Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Alpenspitzen.
ich glaubte nur auszugleiten, so versuchte ich auf der linken Seite
mich mit meinem Stocke festzuhalten, -- aber vergeblich. Der zu
meiner Rechten sich anhäufende, aufbäumende Schnee wirft mich
um, überdeckt mich und ich fühle von unwiderstehlicher Gewalt mich
abwärts fortgerissen. Anfangs wähnte ich, dieser Umstand begegne
mir allein; als sich aber der Schnee dergestalt über mir an¬
häufte, daß er mir den Athem entzog, so glaubte ich, eine große
Lauine komme vom Montblanc herab, welche ihn vor sich herjage.
Ich rief, aber wie es schien umsonst! Meine Gefährten sah ich
nicht mehr. Jeden Augenblick erwartete ich, von der Masse erdrückt
zu werden; jedoch suchte ich im Hinabrollen beständig mich umzu¬
drehen und wandte alle Kräfte an, den Schnee, in welchen einge¬
hüllt ich gleichsam schwamm, zu zertheilen. Endlich gelang es mir
den Kopf daraus zu befreien und ich erblickte einen großen Theil
des Abhanges in Bewegung; da ich jedoch mich dem Rande des
rutschenden Theiles ziemlich nahe sah, so strengte ich meine Kräfte
aufs Aeußerste an, den festliegenden Schnee zu erreichen, auf wel¬
chem es mir endlich möglich war, sicheren Fuß zu fassen. Jetzt
erst erkannte ich die wirkliche Gefahr; ich sah, daß ich mich fast
am Rande einer Spalte befand, welche den Abhang begränzte.
Zugleich sah ich Herr Hendersons Kopf noch näher dem Abgrunde
aus dem stockenden Schnee hervorragen, und etwas weiter Herrn Dorn¬
ford nebst drei Führern, Alle mit verzweifelt kämpfender Anstren¬
gung bemüht, gleich mir sicheren Boden zu gewinnen. Sie erreich¬
ten glücklich ihr Ziel, aber die fehlenden fünf Uebrigen konnte ich
nicht entdecken. Immer noch hoffte ich, sie aus dem nun sich
stauenden Schnee hervorkriechen zu sehen, als Balmat uns zurief,
daß sich Leute von uns in dem Abgrunde befänden. Diese Kunde
durchzuckte mich wie ein Wetterschlag! fünf Menschen lebendig be¬
graben und dies durch meine und meiner Freunde Veranlassung.
Dornford warf sich unter den wildesten Geberden des Schmerzes
auf den Schnee, und Hendersons Zustand erschien momentan so

Alpenſpitzen.
ich glaubte nur auszugleiten, ſo verſuchte ich auf der linken Seite
mich mit meinem Stocke feſtzuhalten, — aber vergeblich. Der zu
meiner Rechten ſich anhäufende, aufbäumende Schnee wirft mich
um, überdeckt mich und ich fühle von unwiderſtehlicher Gewalt mich
abwärts fortgeriſſen. Anfangs wähnte ich, dieſer Umſtand begegne
mir allein; als ſich aber der Schnee dergeſtalt über mir an¬
häufte, daß er mir den Athem entzog, ſo glaubte ich, eine große
Lauine komme vom Montblanc herab, welche ihn vor ſich herjage.
Ich rief, aber wie es ſchien umſonſt! Meine Gefährten ſah ich
nicht mehr. Jeden Augenblick erwartete ich, von der Maſſe erdrückt
zu werden; jedoch ſuchte ich im Hinabrollen beſtändig mich umzu¬
drehen und wandte alle Kräfte an, den Schnee, in welchen einge¬
hüllt ich gleichſam ſchwamm, zu zertheilen. Endlich gelang es mir
den Kopf daraus zu befreien und ich erblickte einen großen Theil
des Abhanges in Bewegung; da ich jedoch mich dem Rande des
rutſchenden Theiles ziemlich nahe ſah, ſo ſtrengte ich meine Kräfte
aufs Aeußerſte an, den feſtliegenden Schnee zu erreichen, auf wel¬
chem es mir endlich möglich war, ſicheren Fuß zu faſſen. Jetzt
erſt erkannte ich die wirkliche Gefahr; ich ſah, daß ich mich faſt
am Rande einer Spalte befand, welche den Abhang begränzte.
