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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Gletscher .
Bei dem während der warmen Jahreszeit ununterbrochen andauern¬
den Abschmelzen der Gletscher-Oberfläche, wird diejenige Stelle
des Eises, auf welcher ein derber Steinblock, eine dicke Gneis¬
oder Schiefer-Platte liegt, vor den auflösenden, unmittelbaren Ein¬
wirkungen der Sonnenstrahlen und warmen Winde geschützt; es ist
also natürlich, daß rundum die Eisfläche allmählig abschmilzt,
während derjenige Theil des Eiskörpers, der von dem Steine be¬
deckt ist, konservirt wird, gleichsam ausgespart stehen bleibt. So
wächst der Eisträger oder Pfosten, wie der Fuß eines runden Tisches,
allgemach aus dem Gletscherboden, wird an den Seiten von der
ihn umstreichenden, einige Grad Wärme haltigen Luft stets beleckt
und abschmelzend gemindert, schlanker geformt, während die aus
dieser Eissäule ruhende Steinplatte gegen die energischen Sonnen¬
strahlen und deren rasch wirkende Schmelzkraft schirmt. Solche
Gletschertische, fast wie riesige Pilze aussehend, finden sich nicht
auf allen Gletschern, doch aber auf den meisten großen. Die schönsten
trifft man auf dem Unteraar-Gletscher, wo Agassiz Fußgestelle bis
zu acht Fuß Höhe maß, -- auf dem Theodul-Gletscher (Unterm
Matterhorn) mit Platten von 20 Fuß Länge und 6 Fuß Breite,
während der Eisfuß oft so dünn ist, daß man ihn umstürzen zu
können glaubt, -- häufig auf dem Liapey- oder Durand-Gletscher
im Val Heremence (Wallis) mit Platten von 30 Grad Neigung,
-- auf dem Pasterzen-Gletscher in Tyrol. Auf dem Glacier de
Lechaud
(Montblanc-Masse) traf Prof. Forbes sogar einen Gletscher¬
tisch, der aus einer prächtigen flachen Granitplatte von 23 Fuß
Länge, 17 Fuß Breite und etwa 3 Fuß Dicke bestand und dessen
schöngeadertes, zierliches Eis-Piedestal bis Ende August eine Höhe
von dreizehn Fuß erreichte. Wird dann das Untergestell zu schwach,
so daß die Steinplatte ihr Gleichgewicht verliert, so stürzt diese
herab, und sofort beginnt der Abschmelzungsproceß rund um die Platte
aufs Neue, während der Eisrumpf des zerstörten Tisches von den
Atmosphärilien vollends aufgelöst wird.

Der Gletſcher .
Bei dem während der warmen Jahreszeit ununterbrochen andauern¬
den Abſchmelzen der Gletſcher-Oberfläche, wird diejenige Stelle
des Eiſes, auf welcher ein derber Steinblock, eine dicke Gneis¬
oder Schiefer-Platte liegt, vor den auflöſenden, unmittelbaren Ein¬
wirkungen der Sonnenſtrahlen und warmen Winde geſchützt; es iſt
alſo natürlich, daß rundum die Eisfläche allmählig abſchmilzt,
während derjenige Theil des Eiskörpers, der von dem Steine be¬
deckt iſt, konſervirt wird, gleichſam ausgeſpart ſtehen bleibt. So
wächſt der Eisträger oder Pfoſten, wie der Fuß eines runden Tiſches,
allgemach aus dem Gletſcherboden, wird an den Seiten von der
ihn umſtreichenden, einige Grad Wärme haltigen Luft ſtets beleckt
und abſchmelzend gemindert, ſchlanker geformt, während die aus
dieſer Eisſäule ruhende Steinplatte gegen die energiſchen Sonnen¬
ſtrahlen und deren raſch wirkende Schmelzkraft ſchirmt. Solche
Gletſchertiſche, faſt wie rieſige Pilze ausſehend, finden ſich nicht
auf allen Gletſchern, doch aber auf den meiſten großen. Die ſchönſten
