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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
bei dieser Expedition oft gedacht wird, mußte, wie ein Gü¬
terballen am Krahnen, den Strick um den Leib gebunden, hinauf¬
gehißt werden. Der Unglückliche hatte kurz vorher, ehe man den
schwindeligen Grat passirte, den Arm aus der Schulter gerenkt,
und nach langem, vergeblichem Ziehen und Stoßen war es den Füh¬
rern, die keine sonderlichen chirurgischen Kenntnisse besaßen, gelun¬
gen, das Glied wieder einzurichten. -- Eine ähnliche Passage ist
die über den Roththal-Sattel, etwa 12000 Fuß ü. d. M., bei Erstei¬
gung der Jungfrau (12827 Fuß); sie erfordert festen Tritt und
an Abgründe gewöhnte Augen, um nicht vom Schwindel er¬
griffen zu werden. Dennoch spart auch dieser Berg seine schreck¬
haftesten Schauermomente bis zu dem äußersten Gipfelpunkt. Zu
diesem führt nur ein scharf-zugeschnittener Kamm, dessen Breite
zwischen 6 bis 10 Zoll wechselt, während die Gehänge der beiden
Seiten 60 bis 70 Grad Neigung haben. Als die Professoren
Agassiz, Forbes, Duchatelier und Desor denselben am 28. August
1841 erreicht hatten, glaubten sie nicht weiter kommen zu können.
Der unerschrockene Jakob Leuthold behauptete indessen das Gegen¬
theil, und um sofort den Beweis zu führen, legte er sein Gepäck
ab und stieg in der Art vorwärts, daß er an der linken Seite des
Schneekammes ging, während er die Schärfe des Grates im buch¬
stäblichsten Sinne unterm rechten Arm hatte und auch auf der rech¬
ten Seite den Stock einsetzte. So ging er langsam und besonnen
an dem entsetzlichen Abgrunde hin, indem er so viel als möglich
den Schnee zu einem Pfade zusammentrat und den Uebrigen die Er¬
steigung möglich machte. -- Bei der am 8. August 1842 von den
Professoren Escher von der Linth, Girard und Desor versuchten
Ersteigung der Schreckhörner (12568 Fuß, Berner Alpen), bei
welcher sie indessen nur bis auf die Spitze des großen Lauteraar¬
hornes kamen, wurde die Gesellschaft, als sie auf der Schneide
eines felsigen Kammes ging, unvermuthet am Weiterkommen ge¬
hindert; der Weg war durch einen etwa 10 Fuß tiefen senkrechten Ein¬

Alpenſpitzen.
bei dieſer Expedition oft gedacht wird, mußte, wie ein Gü¬
terballen am Krahnen, den Strick um den Leib gebunden, hinauf¬
gehißt werden. Der Unglückliche hatte kurz vorher, ehe man den
ſchwindeligen Grat paſſirte, den Arm aus der Schulter gerenkt,
und nach langem, vergeblichem Ziehen und Stoßen war es den Füh¬
rern, die keine ſonderlichen chirurgiſchen Kenntniſſe beſaßen, gelun¬
gen, das Glied wieder einzurichten. — Eine ähnliche Paſſage iſt
die über den Roththal-Sattel, etwa 12000 Fuß ü. d. M., bei Erſtei¬
gung der Jungfrau (12827 Fuß); ſie erfordert feſten Tritt und
an Abgründe gewöhnte Augen, um nicht vom Schwindel er¬
griffen zu werden. Dennoch ſpart auch dieſer Berg ſeine ſchreck¬
hafteſten Schauermomente bis zu dem äußerſten Gipfelpunkt. Zu
dieſem führt nur ein ſcharf-zugeſchnittener Kamm, deſſen Breite
zwiſchen 6 bis 10 Zoll wechſelt, während die Gehänge der beiden
Seiten 60 bis 70 Grad Neigung haben. Als die Profeſſoren
Agaſſiz, Forbes, Duchatelier und Deſor denſelben am 28. Auguſt
1841 erreicht hatten, glaubten ſie nicht weiter kommen zu können.