Zugleich ſah ich Herr Henderſons Kopf noch näher dem Abgrunde
aus dem ſtockenden Schnee hervorragen, und etwas weiter Herrn Dorn¬
ford nebſt drei Führern, Alle mit verzweifelt kämpfender Anſtren¬
gung bemüht, gleich mir ſicheren Boden zu gewinnen. Sie erreich¬
ten glücklich ihr Ziel, aber die fehlenden fünf Uebrigen konnte ich
nicht entdecken. Immer noch hoffte ich, ſie aus dem nun ſich
ſtauenden Schnee hervorkriechen zu ſehen, als Balmat uns zurief,
daß ſich Leute von uns in dem Abgrunde befänden. Dieſe Kunde
durchzuckte mich wie ein Wetterſchlag! fünf Menſchen lebendig be¬
graben und dies durch meine und meiner Freunde Veranlaſſung.
Dornford warf ſich unter den wildeſten Geberden des Schmerzes
auf den Schnee, und Henderſons Zuſtand erſchien momentan ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0301" n="267"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpen&#x017F;pitzen</hi>.<lb/></fw>ich glaubte nur auszugleiten, &#x017F;o ver&#x017F;uchte ich auf der linken Seite<lb/>
mich mit meinem Stocke fe&#x017F;tzuhalten, &#x2014; aber vergeblich. Der zu<lb/>
meiner Rechten &#x017F;ich anhäufende, aufbäumende Schnee wirft mich<lb/>
um, überdeckt mich und ich fühle von unwider&#x017F;tehlicher Gewalt mich<lb/>
abwärts fortgeri&#x017F;&#x017F;en. Anfangs wähnte ich, die&#x017F;er Um&#x017F;tand begegne<lb/>
mir allein; als &#x017F;ich aber der Schnee derge&#x017F;talt über mir an¬<lb/>
häufte, daß er mir den Athem entzog, &#x017F;o glaubte ich, eine große<lb/>
Lauine komme vom Montblanc herab, welche ihn vor &#x017F;ich herjage.<lb/>
Ich rief, aber wie es &#x017F;chien um&#x017F;on&#x017F;t! Meine Gefährten &#x017F;ah ich<lb/>
nicht mehr. Jeden Augenblick erwartete ich, von der Ma&#x017F;&#x017F;e erdrückt<lb/>
zu werden; jedoch &#x017F;uchte ich im Hinabrollen be&#x017F;tändig mich umzu¬<lb/>
drehen und wandte alle Kräfte an, den Schnee, in welchen einge¬<lb/>
hüllt ich gleich&#x017F;am &#x017F;chwamm, zu zertheilen. Endlich gelang es mir<lb/>
den Kopf daraus zu befreien und ich erblickte einen großen Theil<lb/>
des Abhanges in Bewegung; da ich jedoch mich dem Rande des<lb/>
rut&#x017F;chenden Theiles ziemlich nahe &#x017F;ah, &#x017F;o &#x017F;trengte ich meine Kräfte<lb/>
aufs Aeußer&#x017F;te an, den fe&#x017F;tliegenden Schnee zu erreichen, auf wel¬<lb/>
chem es mir endlich möglich war, &#x017F;icheren Fuß zu fa&#x017F;&#x017F;en. Jetzt<lb/>
er&#x017F;t erkannte ich die wirkliche Gefahr; ich &#x017F;ah, daß ich mich fa&#x017F;t<lb/>
am Rande einer Spalte befand, welche den Abhang begränzte.<lb/>
Zugleich &#x017F;ah ich Herr Hender&#x017F;ons Kopf noch näher dem Abgrunde<lb/>
aus dem &#x017F;tockenden Schnee hervorragen, und etwas weiter Herrn Dorn¬<lb/>
ford neb&#x017F;t drei Führern, Alle mit verzweifelt kämpfender An&#x017F;tren¬<lb/>
gung bemüht, gleich mir &#x017F;icheren Boden zu gewinnen. Sie erreich¬<lb/>
