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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Hospitien.
gehobenen Humiliaten-Orden, die seinen reformatorischen Bestre¬
bungen sich widersetzten, sind aber jetzt so unendlich verarmt, daß
sie nur mehr den Namen noch tragen, als ihren Zweck erfüllen.
Noch weit verkommener und aller Unterstützungs-Mittel beraubt
sind vollends jene drei, die auf der graubündnerischen Seite des
Berges liegen: Santa Maria, das ganz ärmliche und unsaubere
San Gallo, und tiefer San Johann ohne Lebensmittel und jeg¬
liche Gabe. Das ehemals reiche Kloster Dissentis sollte sie ur¬
kundlich ausstatten und verpflegen; seit aber die Mönche selbst
nicht viel haben und sie wegen unordentlicher Haushaltung vom
Staate gewissermaßen bevormundet werden mußten, geben diese
Wohlthätigkeits-Anstalten immer mehr ihrem gänzlichen Ruin ent¬
gegen. Ein klein wenig besser ist das Ospizio in Valle bei
Airolo und jenes All' Acqua (beim Wasserfall des heil. Carl) im
Bedretto-Thale bestellt.

An allen anderen Alpenwegen, mögen sie noch so rauh und
gefährlich sein, existiren keine solch schöne Stätten hilfsfreundlicher
Menschenliebe. Höchstens hat der Erwerbstrieb ein Berghaus
irgendwo angesiedelt, wenn die Passage lebendig und der baare
Geldverdienst voraussichtlich ist; im Uebrigen ists jedem armen
Teufel auf diesen Pässen freigestellt, nach Belieben zu verhungern
oder zu erfrieren.

So stehe denn, du schöne Gotteshütte
Du Bergpalast, vor allen groß und theuer!
Auf deinem Herd erlösche nie das Feuer!
Nimm alle Armen auf in deine Mitte!
Bleib immer du das königliche Haus,
In dem die Liebe gehet ein und aus.

J. J. Pestalozzi.

Die Hospitien.
gehobenen Humiliaten-Orden, die ſeinen reformatoriſchen Beſtre¬
bungen ſich widerſetzten, ſind aber jetzt ſo unendlich verarmt, daß
ſie nur mehr den Namen noch tragen, als ihren Zweck erfüllen.
Noch weit verkommener und aller Unterſtützungs-Mittel beraubt
ſind vollends jene drei, die auf der graubündneriſchen Seite des
Berges liegen: Santa Maria, das ganz ärmliche und unſaubere
San Gallo, und tiefer San Johann ohne Lebensmittel und jeg¬
liche Gabe. Das ehemals reiche Kloſter Diſſentis ſollte ſie ur¬
kundlich ausſtatten und verpflegen; ſeit aber die Mönche ſelbſt
nicht viel haben und ſie wegen unordentlicher Haushaltung vom
Staate gewiſſermaßen bevormundet werden mußten, geben dieſe
Wohlthätigkeits-Anſtalten immer mehr ihrem gänzlichen Ruin ent¬
gegen. Ein klein wenig beſſer iſt das Ospizio in Valle bei
Airolo und jenes All' Acqua (beim Waſſerfall des heil. Carl) im
Bedretto-Thale beſtellt.

An allen anderen Alpenwegen, mögen ſie noch ſo rauh und
gefährlich ſein, exiſtiren keine ſolch ſchöne Stätten hilfsfreundlicher
Menſchenliebe. Höchſtens hat der Erwerbstrieb ein Berghaus
irgendwo angeſiedelt, wenn die Paſſage lebendig und der baare
Geldverdienſt vorausſichtlich iſt; im Uebrigen iſts jedem armen
Teufel auf dieſen Päſſen freigeſtellt, nach Belieben zu verhungern
oder zu erfrieren.

So ſtehe denn, du ſchöne Gotteshütte
Du Bergpalaſt, vor allen groß und theuer!
Auf deinem Herd erlöſche nie das Feuer!
Nimm alle Armen auf in deine Mitte!
Bleib immer du das königliche Haus,
In dem die Liebe gehet ein und aus.

J. J. Peſtalozzi.

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[330/0366] Die Hospitien. gehobenen Humiliaten-Orden, die ſeinen reformatoriſchen Beſtre¬ bungen ſich widerſetzten, ſind aber jetzt ſo unendlich verarmt, daß ſie nur mehr den Namen noch tragen, als ihren Zweck erfüllen. Noch weit verkommener und aller Unterſtützungs-Mittel beraubt ſind vollends jene drei, die auf der graubündneriſchen Seite des Berges liegen: Santa Maria, das ganz ärmliche und unſaubere San Gallo, und tiefer San Johann ohne Lebensmittel und jeg¬ liche Gabe. Das ehemals reiche Kloſter Diſſentis ſollte ſie ur¬ kundlich ausſtatten und verpflegen; ſeit aber die Mönche ſelbſt nicht viel haben und ſie wegen unordentlicher Haushaltung vom Staate gewiſſermaßen bevormundet werden mußten, geben dieſe Wohlthätigkeits-Anſtalten immer mehr ihrem gänzlichen Ruin ent¬ gegen. Ein klein wenig beſſer iſt das Ospizio in Valle bei Airolo und jenes All' Acqua (beim Waſſerfall des heil. Carl) im Bedretto-Thale beſtellt. An allen anderen Alpenwegen, mögen ſie noch ſo rauh und gefährlich ſein, exiſtiren keine ſolch ſchöne Stätten hilfsfreundlicher Menſchenliebe. Höchſtens hat der Erwerbstrieb ein Berghaus irgendwo angeſiedelt, wenn die Paſſage lebendig und der baare Geldverdienſt vorausſichtlich iſt; im Uebrigen iſts jedem armen Teufel auf dieſen Päſſen freigeſtellt, nach Belieben zu verhungern oder zu erfrieren. So ſtehe denn, du ſchöne Gotteshütte Du Bergpalaſt, vor allen groß und theuer! Auf deinem Herd erlöſche nie das Feuer! Nimm alle Armen auf in deine Mitte! Bleib immer du das königliche Haus, In dem die Liebe gehet ein und aus. J. J. Peſtalozzi.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/366>, abgerufen am 18.05.2024.