Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
noch in seiner uralterthümlichen, naiv-naturwüchsigen Einfachheit
sowohl im Charakter der Straßen-Anlage, als aller darauf bezüglichen
Einrichtungen. Wo die Natur den Durchgang nicht genügend
öffnete, da haben Menschenhände nur wenig nachgeholfen, und wo
Sümpfe oder weichender Boden den Pfad unsicher machten, ver¬
senkte der Alpenbauer ungeschlachte Felsentrümmer und schuf ein
Cyklopenpflaster, das einigermaßen an die hie und da vorkommen¬
den Fragmente alter Römerstraßen erinnert. Hier durchwandert
der Berggänger an lauinengefährlichen Stellen keine Schutzgallerien,
nirgends gewähren Zufluchtshäuser Rettung bei einbrechenden
Schneestürmen. Höchstens errichteten die korrespondirenden Thal¬
schaften auf der Uebergangshöhe, wie z. B. auf dem Fluela-Paß
in Graubünden, eine ärmliche Holzhütte, in der den Pferden etwas
Futter gestreut werden kann, oder kunstlos improvisirte Steingaden,
wie an der Daubenkehr auf der frequenten Gemmi-Passage. Uebri¬
gens ist es todt und erstorben zwischen den Ausgangs- und End¬
punkten, und Pferdegerippe, neben dem Wege liegend, berichten von
den zahlreichen Unglücksfällen, die in diesen Einöden zur Winters¬
zeit sich ereignen. Denn die meisten Pässe sind landschaftlich
außerordentlich langweilig und ermüden den Fußgänger durch ihre
unerquickliche Monotonie. In breiter, einförmiger Gebirgs-Rinne,
zu beiden Seiten von uninteressanten Felsenformen eingeschlossen,
und von einem indifferenten Gebirgsbach ohne sonderlich schöne
Kaskaden durchflossen, steigen die Paß-Aufgänge mehrere Stunden
lang auf holperig-steinigem Wege an, gewähren auf der Höhe
weder Fernsicht noch entschädigenden Tiefblick, sondern führen, der
vorhergehenden Partie entsprechend, wieder in gleicher Weise ins
jenseitige Thal hinab. Dies ist ganz besonders bei vielen Tyroler
und Schweizerischen Voralpen-Pässen der Fall. Der Pragel zwischen
Glarus und Schwyz (4750 Fuß) ist ein Muster dieser Langweilig¬
keit, welcher aber auch mehrere andere Pässe der eigentlichen, inneren
Alpen, z. B. der Septimer (7114 Fuß), der Albula und Fluela in

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
noch in ſeiner uralterthümlichen, naiv-naturwüchſigen Einfachheit
ſowohl im Charakter der Straßen-Anlage, als aller darauf bezüglichen
Einrichtungen. Wo die Natur den Durchgang nicht genügend
öffnete, da haben Menſchenhände nur wenig nachgeholfen, und wo
Sümpfe oder weichender Boden den Pfad unſicher machten, ver¬
ſenkte der Alpenbauer ungeſchlachte Felſentrümmer und ſchuf ein
Cyklopenpflaſter, das einigermaßen an die hie und da vorkommen¬
den Fragmente alter Römerſtraßen erinnert. Hier durchwandert
der Berggänger an lauinengefährlichen Stellen keine Schutzgallerien,
nirgends gewähren Zufluchtshäuſer Rettung bei einbrechenden
Schneeſtürmen. Höchſtens errichteten die korreſpondirenden Thal¬
ſchaften auf der Uebergangshöhe, wie z. B. auf dem Fluela-Paß
in Graubünden, eine ärmliche Holzhütte, in der den Pferden etwas
Futter geſtreut werden kann, oder kunſtlos improviſirte Steingaden,
wie an der Daubenkehr auf der frequenten Gemmi-Paſſage. Uebri¬