Der unerſchrockene Jakob Leuthold behauptete indeſſen das Gegen¬
theil, und um ſofort den Beweis zu führen, legte er ſein Gepäck
ab und ſtieg in der Art vorwärts, daß er an der linken Seite des
Schneekammes ging, während er die Schärfe des Grates im buch¬
ſtäblichſten Sinne unterm rechten Arm hatte und auch auf der rech¬
ten Seite den Stock einſetzte. So ging er langſam und beſonnen
an dem entſetzlichen Abgrunde hin, indem er ſo viel als möglich
den Schnee zu einem Pfade zuſammentrat und den Uebrigen die Er¬
ſteigung möglich machte. — Bei der am 8. Auguſt 1842 von den
Profeſſoren Eſcher von der Linth, Girard und Deſor verſuchten
Erſteigung der Schreckhörner (12568 Fuß, Berner Alpen), bei
welcher ſie indeſſen nur bis auf die Spitze des großen Lauteraar¬
hornes kamen, wurde die Geſellſchaft, als ſie auf der Schneide
eines felſigen Kammes ging, unvermuthet am Weiterkommen ge¬
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[272/0306] Alpenſpitzen. bei dieſer Expedition oft gedacht wird, mußte, wie ein Gü¬ terballen am Krahnen, den Strick um den Leib gebunden, hinauf¬ gehißt werden. Der Unglückliche hatte kurz vorher, ehe man den ſchwindeligen Grat paſſirte, den Arm aus der Schulter gerenkt, und nach langem, vergeblichem Ziehen und Stoßen war es den Füh¬ rern, die keine ſonderlichen chirurgiſchen Kenntniſſe beſaßen, gelun¬ gen, das Glied wieder einzurichten. — Eine ähnliche Paſſage iſt die über den Roththal-Sattel, etwa 12000 Fuß ü. d. M., bei Erſtei¬ gung der Jungfrau (12827 Fuß); ſie erfordert feſten Tritt und an Abgründe gewöhnte Augen, um nicht vom Schwindel er¬ griffen zu werden. Dennoch ſpart auch dieſer Berg ſeine ſchreck¬ hafteſten Schauermomente bis zu dem äußerſten Gipfelpunkt. Zu dieſem führt nur ein ſcharf-zugeſchnittener Kamm, deſſen Breite zwiſchen 6 bis 10 Zoll wechſelt, während die Gehänge der beiden Seiten 60 bis 70 Grad Neigung haben. Als die Profeſſoren Agaſſiz, Forbes, Duchatelier und Deſor denſelben am 28. Auguſt 1841 erreicht hatten, glaubten ſie nicht weiter kommen zu können. Der unerſchrockene Jakob Leuthold behauptete indeſſen das Gegen¬ theil, und um ſofort den Beweis zu führen, legte er ſein Gepäck ab und ſtieg in der Art vorwärts, daß er an der linken Seite des Schneekammes ging, während er die Schärfe des Grates im buch¬ ſtäblichſten Sinne unterm rechten Arm hatte und auch auf der rech¬ ten Seite den Stock einſetzte. So ging er langſam und beſonnen an dem entſetzlichen Abgrunde hin, indem er ſo viel als möglich den Schnee zu einem Pfade zuſammentrat und den Uebrigen die Er¬ ſteigung möglich machte. — Bei der am 8. Auguſt 1842 von den Profeſſoren Eſcher von der Linth, Girard und Deſor verſuchten Erſteigung der Schreckhörner (12568 Fuß, Berner Alpen), bei welcher ſie indeſſen nur bis auf die Spitze des großen Lauteraar¬ hornes kamen, wurde die Geſellſchaft, als ſie auf der Schneide eines felſigen Kammes ging, unvermuthet am Weiterkommen ge¬ hindert; der Weg war durch einen etwa 10 Fuß tiefen ſenkrechten Ein¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/306>, abgerufen am 24.11.2024.