Alle diese Umstände ins Auge gefaßt, gehört ungewöhnliche Resignation dazu, "ospitaliere" zu werden. Denn der bloße Wunsch, eine freie Stelle einzunehmen, gleichsam eine Pfründe anzutreten, kann unmöglich zu einem solchen Akt der Entsagung verleiten. Es ist keine Sinecure, keine Spital-Verwalterstelle, wie die eines großen städtischen Armen- und Krankenhauses; schwere Pflichten (oft ohne genügende Mittel) und Entbehrungen aller Art lasten auf derselben. Um diese Verhältnisse etwas näher beleuchten zu können, müssen wir die Hospitien klassifiziren.
Voran stehen die vier großen Mönchs-Klöster auf dem Großen und Kleinen St. Bernhard, Mont Cenis und Simplon. Sie werden von Augustiner-Chorherren bewohnt und bewirthschaftet, und die Gründung der drei ersteren geht hoch ins Alterthum hinauf. Das Hospiz auf dem Mont Cenis (5969 Fuß) soll von Karl dem Großen gegründet worden sein, wurde durch Napoleon I. im Jahre 1801 wesentlich vergrößert und diente dem Papst Pius VII. 1812 als Asyl. Die Stiftung des Klosters auf dem Großen St. Bern¬ hard erfolgte im Jahre 962 durch den heil. Bernhard von Menthou (einer edlen savoyischen Familie entsprossen), obwohl die Annalen der Bischöfe von Lausanne schon eines früheren, 832 bestandenen Klosters gedenken, dessen Gründung ebenfalls Karl dem Großen zugeschrieben wird. Archiv und Dokumente sind durch Feuersbrünste, welche zweimal diese einsamen Gebäude heimsuchten, gänzlich ver¬ nichtet worden. Die gegenwärtigen großen Gebäude stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, werden von 12 Augustiner-Chor¬ herren und einer Anzahl dienender Brüder, den berühmten Mar¬ ronniers, bewohnt und sind zur Beherbergung von 70 bis 80 Fremden eingerichtet. Das Simplon-Hospiz ist Eigenthum des großen Bernhards-Klosters, hat eine Verwaltung mit diesem und wird von demselben mit 4 bis 6 Geistlichen, unter der Leitung eines Subpriors, versehen. Das Hospitium auf dem Kleinen St. Bernhard endlich ist vielleicht das älteste unter allen, obwohl auch
Die Hospitien.
Alle dieſe Umſtände ins Auge gefaßt, gehört ungewöhnliche Reſignation dazu, „ospitaliere“ zu werden. Denn der bloße Wunſch, eine freie Stelle einzunehmen, gleichſam eine Pfründe anzutreten, kann unmöglich zu einem ſolchen Akt der Entſagung verleiten. Es iſt keine Sinecure, keine Spital-Verwalterſtelle, wie die eines großen ſtädtiſchen Armen- und Krankenhauſes; ſchwere Pflichten (oft ohne genügende Mittel) und Entbehrungen aller Art laſten auf derſelben. Um dieſe Verhältniſſe etwas näher beleuchten zu können, müſſen wir die Hospitien klaſſifiziren.
Voran ſtehen die vier großen Mönchs-Klöſter auf dem Großen und Kleinen St. Bernhard, Mont Cenis und Simplon. Sie werden von Auguſtiner-Chorherren bewohnt und bewirthſchaftet, und die Gründung der drei erſteren geht hoch ins Alterthum hinauf. Das Hoſpiz auf dem Mont Cenis (5969 Fuß) ſoll von Karl dem Großen gegründet worden ſein, wurde durch Napoleon I. im Jahre 1801 weſentlich vergrößert und diente dem Papſt Pius VII. 1812 als Aſyl. Die Stiftung des Kloſters auf dem Großen St. Bern¬ hard erfolgte im Jahre 962 durch den heil. Bernhard von Menthou (einer edlen ſavoyiſchen Familie entſproſſen), obwohl die Annalen der Biſchöfe von Lauſanne ſchon eines früheren, 832 beſtandenen Kloſters gedenken, deſſen Gründung ebenfalls Karl dem Großen zugeſchrieben wird. Archiv und Dokumente ſind durch Feuersbrünſte, welche zweimal dieſe einſamen Gebäude heimſuchten, gänzlich ver¬ nichtet worden. Die gegenwärtigen großen Gebäude ſtammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, werden von 12 Auguſtiner-Chor¬ herren und einer Anzahl dienender Brüder, den berühmten Mar¬ ronniers, bewohnt und ſind zur Beherbergung von 70 bis 80 Fremden eingerichtet. Das Simplon-Hoſpiz iſt Eigenthum des großen Bernhards-Kloſters, hat eine Verwaltung mit dieſem und wird von demſelben mit 4 bis 6 Geiſtlichen, unter der Leitung eines Subpriors, verſehen. Das Hospitium auf dem Kleinen St. Bernhard endlich iſt vielleicht das älteſte unter allen, obwohl auch
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0355"n="319"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Die Hospitien</hi>.<lb/></fw><p>Alle dieſe Umſtände ins Auge gefaßt, gehört ungewöhnliche<lb/>
Reſignation dazu, <hirendition="#aq">„ospitaliere“</hi> zu werden. Denn der bloße Wunſch,<lb/>