ten glücklich ihr Ziel, aber die fehlenden fünf Uebrigen konnte ich<lb/>
nicht entdecken. Immer noch hoffte ich, &#x017F;ie aus dem nun &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;tauenden Schnee hervorkriechen zu &#x017F;ehen, als Balmat uns zurief,<lb/>
daß &#x017F;ich Leute von uns in dem Abgrunde befänden. Die&#x017F;e Kunde<lb/>
durchzuckte mich wie ein Wetter&#x017F;chlag! fünf Men&#x017F;chen lebendig be¬<lb/>
graben und dies durch meine und meiner Freunde Veranla&#x017F;&#x017F;ung.<lb/>
Dornford warf &#x017F;ich unter den wilde&#x017F;ten Geberden des Schmerzes<lb/>
auf den Schnee, und Hender&#x017F;ons Zu&#x017F;tand er&#x017F;chien momentan &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0301] Alpenſpitzen. ich glaubte nur auszugleiten, ſo verſuchte ich auf der linken Seite mich mit meinem Stocke feſtzuhalten, — aber vergeblich. Der zu meiner Rechten ſich anhäufende, aufbäumende Schnee wirft mich um, überdeckt mich und ich fühle von unwiderſtehlicher Gewalt mich abwärts fortgeriſſen. Anfangs wähnte ich, dieſer Umſtand begegne mir allein; als ſich aber der Schnee dergeſtalt über mir an¬ häufte, daß er mir den Athem entzog, ſo glaubte ich, eine große Lauine komme vom Montblanc herab, welche ihn vor ſich herjage. Ich rief, aber wie es ſchien umſonſt! Meine Gefährten ſah ich nicht mehr. Jeden Augenblick erwartete ich, von der Maſſe erdrückt zu werden; jedoch ſuchte ich im Hinabrollen beſtändig mich umzu¬ drehen und wandte alle Kräfte an, den Schnee, in welchen einge¬ hüllt ich gleichſam ſchwamm, zu zertheilen. Endlich gelang es mir den Kopf daraus zu befreien und ich erblickte einen großen Theil des Abhanges in Bewegung; da ich jedoch mich dem Rande des rutſchenden Theiles ziemlich nahe ſah, ſo ſtrengte ich meine Kräfte aufs Aeußerſte an, den feſtliegenden Schnee zu erreichen, auf wel¬ chem es mir endlich möglich war, ſicheren Fuß zu faſſen. Jetzt erſt erkannte ich die wirkliche Gefahr; ich ſah, daß ich mich faſt am Rande einer Spalte befand, welche den Abhang begränzte. Zugleich ſah ich Herr Henderſons Kopf noch näher dem Abgrunde aus dem ſtockenden Schnee hervorragen, und etwas weiter Herrn Dorn¬ ford nebſt drei Führern, Alle mit verzweifelt kämpfender Anſtren¬ gung bemüht, gleich mir ſicheren Boden zu gewinnen. Sie erreich¬ ten glücklich ihr Ziel, aber die fehlenden fünf Uebrigen konnte ich nicht entdecken. Immer noch hoffte ich, ſie aus dem nun ſich ſtauenden Schnee hervorkriechen zu ſehen, als Balmat uns zurief, daß ſich Leute von uns in dem Abgrunde befänden. Dieſe Kunde durchzuckte mich wie ein Wetterſchlag! fünf Menſchen lebendig be¬ graben und dies durch meine und meiner Freunde Veranlaſſung. Dornford warf ſich unter den wildeſten Geberden des Schmerzes auf den Schnee, und Henderſons Zuſtand erſchien momentan ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/301
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/301>, abgerufen am 24.11.2024.