gens iſt es todt und erſtorben zwiſchen den Ausgangs- und End¬
punkten, und Pferdegerippe, neben dem Wege liegend, berichten von
den zahlreichen Unglücksfällen, die in dieſen Einöden zur Winters¬
zeit ſich ereignen. Denn die meiſten Päſſe ſind landſchaftlich
außerordentlich langweilig und ermüden den Fußgänger durch ihre
unerquickliche Monotonie. In breiter, einförmiger Gebirgs-Rinne,
zu beiden Seiten von unintereſſanten Felſenformen eingeſchloſſen,
und von einem indifferenten Gebirgsbach ohne ſonderlich ſchöne
Kaskaden durchfloſſen, ſteigen die Paß-Aufgänge mehrere Stunden
lang auf holperig-ſteinigem Wege an, gewähren auf der Höhe
weder Fernſicht noch entſchädigenden Tiefblick, ſondern führen, der
vorhergehenden Partie entſprechend, wieder in gleicher Weiſe ins
jenſeitige Thal hinab. Dies iſt ganz beſonders bei vielen Tyroler
und Schweizeriſchen Voralpen-Päſſen der Fall. Der Pragel zwiſchen
Glarus und Schwyz (4750 Fuß) iſt ein Muſter dieſer Langweilig¬
keit, welcher aber auch mehrere andere Päſſe der eigentlichen, inneren
Alpen, z. B. der Septimer (7114 Fuß), der Albula und Fluela in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0340" n="304"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Pä&#x017F;&#x017F;e und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw>noch in &#x017F;einer uralterthümlichen, naiv-naturwüch&#x017F;igen Einfachheit<lb/>
&#x017F;owohl im Charakter der Straßen-Anlage, als aller darauf bezüglichen<lb/>
Einrichtungen. Wo die Natur den Durchgang nicht genügend<lb/>
öffnete, da haben Men&#x017F;chenhände nur wenig nachgeholfen, und wo<lb/>
Sümpfe oder weichender Boden den Pfad un&#x017F;icher machten, ver¬<lb/>
&#x017F;enkte der Alpenbauer unge&#x017F;chlachte Fel&#x017F;entrümmer und &#x017F;chuf ein<lb/>
Cyklopenpfla&#x017F;ter, das einigermaßen an die hie und da vorkommen¬<lb/>
den Fragmente alter Römer&#x017F;traßen erinnert. Hier durchwandert<lb/>
der Berggänger an lauinengefährlichen Stellen keine Schutzgallerien,<lb/>
nirgends gewähren Zufluchtshäu&#x017F;er Rettung bei einbrechenden<lb/>
Schnee&#x017F;türmen. Höch&#x017F;tens errichteten die korre&#x017F;pondirenden Thal¬<lb/>
&#x017F;chaften auf der Uebergangshöhe, wie z. B. auf dem Fluela-Paß<lb/>
in Graubünden, eine ärmliche Holzhütte, in der den Pferden etwas<lb/>
Futter ge&#x017F;treut werden kann, oder kun&#x017F;tlos improvi&#x017F;irte Steingaden,<lb/>
wie an der Daubenkehr auf der frequenten Gemmi-Pa&#x017F;&#x017F;age. Uebri¬<lb/>
gens i&#x017F;t es todt und er&#x017F;torben zwi&#x017F;chen den Ausgangs- und End¬<lb/>
punkten, und Pferdegerippe, neben dem Wege liegend, berichten von<lb/>
den zahlreichen Unglücksfällen, die in die&#x017F;en Einöden zur Winters¬<lb/>
zeit &#x017F;ich ereignen. Denn die mei&#x017F;ten Pä&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind land&#x017F;chaftlich<lb/>
außerordentlich langweilig und ermüden den Fußgänger durch ihre<lb/>
unerquickliche Monotonie. In breiter, einförmiger Gebirgs-Rinne,<lb/>
zu beiden Seiten von unintere&#x017F;&#x017F;anten Fel&#x017F;enformen einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und von einem indifferenten Gebirgsbach ohne &#x017F;onderlich &#x017F;chöne<lb/>
