Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Alpenspitzen. let übernachtet und befand sich am folgenden Tage bei ausgezeich¬net günstigem Wetter 9 Uhr Morgens bereits in der Nähe des Petit Plateau unterm Dome de Goute, von wo aus der Gipfel des Montblanc in 2 bis 3 Stunden zu erreichen ist. Die Führer brachen schon in Glückwünsche aus, sagten, daß nun alle Hinder¬ nisse überwunden, weder Gefahren noch Eisspalten mehr zu befürch¬ ten wären, überhaupt, daß noch nie eine Besteigung so glücklich, geschwind und ohne jeden Unfall ausgeführt worden sei als eben diese. Die ganze Expedition war voll der besten Hoffnung und sah im Voraus sich schon auf dem Kulminationspunkte der Wan¬ derung. Hofrath Hamel hatte Zettel geschrieben, welche er einem aus Sallenches mitgenommenen kräftigen und brünstigen Tauber um den Hals binden und diesen dann fliegen lassen wollte, um den Versuch zu machen, ob dieser sein, in gerader Linie etwa fünf Stunden entferntes Weibchen im Taubenschlage wieder auffinden werde; die Gelehrten freuten sich schon auf den Ehrenplatz, wel¬ chen das von ihnen eigenhändig vom Gipfel des höchsten europäi¬ schen Berges abgeschlagene Protogin-Stück in den Kabineten der mineralogischen Sammlungen zu Petersburg, London etc. einnehmen würde, kurzum Jeder hing eigenen Lieblingsgedanken und Plänen nach. Alle marschirten Einer hinter dem Anderen, weil man gern in die Fußstapfen des wegbahnenden, ersten Führers tritt, welcher dann von Zeit zu Zeit, der Erholung halber, von einem Anderen abgelöst wird. Niemand gab einen Laut von sich, denn die An¬ strengung hatte Alle ein Wenig ermattet. "Noch war ich der Letzte", erzählt Herr Hamel (in der Bibliotheque universelle), -- "gewöhn¬ lich ging ich zwölf Schritte weit fort und hielt dann an, um auf meinen Stock mich stützend fünfzehn Athemzüge zu thun; denn ich fühlte, daß ich in dieser Weise vorankommen würde, ohne mich zu erschöpfen. Durch eine grüne Brille und den Flor, welcher mein Gesicht verhüllte, richtete ich zählend die Blicke auf die Fußstapfen, als ich plötzlich wahrnahm, daß der Schnee unter mir weiche. Da Alpenſpitzen. let übernachtet und befand ſich am folgenden Tage bei ausgezeich¬net günſtigem Wetter 9 Uhr Morgens bereits in der Nähe des Petit Plateau unterm Dôme de Gouté, von wo aus der Gipfel des Montblanc in 2 bis 3 Stunden zu erreichen iſt. Die Führer brachen ſchon in Glückwünſche aus, ſagten, daß nun alle Hinder¬ niſſe überwunden, weder Gefahren noch Eisſpalten mehr zu befürch¬ ten wären, überhaupt, daß noch nie eine Beſteigung ſo glücklich, geſchwind und ohne jeden Unfall ausgeführt worden ſei als eben dieſe. Die ganze Expedition war voll der beſten Hoffnung und ſah im Voraus ſich ſchon auf dem Kulminationspunkte der Wan¬ derung. Hofrath Hamel hatte Zettel geſchrieben, welche er einem aus Sallenches mitgenommenen kräftigen und brünſtigen Tauber um den Hals binden und dieſen dann fliegen laſſen wollte, um den Verſuch zu machen, ob dieſer ſein, in gerader Linie etwa fünf Stunden entferntes Weibchen im Taubenſchlage wieder auffinden werde; die Gelehrten freuten ſich ſchon auf den Ehrenplatz, wel¬ chen das von ihnen eigenhändig