Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen. unverkennbar zurück, so giebt es diesem an Treue, gutem Willenund Klugheit, überhaupt an soliden, praktischen Eigenschaften nicht nur nichts nach, sondern übertrifft dasselbe noch, was Vorsicht und wunderbar fein ausgebildeten Instinkt anbelangt. Es geht unge¬ mein sicher; sein Schritt auf dem rauhen, steinigen und abschüssi¬ gen Pfade ist bedächtig ausgewählt, und höchst selten wird man ein Saumroß stolpern oder straucheln sehen. Läßt man ihm freie Wahl, so findet es selbst, ohne unzeitiges Leiten und Lenken, die rechten, ihm passenden Tritte und vermeidet den äußersten, am Abgrunde hinführenden Wegrand, wo es denselben zu fürchten hat. Der nunmehr eingegangene Stand der Säumer umfaßte Wesentlich verschieden von den bisher beschriebenen Pässen Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. unverkennbar zurück, ſo giebt es dieſem an Treue, gutem Willenund Klugheit, überhaupt an ſoliden, praktiſchen Eigenſchaften nicht nur nichts nach, ſondern übertrifft daſſelbe noch, was Vorſicht und wunderbar fein ausgebildeten Inſtinkt anbelangt. Es geht unge¬ mein ſicher; ſein Schritt auf dem rauhen, ſteinigen und abſchüſſi¬ gen Pfade iſt bedächtig ausgewählt, und höchſt ſelten wird man ein Saumroß ſtolpern oder ſtraucheln ſehen. Läßt man ihm freie Wahl, ſo findet es ſelbſt, ohne unzeitiges Leiten und Lenken, die rechten, ihm paſſenden Tritte und vermeidet den äußerſten, am Abgrunde hinführenden Wegrand, wo es denſelben zu fürchten hat. Der nunmehr eingegangene Stand der Säumer umfaßte Weſentlich verſchieden von den bisher beſchriebenen Päſſen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0345" n="309"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw>unverkennbar zurück, ſo giebt es dieſem an Treue, gutem Willen<lb/> und Klugheit, überhaupt an ſoliden, praktiſchen Eigenſchaften nicht<lb/> nur nichts nach, ſondern übertrifft daſſelbe noch, was Vorſicht und<lb/> wunderbar fein ausgebildeten Inſtinkt anbelangt. Es geht unge¬<lb/> mein ſicher; ſein Schritt auf dem rauhen, ſteinigen und abſchüſſi¬<lb/> gen Pfade iſt bedächtig ausgewählt, und höchſt ſelten wird man<lb/> ein Saumroß ſtolpern oder ſtraucheln ſehen. Läßt man ihm<lb/> freie Wahl, ſo findet es ſelbſt, ohne unzeitiges Leiten und Lenken,<lb/> die rechten, ihm paſſenden Tritte und vermeidet den äußerſten, am<lb/> Abgrunde hinführenden Wegrand, wo es denſelben zu fürchten hat.</p><lb/> <p>Der nunmehr eingegangene Stand der Säumer umfaßte<lb/> eine brutale, rohe, gegen alles civiliſirte Leben völlig abgeſtumpfte<lb/> Menſchenklaſſe; das zweite Wort, was aus ihrem Munde ging,<lb/> war nur eine Läſterung oder ein Kernfluch. Der gefahrvolle und<lb/> mühſelige Beruf, ſo wie der ewige Kampf mit den Elementen,<lb/> bildete in ihnen ſtarre Härte und Todesverachtung aus. Die<lb/> Meiſten von ihnen erfroren früher oder ſpäter Hände und Füße,<lb/> oder wurden ſonſt am Körper verſtümmelt, wenn nicht übermäßiger<lb/> Genuß geiſtiger Getränke und Entzündungskrankheiten ſie zeitig ins<lb/> Grab legten oder der Lauinen-Tod ſie jählings ereilte. Man hat<lb/> berechnet, daß allein auf den Graubündner Straßen, in früheren<lb/> Zeiten, jährlich 3 bis 4 Säumer ums Leben kamen.</p><lb/> <p>Weſentlich verſchieden von den bisher beſchriebenen Päſſen<lb/> ſind endlich noch jene einſamen, außerordentlich rauhen und un¬<lb/> heimlichen, oft ſtundenlang über Gletſcher und Firnfelder führen¬<lb/> den Fußpfade, die faſt nur von Schwärzern, Paſchern und Gränz¬<lb/> ſoldaten, oder von Hirten, Boten und Laſtträgern im Sommer<lb/> begangen werden. Auch hier ſtuft ſichs wieder in viele Schatti¬<lb/> rungen und Unterabtheilungen ab. Den meiſten fehlt mehr oder<lb/> minder die betretene, ſichtbare Weglinie, alſo das, was dem Auge<lb/> erkennbar den begangenen Pfad anzeigt; durch waldige Tobel,<lb/> am Rande finſterer Schluchten, über Alpweiden und zerriſſene Ge¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [309/0345]
Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
unverkennbar zurück, ſo giebt es dieſem an Treue, gutem Willen
und Klugheit, überhaupt an ſoliden, praktiſchen Eigenſchaften nicht
nur nichts nach, ſondern übertrifft daſſelbe noch, was Vorſicht und
wunderbar fein ausgebildeten Inſtinkt anbelangt. Es geht unge¬
mein ſicher; ſein Schritt auf dem rauhen, ſteinigen und abſchüſſi¬
gen Pfade iſt bedächtig ausgewählt, und höchſt ſelten wird man
ein Saumroß ſtolpern oder ſtraucheln ſehen. Läßt man ihm
freie Wahl, ſo findet es ſelbſt, ohne unzeitiges Leiten und Lenken,
die rechten, ihm paſſenden Tritte und vermeidet den äußerſten, am
Abgrunde hinführenden Wegrand, wo es denſelben zu fürchten hat.
Der nunmehr eingegangene Stand der Säumer umfaßte
eine brutale, rohe, gegen alles civiliſirte Leben völlig abgeſtumpfte
Menſchenklaſſe; das zweite Wort, was aus ihrem Munde ging,
war nur eine Läſterung oder ein Kernfluch. Der gefahrvolle und
mühſelige Beruf, ſo wie der ewige Kampf mit den Elementen,
bildete in ihnen ſtarre Härte und Todesverachtung aus. Die
Meiſten von ihnen erfroren früher oder ſpäter Hände und Füße,
oder wurden ſonſt am Körper verſtümmelt, wenn nicht übermäßiger
Genuß geiſtiger Getränke und Entzündungskrankheiten ſie zeitig ins
Grab legten oder der Lauinen-Tod ſie jählings ereilte. Man hat
berechnet, daß allein auf den Graubündner Straßen, in früheren
Zeiten, jährlich 3 bis 4 Säumer ums Leben kamen.
Weſentlich verſchieden von den bisher beſchriebenen Päſſen
ſind endlich noch jene einſamen, außerordentlich rauhen und un¬
heimlichen, oft ſtundenlang über Gletſcher und Firnfelder führen¬
den Fußpfade, die faſt nur von Schwärzern, Paſchern und Gränz¬
ſoldaten, oder von Hirten, Boten und Laſtträgern im Sommer
begangen werden. Auch hier ſtuft ſichs wieder in viele Schatti¬
rungen und Unterabtheilungen ab. Den meiſten fehlt mehr oder
minder die betretene, ſichtbare Weglinie, alſo das, was dem Auge
erkennbar den begangenen Pfad anzeigt; durch waldige Tobel,
am Rande finſterer Schluchten, über Alpweiden und zerriſſene Ge¬
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