Kaskaden durchflo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;teigen die Paß-Aufgänge mehrere Stunden<lb/>
lang auf holperig-&#x017F;teinigem Wege an, gewähren auf der Höhe<lb/>
weder Fern&#x017F;icht noch ent&#x017F;chädigenden Tiefblick, &#x017F;ondern führen, der<lb/>
vorhergehenden Partie ent&#x017F;prechend, wieder in gleicher Wei&#x017F;e ins<lb/>
jen&#x017F;eitige Thal hinab. Dies i&#x017F;t ganz be&#x017F;onders bei vielen Tyroler<lb/>
und Schweizeri&#x017F;chen Voralpen-Pä&#x017F;&#x017F;en der Fall. Der Pragel zwi&#x017F;chen<lb/>
Glarus und Schwyz (4750 Fuß) i&#x017F;t ein Mu&#x017F;ter die&#x017F;er Langweilig¬<lb/>
keit, welcher aber auch mehrere andere Pä&#x017F;&#x017F;e der eigentlichen, inneren<lb/>
Alpen, z. B. der Septimer (7114 Fuß), der Albula und Fluela in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0340] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. noch in ſeiner uralterthümlichen, naiv-naturwüchſigen Einfachheit ſowohl im Charakter der Straßen-Anlage, als aller darauf bezüglichen Einrichtungen. Wo die Natur den Durchgang nicht genügend öffnete, da haben Menſchenhände nur wenig nachgeholfen, und wo Sümpfe oder weichender Boden den Pfad unſicher machten, ver¬ ſenkte der Alpenbauer ungeſchlachte Felſentrümmer und ſchuf ein Cyklopenpflaſter, das einigermaßen an die hie und da vorkommen¬ den Fragmente alter Römerſtraßen erinnert. Hier durchwandert der Berggänger an lauinengefährlichen Stellen keine Schutzgallerien, nirgends gewähren Zufluchtshäuſer Rettung bei einbrechenden Schneeſtürmen. Höchſtens errichteten die korreſpondirenden Thal¬ ſchaften auf der Uebergangshöhe, wie z. B. auf dem Fluela-Paß in Graubünden, eine ärmliche Holzhütte, in der den Pferden etwas Futter geſtreut werden kann, oder kunſtlos improviſirte Steingaden, wie an der Daubenkehr auf der frequenten Gemmi-Paſſage. Uebri¬ gens iſt es todt und erſtorben zwiſchen den Ausgangs- und End¬ punkten, und Pferdegerippe, neben dem Wege liegend, berichten von den zahlreichen Unglücksfällen, die in dieſen Einöden zur Winters¬ zeit ſich ereignen. Denn die meiſten Päſſe ſind landſchaftlich außerordentlich langweilig und ermüden den Fußgänger durch ihre unerquickliche Monotonie. In breiter, einförmiger Gebirgs-Rinne, zu beiden Seiten von unintereſſanten Felſenformen eingeſchloſſen, und von einem indifferenten Gebirgsbach ohne ſonderlich ſchöne Kaskaden durchfloſſen, ſteigen die Paß-Aufgänge mehrere Stunden lang auf holperig-ſteinigem Wege an, gewähren auf der Höhe weder Fernſicht noch entſchädigenden Tiefblick, ſondern führen, der vorhergehenden Partie entſprechend, wieder in gleicher Weiſe ins jenſeitige Thal hinab. Dies iſt ganz beſonders bei vielen Tyroler und Schweizeriſchen Voralpen-Päſſen der Fall. Der Pragel zwiſchen Glarus und Schwyz (4750 Fuß) iſt ein Muſter dieſer Langweilig¬ keit, welcher aber auch mehrere andere Päſſe der eigentlichen, inneren Alpen, z. B. der Septimer (7114 Fuß), der Albula und Fluela in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/340
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/340>, abgerufen am 17.05.2024.