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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
schnitt vom Hauptstocke des Berges getrennt, auf welchem einige
hundert Schritte weiter der Gipfel winkte. Der Einschnitt selbst
stellte einen scharfen Schneerücken dar, wie er auf den letzten Sei¬
ten mehrfach beschrieben wurde. Während man noch konsultirte,
ob man sich am Strick hinablassen, oder das Hinderniß zu umge¬
hen suchen sollte, sprang der Führer Bannholzer, ohne sich anbin¬
den zu lassen, mit einem Satze auf den Schneesattel hinab. All¬
gemeiner Schrei des Entsetzens! denn man hielt den Wagehals
für verloren; allein er kam, ohne sich wehe zu thun, rittlings auf
den Schneesattel zu sitzen, und ohne sich an das Rufen, Bitten,
Fluchen der anderen Führer zu kehren, stieg er die gegenüberste¬
hende Zacke hinan, erreichte die Höhe und winkte, ihm zu folgen.
Einer nach dem Andern wurde am Seil hinabgelassen, und ohne
Unfall kletterte die ganze Karavane dem Muthigen nach. Da er¬
wartete sie in unmittelbarster Nähe des Gipfels wiederum eine
letzte Schwierigkeit. Auf etwa 50 Fuß Länge wird der Kamm so
schmal, daß er kaum 18 Zoll Breite hat, während auf beiden Seiten
Abgründe von etwa 4000 Fuß beinahe vertikalen Absturzes gähnen.
Hier hatten selbst die verwegensten Führer nicht den Muth, aufrecht
zu gehen, sondern überkrochen die Stelle, mit starr vor sich blicken¬
den Augen, wie Quadrupeden, bis das ersehnte Ziel erreicht war. --
Schließlich noch die Ersteigung des Finsteraarhorns (13160
Fuß). Hugi war bei seinem dritten Versuche der Ersteigung dieses
höchsten Gipfels der Berner Alpen am 10. August 1829 bis auf
den hangenden Hochfirn gekommen, den man von allen guten
Standpunkten der nördlichen Schweiz, besonders vom Faulhorn
aus, so deutlich sehen kann. Um nun zu den Mittelfelsen in der
obersten Ausspitzung des Firnes und des Hornes selbst zu gelan¬
gen, war eine im eigentlichsten Sinne hängende Eisfläche zu pas¬
siren. Es konnte nur mittelst eingehauener Tritte geschehen. Die
Führer Leuthold und Währen gingen sofort ans Werk, schlugen
den Fuß fest in die eingehauene Stufe, ließen ihn etwas anfrieren,

Berlepsch, die Alpen. 18

Alpenſpitzen.
ſchnitt vom Hauptſtocke des Berges getrennt, auf welchem einige
hundert Schritte weiter der Gipfel winkte. Der Einſchnitt ſelbſt
ſtellte einen ſcharfen Schneerücken dar, wie er auf den letzten Sei¬
ten mehrfach beſchrieben wurde. Während man noch konſultirte,
ob man ſich am Strick hinablaſſen, oder das Hinderniß zu umge¬
hen ſuchen ſollte, ſprang der Führer Bannholzer, ohne ſich anbin¬
den zu laſſen, mit einem Satze auf den Schneeſattel hinab. All¬
gemeiner Schrei des Entſetzens! denn man hielt den Wagehals
für verloren; allein er kam, ohne ſich wehe zu thun, rittlings auf
den Schneeſattel zu ſitzen, und ohne ſich an das Rufen, Bitten,
Fluchen der anderen Führer zu kehren, ſtieg er die gegenüberſte¬
hende Zacke hinan, erreichte die Höhe und winkte, ihm zu folgen.
Einer nach dem Andern wurde am Seil hinabgelaſſen, und ohne
Unfall kletterte die ganze Karavane dem Muthigen nach. Da er¬
wartete ſie in unmittelbarſter Nähe des Gipfels wiederum eine
letzte Schwierigkeit. Auf etwa 50 Fuß Länge wird der Kamm ſo
ſchmal, daß er kaum 18 Zoll Breite hat, während auf beiden Seiten
Abgründe von etwa 4000 Fuß beinahe vertikalen Abſturzes gähnen.
Hier hatten ſelbſt die verwegenſten Führer nicht den Muth, aufrecht
zu gehen, ſondern überkrochen die Stelle, mit ſtarr vor ſich blicken¬
den Augen, wie Quadrupeden, bis das erſehnte Ziel erreicht war. —
Schließlich noch die Erſteigung des Finſteraarhorns (13160
Fuß). Hugi war bei ſeinem dritten Verſuche der Erſteigung dieſes
höchſten Gipfels der Berner Alpen am 10. August 1829 bis auf
den hangenden Hochfirn gekommen, den man von allen guten
Standpunkten der nördlichen Schweiz, beſonders vom Faulhorn
aus, ſo deutlich ſehen kann. Um nun zu den Mittelfelſen in der
oberſten Ausſpitzung des Firnes und des Hornes ſelbſt zu gelan¬
gen, war eine im eigentlichſten Sinne hängende Eisfläche zu paſ¬
ſiren. Es konnte nur mittelſt eingehauener Tritte geſchehen. Die
Führer Leuthold und Währen gingen ſofort ans Werk, ſchlugen
den Fuß feſt in die eingehauene Stufe, ließen ihn etwas anfrieren,

