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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Hospitien.
dort wieder einige Stunden bis ins Wallis hinab, und zwar sehr
anstrengenden, im Winter höchst gefährlichen Weges. Eine gute
Rast wird also zur unabweisbaren Nothwendigkeit, und zu diesem
Zwecke war eigentlich das Grimselspital gestiftet worden.

Der Staatsanwalt mußte bei Zybach den Antrag auf Todes¬
strafe stellen, und das Urtheil der Assisen des Berner Oberlandes
lautete: Todesstrafe, während die Complicen zu zwölfjährigen Ketten
verurtheilt wurden. Die von Zybach an den Großen Rath des
Kantons gerichtete Appellation wandelte im Wege der Gnade die
Todesstrafe in lebenslängliches Zuchthaus um, weil Zybach während
seiner ganzen Lebenszeit ein rechtschaffener Ehrenmann und vor¬
trefflicher Familien-Vater gewesen war, und als der Unglückliche
einige Jahre seiner Strafe abgebüßt hatte und die Aerzte erklärten:
eine Veränderung seines Aufenthaltes sei nothwendig, wenn man
ihn nicht faktisch todtschlagen wolle, wurde ihm auf Verwenden
seiner Familie die übrige Strafzeit vollends erlassen unter der
Bedingung, daß er nach Amerika auswandere. Jetzt lebt der
unglückliche Mann unerkannt, unter einem anderen Namen in
Deutschland. Wo? weiß Niemand. Das Grimselhospiz ist aber
vergrößert und zweckmäßiger eingerichtet wieder neu erbaut und
allsommerlich der Sammelplatz der Touristenwelt.

Dies sind die großen, weltbekannten, vielgenannten Alpen¬
hospitien. Es giebt ihrer aber noch eine Hand voll, die nicht
bekannt und gerühmt, wenig besucht und noch weniger von der
Freigebigkeit mildthätiger Menschen bedacht, ein stilles, einsames
Leben verkümmern; es sind jene kleinen, mittellosen Zufluchtsstätten
am alten Alpen-Wanderweg des Lukmanier, die von armen Bauern
bewirthschaftet werden. In der Tiefe des Val Blegno, hinter
Olivone schlangelt sich der Weg zur Paßhöhe hinauf, und hier
liegen, je in einigen Stunden Entfernung, die beiden kleinen
Samariter-Häuser zu Casaccia und Camperio. Sie wurden vom
heil. Carlo Borromeo gestiftet aus den Mitteln der von ihm auf¬

Die Hospitien.
dort wieder einige Stunden bis ins Wallis hinab, und zwar ſehr
anſtrengenden, im Winter höchſt gefährlichen Weges. Eine gute
Raſt wird alſo zur unabweisbaren Nothwendigkeit, und zu dieſem
Zwecke war eigentlich das Grimſelſpital geſtiftet worden.

Der Staatsanwalt mußte bei Zybach den Antrag auf Todes¬
ſtrafe ſtellen, und das Urtheil der Aſſiſen des Berner Oberlandes
lautete: Todesſtrafe, während die Complicen zu zwölfjährigen Ketten
verurtheilt wurden. Die von Zybach an den Großen Rath des
Kantons gerichtete Appellation wandelte im Wege der Gnade die
Todesſtrafe in lebenslängliches Zuchthaus um, weil Zybach während
ſeiner ganzen Lebenszeit ein rechtſchaffener Ehrenmann und vor¬
trefflicher Familien-Vater geweſen war, und als der Unglückliche
einige Jahre ſeiner Strafe abgebüßt hatte und die Aerzte erklärten:
eine Veränderung ſeines Aufenthaltes ſei nothwendig, wenn man
ihn nicht faktiſch todtſchlagen wolle, wurde ihm auf Verwenden
ſeiner Familie die übrige Strafzeit vollends erlaſſen unter der
Bedingung, daß er nach Amerika auswandere. Jetzt lebt der
unglückliche Mann unerkannt, unter einem anderen Namen in
Deutſchland. Wo? weiß Niemand. Das Grimſelhoſpiz iſt aber
vergrößert und zweckmäßiger eingerichtet wieder neu erbaut und
allſommerlich der Sammelplatz der Touriſtenwelt.

Dies ſind die großen, weltbekannten, vielgenannten Alpen¬
hospitien. Es giebt ihrer aber noch eine Hand voll, die nicht
bekannt und gerühmt, wenig beſucht und noch weniger von der
Freigebigkeit mildthätiger Menſchen bedacht, ein ſtilles, einſames
Leben verkümmern; es ſind jene kleinen, mittelloſen Zufluchtsſtätten
am alten Alpen-Wanderweg des Lukmanier, die von armen Bauern
bewirthſchaftet werden. In der Tiefe des Val Blegno, hinter
Olivone ſchlangelt ſich der Weg zur Paßhöhe hinauf, und hier
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[329/0365] Die Hospitien. dort wieder einige Stunden bis ins Wallis hinab, und zwar ſehr anſtrengenden, im Winter höchſt gefährlichen Weges. Eine gute Raſt wird alſo zur unabweisbaren Nothwendigkeit, und zu dieſem Zwecke war eigentlich das Grimſelſpital geſtiftet worden. Der Staatsanwalt mußte bei Zybach den Antrag auf Todes¬ ſtrafe ſtellen, und das Urtheil der Aſſiſen des Berner Oberlandes lautete: Todesſtrafe, während die Complicen zu zwölfjährigen Ketten verurtheilt wurden. Die von Zybach an den Großen Rath des Kantons gerichtete Appellation wandelte im Wege der Gnade die Todesſtrafe in lebenslängliches Zuchthaus um, weil Zybach während ſeiner ganzen Lebenszeit ein rechtſchaffener Ehrenmann und vor¬ trefflicher Familien-Vater geweſen war, und als der Unglückliche einige Jahre ſeiner Strafe abgebüßt hatte und die Aerzte erklärten: eine Veränderung ſeines Aufenthaltes ſei nothwendig, wenn man ihn nicht faktiſch todtſchlagen wolle, wurde ihm auf Verwenden ſeiner Familie die übrige Strafzeit vollends erlaſſen unter der Bedingung, daß er nach Amerika auswandere. Jetzt lebt der unglückliche Mann unerkannt, unter einem anderen Namen in Deutſchland. Wo? weiß Niemand. Das Grimſelhoſpiz iſt aber vergrößert und zweckmäßiger eingerichtet wieder neu erbaut und allſommerlich der Sammelplatz der Touriſtenwelt. Dies ſind die großen, weltbekannten, vielgenannten Alpen¬ hospitien. Es giebt ihrer aber noch eine Hand voll, die nicht bekannt und gerühmt, wenig beſucht und noch weniger von der Freigebigkeit mildthätiger Menſchen bedacht, ein ſtilles, einſames Leben verkümmern; es ſind jene kleinen, mittelloſen Zufluchtsſtätten am alten Alpen-Wanderweg des Lukmanier, die von armen Bauern bewirthſchaftet werden. In der Tiefe des Val Blegno, hinter Olivone ſchlangelt ſich der Weg zur Paßhöhe hinauf, und hier liegen, je in einigen Stunden Entfernung, die beiden kleinen Samariter-Häuſer zu Caſaccia und Camperio. Sie wurden vom heil. Carlo Borromeo geſtiftet aus den Mitteln der von ihm auf¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/365>, abgerufen am 22.11.2024.