eine freie Stelle einzunehmen, gleichſam eine Pfründe anzutreten,<lb/>
kann unmöglich zu einem ſolchen Akt der Entſagung verleiten. Es<lb/>
iſt keine Sinecure, keine Spital-Verwalterſtelle, wie die eines großen<lb/>ſtädtiſchen Armen- und Krankenhauſes; ſchwere Pflichten (oft ohne<lb/>
genügende Mittel) und Entbehrungen aller Art laſten auf derſelben.<lb/>
Um dieſe Verhältniſſe etwas näher beleuchten zu können, müſſen<lb/>
wir die Hospitien klaſſifiziren.</p><lb/><p>Voran ſtehen die vier großen Mönchs-Klöſter auf dem Großen<lb/>
und Kleinen St. Bernhard, <hirendition="#aq">Mont Cenis</hi> und Simplon. Sie<lb/>
werden von Auguſtiner-Chorherren bewohnt und bewirthſchaftet, und<lb/>
die Gründung der drei erſteren geht hoch ins Alterthum hinauf.<lb/>
Das Hoſpiz auf dem <hirendition="#aq">Mont Cenis</hi> (5969 Fuß) ſoll von Karl dem<lb/>
Großen gegründet worden ſein, wurde durch Napoleon <hirendition="#aq">I</hi>. im Jahre<lb/>
1801 weſentlich vergrößert und diente dem Papſt Pius <hirendition="#aq">VII</hi>. 1812<lb/>
als Aſyl. Die Stiftung des Kloſters auf dem Großen St. Bern¬<lb/>
hard erfolgte im Jahre 962 durch den heil. Bernhard von Menthou<lb/>
(einer edlen ſavoyiſchen Familie entſproſſen), obwohl die Annalen<lb/>
der Biſchöfe von Lauſanne ſchon eines früheren, 832 beſtandenen<lb/>
Kloſters gedenken, deſſen Gründung ebenfalls Karl dem Großen<lb/>
zugeſchrieben wird. Archiv und Dokumente ſind durch Feuersbrünſte,<lb/>
welche zweimal dieſe einſamen Gebäude heimſuchten, gänzlich ver¬<lb/>
nichtet worden. Die gegenwärtigen großen Gebäude ſtammen aus<lb/>
der Mitte des 16. Jahrhunderts, werden von 12 Auguſtiner-Chor¬<lb/>
herren und einer Anzahl dienender Brüder, den berühmten <hirendition="#aq">Mar¬<lb/>
ronniers</hi>, bewohnt und ſind zur Beherbergung von 70 bis 80<lb/>
Fremden eingerichtet. Das Simplon-Hoſpiz iſt Eigenthum des<lb/>
großen Bernhards-Kloſters, hat eine Verwaltung mit dieſem und<lb/>
wird von demſelben mit 4 bis 6 Geiſtlichen, unter der Leitung<lb/>
eines Subpriors, verſehen. Das Hospitium auf dem Kleinen St.<lb/>
Bernhard endlich iſt vielleicht das älteſte unter allen, obwohl auch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[319/0355]
Die Hospitien.
Alle dieſe Umſtände ins Auge gefaßt, gehört ungewöhnliche
Reſignation dazu, „ospitaliere“ zu werden. Denn der bloße Wunſch,
eine freie Stelle einzunehmen, gleichſam eine Pfründe anzutreten,
kann unmöglich zu einem ſolchen Akt der Entſagung verleiten. Es
iſt keine Sinecure, keine Spital-Verwalterſtelle, wie die eines großen
ſtädtiſchen Armen- und Krankenhauſes; ſchwere Pflichten (oft ohne
genügende Mittel) und Entbehrungen aller Art laſten auf derſelben.
Um dieſe Verhältniſſe etwas näher beleuchten zu können, müſſen
wir die Hospitien klaſſifiziren.
Voran ſtehen die vier großen Mönchs-Klöſter auf dem Großen
und Kleinen St. Bernhard, Mont Cenis und Simplon. Sie
werden von Auguſtiner-Chorherren bewohnt und bewirthſchaftet, und
die Gründung der drei erſteren geht hoch ins Alterthum hinauf.
Das Hoſpiz auf dem Mont Cenis (5969 Fuß) ſoll von Karl dem
Großen gegründet worden ſein, wurde durch Napoleon I. im Jahre
1801 weſentlich vergrößert und diente dem Papſt Pius VII. 1812
als Aſyl. Die Stiftung des Kloſters auf dem Großen St. Bern¬
hard erfolgte im Jahre 962 durch den heil. Bernhard von Menthou
(einer edlen ſavoyiſchen Familie entſproſſen), obwohl die Annalen
der Biſchöfe von Lauſanne ſchon eines früheren, 832 beſtandenen
Kloſters gedenken, deſſen Gründung ebenfalls Karl dem Großen
zugeſchrieben wird. Archiv und Dokumente ſind durch Feuersbrünſte,
welche zweimal dieſe einſamen Gebäude heimſuchten, gänzlich ver¬
nichtet worden. Die gegenwärtigen großen Gebäude ſtammen aus
der Mitte des 16. Jahrhunderts, werden von 12 Auguſtiner-Chor¬
herren und einer Anzahl dienender Brüder, den berühmten Mar¬
ronniers, bewohnt und ſind zur Beherbergung von 70 bis 80
Fremden eingerichtet. Das Simplon-Hoſpiz iſt Eigenthum des
großen Bernhards-Kloſters, hat eine Verwaltung mit dieſem und
wird von demſelben mit 4 bis 6 Geiſtlichen, unter der Leitung
eines Subpriors, verſehen. Das Hospitium auf dem Kleinen St.
Bernhard endlich iſt vielleicht das älteſte unter allen, obwohl auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/355>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.