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[273/0307] Alpenſpitzen. ſchnitt vom Hauptſtocke des Berges getrennt, auf welchem einige hundert Schritte weiter der Gipfel winkte. Der Einſchnitt ſelbſt ſtellte einen ſcharfen Schneerücken dar, wie er auf den letzten Sei¬ ten mehrfach beſchrieben wurde. Während man noch konſultirte, ob man ſich am Strick hinablaſſen, oder das Hinderniß zu umge¬ hen ſuchen ſollte, ſprang der Führer Bannholzer, ohne ſich anbin¬ den zu laſſen, mit einem Satze auf den Schneeſattel hinab. All¬ gemeiner Schrei des Entſetzens! denn man hielt den Wagehals für verloren; allein er kam, ohne ſich wehe zu thun, rittlings auf den Schneeſattel zu ſitzen, und ohne ſich an das Rufen, Bitten, Fluchen der anderen Führer zu kehren, ſtieg er die gegenüberſte¬ hende Zacke hinan, erreichte die Höhe und winkte, ihm zu folgen. Einer nach dem Andern wurde am Seil hinabgelaſſen, und ohne Unfall kletterte die ganze Karavane dem Muthigen nach. Da er¬ wartete ſie in unmittelbarſter Nähe des Gipfels wiederum eine letzte Schwierigkeit. Auf etwa 50 Fuß Länge wird der Kamm ſo ſchmal, daß er kaum 18 Zoll Breite hat, während auf beiden Seiten Abgründe von etwa 4000 Fuß beinahe vertikalen Abſturzes gähnen. Hier hatten ſelbſt die verwegenſten Führer nicht den Muth, aufrecht zu gehen, ſondern überkrochen die Stelle, mit ſtarr vor ſich blicken¬ den Augen, wie Quadrupeden, bis das erſehnte Ziel erreicht war. — Schließlich noch die Erſteigung des Finſteraarhorns (13160 Fuß). Hugi war bei ſeinem dritten Verſuche der Erſteigung dieſes höchſten Gipfels der Berner Alpen am 10. August 1829 bis auf den hangenden Hochfirn gekommen, den man von allen guten Standpunkten der nördlichen Schweiz, beſonders vom Faulhorn aus, ſo deutlich ſehen kann. Um nun zu den Mittelfelſen in der oberſten Ausſpitzung des Firnes und des Hornes ſelbſt zu gelan¬ gen, war eine im eigentlichſten Sinne hängende Eisfläche zu paſ¬ ſiren. Es konnte nur mittelſt eingehauener Tritte geſchehen. Die Führer Leuthold und Währen gingen ſofort ans Werk, ſchlugen den Fuß feſt in die eingehauene Stufe, ließen ihn etwas anfrieren, Berlepſch, die Alpen. 18

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/307>, abgerufen am 28.11.2024.