Graubünden, über das Pfietscher Joch (6905 Fuß) und mehrere Pässe über die Tauern nicht nachstehen.
Wesentlich energischer, unterhaltender, formenreicher und oft überraschend schöne Aussichten plötzlich erschließend, sind die Pässe der centralen und westlichen Schweiz. Zu diesen gehören zuvörderst jene, die wegen ihrer großen Frequenz einigermaßen mit Schutzmitteln ausgestattet sind. Vornehmster Repräsentant derselben ist der Große St. Bernhard zwischen Wallis und Savoyen mit seinem berühmten, gastfreundlichen Hospitium. Er ist nicht minder Wanderziel sommer¬ licher Touristen als Reisemittel für jährlich viele Tausende. An Wichtigkeit ist ihm die Grimsel (Paßhöhe bei der Hausegg, 6785 Fuß) zur Seite zu stellen; über diesen Paß wird der bedeutendste Kä¬ sehandel aus dem Kanton Bern nach Italien getrieben. Er gehört zu den begangensten Alpen-Passagen, weshalb auch die Thalschaft Hasli ein festes, steinernes Gebäude als Hospitium unweit der Paßhöhe gründete und dotirte. Jeder arme Wanderer wird hier, wie auf dem Gotthard, Simplon und Großen St. Bernhard, im Win¬ ter wie im Sommer unentgeldlich übernachtet und verpflegt. Der dritte, mit solchen Hospitien ausgerüstete, nicht fahrbare Hochalpen- Paß ist, der Lukmanier in Graubünden, bezüglich seiner Umgebung gleichfalls wieder ein Muster landschaftlicher Langweiligkeit.
Auf und an vielen Hochalpenpässen, die zur täglichen Kommu¬ nikation dienen, sind "Berghäuser" oder "Taurenhäuser", wie sie in Tyrol heißen, erbaut, die von Bauern bewirthschaftet werden, wo man gegen Zahlung, wie in anderen Wirthshäusern, dürftiges Lager und Zehrung erhält. Deutsche Berühmtheit hat das Berg¬ haus Schwarenbach auf dem Gemmi-Paß durch Werners Schauer- Komödie "der vierundzwanzigste Februar" erhalten. Die dort zu Grunde gelegte, verhängnißvolle Mordthat ist indessen leere Fiktion. -- Gemmi und Grimsel, wie fast alle aus den Berner Alpen ins Wallis führenden Pässe, erschließen auf ihren Höhen, wenn auch be¬ schränkte, doch imponirende Aussichten auf bedeutende Hochalpengruppen.
Berlepsch, die Alpen. 20
Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Graubünden, über das Pfietſcher Joch (6905 Fuß) und mehrere Päſſe über die Tauern nicht nachſtehen.
Weſentlich energiſcher, unterhaltender, formenreicher und oft überraſchend ſchöne Ausſichten plötzlich erſchließend, ſind die Päſſe der centralen und weſtlichen Schweiz. Zu dieſen gehören zuvörderſt jene, die wegen ihrer großen Frequenz einigermaßen mit Schutzmitteln ausgeſtattet ſind. Vornehmſter Repräſentant derſelben iſt der Große St. Bernhard zwiſchen Wallis und Savoyen mit ſeinem berühmten, gaſtfreundlichen Hospitium. Er iſt nicht minder Wanderziel ſommer¬ licher Touriſten als Reiſemittel für jährlich viele Tauſende. An Wichtigkeit iſt ihm die Grimſel (Paßhöhe bei der Hausegg, 6785 Fuß) zur Seite zu ſtellen; über dieſen Paß wird der bedeutendſte Kä¬ ſehandel aus dem Kanton Bern nach Italien getrieben. Er gehört zu den begangenſten Alpen-Paſſagen, weshalb auch die Thalſchaft Hasli ein feſtes, ſteinernes Gebäude als Hospitium unweit der Paßhöhe gründete und dotirte. Jeder arme Wanderer wird hier, wie auf dem Gotthard, Simplon und Großen St. Bernhard, im Win¬ ter wie im Sommer unentgeldlich übernachtet und verpflegt. Der dritte, mit ſolchen Hospitien ausgerüſtete, nicht fahrbare Hochalpen- Paß iſt, der Lukmanier in Graubünden, bezüglich ſeiner Umgebung gleichfalls wieder ein Muſter landſchaftlicher Langweiligkeit.