vom Gipfel des höchſten europäi¬ ſchen Berges abgeſchlagene Protogin-Stück in den Kabineten der mineralogiſchen Sammlungen zu Petersburg, London ꝛc. einnehmen würde, kurzum Jeder hing eigenen Lieblingsgedanken und Plänen nach. Alle marſchirten Einer hinter dem Anderen, weil man gern in die Fußſtapfen des wegbahnenden, erſten Führers tritt, welcher dann von Zeit zu Zeit, der Erholung halber, von einem Anderen abgelöſt wird. Niemand gab einen Laut von ſich, denn die An¬ ſtrengung hatte Alle ein Wenig ermattet. „Noch war ich der Letzte“, erzählt Herr Hamel (in der Bibliothèque universelle), — „gewöhn¬ lich ging ich zwölf Schritte weit fort und hielt dann an, um auf meinen Stock mich ſtützend fünfzehn Athemzüge zu thun; denn ich fühlte, daß ich in dieſer Weiſe vorankommen würde, ohne mich zu erſchöpfen. Durch eine grüne Brille und den Flor, welcher mein Geſicht verhüllte, richtete ich zählend die Blicke auf die Fußſtapfen, als ich plötzlich wahrnahm, daß der Schnee unter mir weiche. 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Alpenſpitzen.
let übernachtet und befand ſich am folgenden Tage bei ausgezeich¬
net günſtigem Wetter 9 Uhr Morgens bereits in der Nähe des
Petit Plateau unterm Dôme de Gouté, von wo aus der Gipfel
des Montblanc in 2 bis 3 Stunden zu erreichen iſt. Die Führer
brachen ſchon in Glückwünſche aus, ſagten, daß nun alle Hinder¬
niſſe überwunden, weder Gefahren noch Eisſpalten mehr zu befürch¬
ten wären, überhaupt, daß noch nie eine Beſteigung ſo glücklich,
geſchwind und ohne jeden Unfall ausgeführt worden ſei als eben
dieſe. Die ganze Expedition war voll der beſten Hoffnung und
ſah im Voraus ſich ſchon auf dem Kulminationspunkte der Wan¬
derung. Hofrath Hamel hatte Zettel geſchrieben, welche er einem
aus Sallenches mitgenommenen kräftigen und brünſtigen Tauber
um den Hals binden und dieſen dann fliegen laſſen wollte, um
den Verſuch zu machen, ob dieſer ſein, in gerader Linie etwa fünf
Stunden entferntes Weibchen im Taubenſchlage wieder auffinden
werde; die Gelehrten freuten ſich ſchon auf den Ehrenplatz, wel¬
chen das von ihnen eigenhändig vom Gipfel des höchſten europäi¬
ſchen Berges abgeſchlagene Protogin-Stück in den Kabineten der
mineralogiſchen Sammlungen zu Petersburg, London ꝛc. einnehmen
würde, kurzum Jeder hing eigenen Lieblingsgedanken und Plänen
nach. Alle marſchirten Einer hinter dem Anderen, weil man gern
in die Fußſtapfen des wegbahnenden, erſten Führers tritt, welcher
dann von Zeit zu Zeit, der Erholung halber, von einem Anderen
abgelöſt wird. Niemand gab einen Laut von ſich, denn die An¬
ſtrengung hatte Alle ein Wenig ermattet. „Noch war ich der Letzte“,
erzählt Herr Hamel (in der Bibliothèque universelle), — „gewöhn¬
lich ging ich zwölf Schritte weit fort und hielt dann an, um auf
meinen Stock mich ſtützend fünfzehn Athemzüge zu thun; denn
ich fühlte, daß ich in dieſer Weiſe vorankommen würde, ohne mich
zu erſchöpfen. Durch eine grüne Brille und den Flor, welcher mein
Geſicht verhüllte, richtete ich zählend die Blicke auf die Fußſtapfen,
als ich plötzlich wahrnahm, daß der Schnee unter mir weiche. Da
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