvölklein so auf dieser zitternden Höhe der Glückseligkeit zu erhalten und zu balan¬ ciren, als der verschmitzte, diabolisch-anspannende Dorfgeiger. -- Und nun der Reigentanz selbst, der uralte, den heute noch die Indianer und wilden Völker bei ihren Festen tanzen, der große, runde Ring von Menschen-Armen, die zu einer Kette verschlungen, den braunbemoosten Felsenklotz umjauchzen. Was ist das noch ein primitives Springen und Bewegen im Vergleich mit dem ästhetisch¬ feenhaften Schweben der Kunsttänze auf unseren Soireen und Bällen! Und dennoch ist Grazie und Anmuth darin, weil Natür¬ lichkeit aus jeder Körperwendung schaut. Die Buben haben sich bei den Händen gefaßt, und in jeder solcher männlichen Armfessel lehnt, sich sicher wiegend, die Sennerin, indem sie ihre Arme leicht und nachlässig auf die Schultern ihrer beiden Tanznachbarn legt. Es liegt eine schelmische Koketterie in diesem Geflecht, die unge¬ meinen Reiz hat und wellenhaft schöne Formen darbietet. Da¬ neben werden Extratouren gegeben. Ein Bursch, dems in den Füßen zittert und zuckt, als ob ein galvanischer Strom ihn durch¬ brause, hat seine Tänzerin mit beiden Händen beim Mieder gefaßt, rundwirbelt kreiselartig auf einem Plätzchen, das eben groß genug ist, um vier menschlichen Füßen Raum zu gewähren, durchbohrt
AlpſtubeteoderAelplerfeſt.
noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬ zen Körper, und ſtampft mit den Füßen metriſch den Takt zu ſeinen muſikaliſchen Arabesken. Der arme Narr ſchwitzt über und über, und um bei ſeiner ſchweren Arbeit wenigſtens einigen Schutz zu haben, ſo hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen Familien-Regenſchirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter ſich aufgerichtet, in deſſen leuchtendem Schatten er ſein Tagewerk vollbringt.
Juſt ſo iſts dem Volke recht; das iſt die Muſik, die es ſucht und haben will. Stellt ihm die Virtuoſen einer fürſtlichen Kapelle hin; — mit aller ihrer Präciſion und Glockenreinheit im Spiel vermögen ſie es nicht, das ſinnenberauſchte Alpenvölklein ſo auf dieſer zitternden Höhe der Glückſeligkeit zu erhalten und zu balan¬ ciren, als der verſchmitzte, diaboliſch-anſpannende Dorfgeiger. — Und nun der Reigentanz ſelbſt, der uralte, den heute noch die Indianer und wilden Völker bei ihren Feſten tanzen, der große, runde Ring von Menſchen-Armen, die zu einer Kette verſchlungen, den braunbemooſten Felſenklotz umjauchzen. Was iſt das noch ein primitives Springen und Bewegen im Vergleich mit dem äſthetiſch¬ feenhaften Schweben der Kunſttänze auf unſeren Soireen und Bällen! Und dennoch iſt Grazie und Anmuth darin, weil Natür¬ lichkeit aus jeder Körperwendung ſchaut. Die Buben haben ſich bei den Händen gefaßt, und in jeder ſolcher männlichen Armfeſſel lehnt, ſich ſicher wiegend, die Sennerin, indem ſie ihre Arme leicht und nachläſſig auf die Schultern ihrer beiden Tanznachbarn legt. Es liegt eine ſchelmiſche Koketterie in dieſem Geflecht, die unge¬ meinen Reiz hat und wellenhaft ſchöne Formen darbietet. Da¬ neben werden Extratouren gegeben. Ein Burſch, dems in den Füßen zittert und zuckt, als ob ein galvaniſcher Strom ihn durch¬ brauſe, hat ſeine Tänzerin mit beiden Händen beim Mieder gefaßt, rundwirbelt kreiſelartig auf einem Plätzchen, das eben groß genug iſt, um vier menſchlichen Füßen Raum zu gewähren, durchbohrt
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Alpſtubete oder Aelplerfeſt.
noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬
zen Körper, und ſtampft mit den Füßen metriſch den Takt zu ſeinen
muſikaliſchen Arabesken. Der arme Narr ſchwitzt über und über,
und um bei ſeiner ſchweren Arbeit wenigſtens einigen Schutz zu
haben, ſo hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen
Familien-Regenſchirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter
ſich aufgerichtet, in deſſen leuchtendem Schatten er ſein Tagewerk
vollbringt.
Juſt ſo iſts dem Volke recht; das iſt die Muſik, die es ſucht
und haben will. Stellt ihm die Virtuoſen einer fürſtlichen Kapelle
hin; — mit aller ihrer Präciſion und Glockenreinheit im Spiel
vermögen ſie es nicht, das ſinnenberauſchte Alpenvölklein ſo auf
dieſer zitternden Höhe der Glückſeligkeit zu erhalten und zu balan¬
ciren, als der verſchmitzte, diaboliſch-anſpannende Dorfgeiger. —
Und nun der Reigentanz ſelbſt, der uralte, den heute noch die
Indianer und wilden Völker bei ihren Feſten tanzen, der große,
runde Ring von Menſchen-Armen, die zu einer Kette verſchlungen,
den braunbemooſten Felſenklotz umjauchzen. Was iſt das noch ein
primitives Springen und Bewegen im Vergleich mit dem äſthetiſch¬
feenhaften Schweben der Kunſttänze auf unſeren Soireen und
Bällen! Und dennoch iſt Grazie und Anmuth darin, weil Natür¬
lichkeit aus jeder Körperwendung ſchaut. Die Buben haben ſich
bei den Händen gefaßt, und in jeder ſolcher männlichen Armfeſſel
lehnt, ſich ſicher wiegend, die Sennerin, indem ſie ihre Arme leicht
und nachläſſig auf die Schultern ihrer beiden Tanznachbarn legt.
Es liegt eine ſchelmiſche Koketterie in dieſem Geflecht, die unge¬
meinen Reiz hat und wellenhaft ſchöne Formen darbietet. Da¬
neben werden Extratouren gegeben. Ein Burſch, dems in den
Füßen zittert und zuckt, als ob ein galvaniſcher Strom ihn durch¬
brauſe, hat ſeine Tänzerin mit beiden Händen beim Mieder gefaßt,
rundwirbelt kreiſelartig auf einem Plätzchen, das eben groß genug
iſt, um vier menſchlichen Füßen Raum zu gewähren, durchbohrt
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/433>, abgerufen am 24.06.2024.
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