Auf und an vielen Hochalpenpäſſen, die zur täglichen Kommu¬ nikation dienen, ſind „Berghäuſer“ oder „Taurenhäuſer“, wie ſie in Tyrol heißen, erbaut, die von Bauern bewirthſchaftet werden, wo man gegen Zahlung, wie in anderen Wirthshäuſern, dürftiges Lager und Zehrung erhält. Deutſche Berühmtheit hat das Berg¬ haus Schwarenbach auf dem Gemmi-Paß durch Werners Schauer- Komödie „der vierundzwanzigſte Februar“ erhalten. Die dort zu Grunde gelegte, verhängnißvolle Mordthat iſt indeſſen leere Fiktion. — Gemmi und Grimſel, wie faſt alle aus den Berner Alpen ins Wallis führenden Päſſe, erſchließen auf ihren Höhen, wenn auch be¬ ſchränkte, doch imponirende Ausſichten auf bedeutende Hochalpengruppen.
Berlepſch, die Alpen. 20
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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Graubünden, über das Pfietſcher Joch (6905 Fuß) und mehrere
Päſſe über die Tauern nicht nachſtehen.
Weſentlich energiſcher, unterhaltender, formenreicher und oft
überraſchend ſchöne Ausſichten plötzlich erſchließend, ſind die Päſſe
der centralen und weſtlichen Schweiz. Zu dieſen gehören zuvörderſt
jene, die wegen ihrer großen Frequenz einigermaßen mit Schutzmitteln
ausgeſtattet ſind. Vornehmſter Repräſentant derſelben iſt der Große
St. Bernhard zwiſchen Wallis und Savoyen mit ſeinem berühmten,
gaſtfreundlichen Hospitium. Er iſt nicht minder Wanderziel ſommer¬
licher Touriſten als Reiſemittel für jährlich viele Tauſende. An
Wichtigkeit iſt ihm die Grimſel (Paßhöhe bei der Hausegg, 6785
Fuß) zur Seite zu ſtellen; über dieſen Paß wird der bedeutendſte Kä¬
ſehandel aus dem Kanton Bern nach Italien getrieben. Er gehört
zu den begangenſten Alpen-Paſſagen, weshalb auch die Thalſchaft
Hasli ein feſtes, ſteinernes Gebäude als Hospitium unweit der
Paßhöhe gründete und dotirte. Jeder arme Wanderer wird hier, wie
auf dem Gotthard, Simplon und Großen St. Bernhard, im Win¬
ter wie im Sommer unentgeldlich übernachtet und verpflegt. Der
dritte, mit ſolchen Hospitien ausgerüſtete, nicht fahrbare Hochalpen-
Paß iſt, der Lukmanier in Graubünden, bezüglich ſeiner Umgebung
gleichfalls wieder ein Muſter landſchaftlicher Langweiligkeit.
Auf und an vielen Hochalpenpäſſen, die zur täglichen Kommu¬
nikation dienen, ſind „Berghäuſer“ oder „Taurenhäuſer“, wie ſie
in Tyrol heißen, erbaut, die von Bauern bewirthſchaftet werden,
wo man gegen Zahlung, wie in anderen Wirthshäuſern, dürftiges
Lager und Zehrung erhält. Deutſche Berühmtheit hat das Berg¬
haus Schwarenbach auf dem Gemmi-Paß durch Werners Schauer-
Komödie „der vierundzwanzigſte Februar“ erhalten. Die dort zu
Grunde gelegte, verhängnißvolle Mordthat iſt indeſſen leere Fiktion.
— Gemmi und Grimſel, wie faſt alle aus den Berner Alpen ins
Wallis führenden Päſſe, erſchließen auf ihren Höhen, wenn auch be¬
ſchränkte, doch imponirende Ausſichten auf bedeutende Hochalpengruppen.
Berlepſch, die Alpen. 20
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/341>, abgerufen am 23.11.2024.
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