trifft man auf dem Unteraar-Gletſcher, wo Agaſſiz Fußgeſtelle bis
zu acht Fuß Höhe maß, — auf dem Theodul-Gletſcher (Unterm
Matterhorn) mit Platten von 20 Fuß Länge und 6 Fuß Breite,
während der Eisfuß oft ſo dünn iſt, daß man ihn umſtürzen zu
können glaubt, — häufig auf dem Liapey- oder Durand-Gletſcher
im Val Hérémence (Wallis) mit Platten von 30 Grad Neigung,
— auf dem Paſterzen-Gletſcher in Tyrol. Auf dem Glacier de
Léchaud
(Montblanc-Maſſe) traf Prof. Forbes ſogar einen Gletſcher¬
tiſch, der aus einer prächtigen flachen Granitplatte von 23 Fuß
Länge, 17 Fuß Breite und etwa 3 Fuß Dicke beſtand und deſſen
ſchöngeadertes, zierliches Eis-Piedeſtal bis Ende Auguſt eine Höhe
von dreizehn Fuß erreichte. Wird dann das Untergeſtell zu ſchwach,
ſo daß die Steinplatte ihr Gleichgewicht verliert, ſo ſtürzt dieſe
herab, und ſofort beginnt der Abſchmelzungsproceß rund um die Platte
aufs Neue, während der Eisrumpf des zerſtörten Tiſches von den
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[231/0263] Der Gletſcher . Bei dem während der warmen Jahreszeit ununterbrochen andauern¬ den Abſchmelzen der Gletſcher-Oberfläche, wird diejenige Stelle des Eiſes, auf welcher ein derber Steinblock, eine dicke Gneis¬ oder Schiefer-Platte liegt, vor den auflöſenden, unmittelbaren Ein¬ wirkungen der Sonnenſtrahlen und warmen Winde geſchützt; es iſt alſo natürlich, daß rundum die Eisfläche allmählig abſchmilzt, während derjenige Theil des Eiskörpers, der von dem Steine be¬ deckt iſt, konſervirt wird, gleichſam ausgeſpart ſtehen bleibt. So wächſt der Eisträger oder Pfoſten, wie der Fuß eines runden Tiſches, allgemach aus dem Gletſcherboden, wird an den Seiten von der ihn umſtreichenden, einige Grad Wärme haltigen Luft ſtets beleckt und abſchmelzend gemindert, ſchlanker geformt, während die aus dieſer Eisſäule ruhende Steinplatte gegen die energiſchen Sonnen¬ ſtrahlen und deren raſch wirkende Schmelzkraft ſchirmt. Solche Gletſchertiſche, faſt wie rieſige Pilze ausſehend, finden ſich nicht auf allen Gletſchern, doch aber auf den meiſten großen. Die ſchönſten trifft man auf dem Unteraar-Gletſcher, wo Agaſſiz Fußgeſtelle bis zu acht Fuß Höhe maß, — auf dem Theodul-Gletſcher (Unterm Matterhorn) mit Platten von 20 Fuß Länge und 6 Fuß Breite, während der Eisfuß oft ſo dünn iſt, daß man ihn umſtürzen zu können glaubt, — häufig auf dem Liapey- oder Durand-Gletſcher im Val Hérémence (Wallis) mit Platten von 30 Grad Neigung, — auf dem Paſterzen-Gletſcher in Tyrol. Auf dem Glacier de Léchaud (Montblanc-Maſſe) traf Prof. Forbes ſogar einen Gletſcher¬ tiſch, der aus einer prächtigen flachen Granitplatte von 23 Fuß Länge, 17 Fuß Breite und etwa 3 Fuß Dicke beſtand und deſſen ſchöngeadertes, zierliches Eis-Piedeſtal bis Ende Auguſt eine Höhe von dreizehn Fuß erreichte. Wird dann das Untergeſtell zu ſchwach, ſo daß die Steinplatte ihr Gleichgewicht verliert, ſo ſtürzt dieſe herab, und ſofort beginnt der Abſchmelzungsproceß rund um die Platte aufs Neue, während der Eisrumpf des zerſtörten Tiſches von den Atmoſphärilien vollends aufgelöſt wird.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/263>, abgerufen am 17.05.2024.