Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Rüfe jetzt bei jeder Rüfe das schmutzige schwarzgraue, hetzende Wildwasserhinab in den Rhein nehmen, wenn anders der wilde Alpengeist nicht über kurz oder lang auf den neckenden Einfall kommt, den Leuten zu zeigen, daß all ihre Weisheit und Vorsicht ohnmächtig und nutzlos ist, so bald er von der Gewalt des Stärkeren Gebrauch machen will. Denn wenn das Wetter losgeht, weiß man nie mit Sicherheit, wo eine Rüfe anbricht. Darum, wenn im Frühjahr der Föhn andauernd heftig in der Höhe weht und der Hochschnee eilends schmilzt, oder wenn ein Gewitter losbricht, müssen die Anwohner dieser zur Landesplage gewordenen Kanäle Tag und Nacht auf der Wache stehen und schon am Fuße der Gebirge, dort wo die Schlamm- gesättigten Ströme aus den Schluchten hervorbrechen, Acht haben, daß sich das normale Bett nicht verstopfe; wird dies verfehlt, so bohrt das mit rasendem Ungestüm einherbrausende Wildwasser sich neue Bahnen, bricht in die Güter ein und zerstört Alles, was ihm im Wege liegt. Daher kommts, daß Weinberge, die sonst sehr bedroht waren, jetzt, wo die Rüfe ein anderes Bett sich gewühlt hat, nun völlig geschützt im Frieden ihre köstlichen Trauben reifen können. Manchmal fällt im Dorfe Trimmis kein Tropfen Regen und im eine Viertelstunde entfernten Maschänzer und Skalära- Tobel hängt ein Gewitter, das in sündfluthlichen Strömen sich ent¬ ladet und wie aus Malakoff-Bastionen seine Blitz-Salven ununter¬ brochen herausfeuert. Bald geht beim Hochwetter die eine, bald die andere Rüfe, während eine von beiden trocken liegt; und doch sind beide kaum viertausend Fuß (in horizontaler Projektion) von einander durch einen Gebirgskeil getrennt. Man weiß darum nie, von welcher Seite das Unglück hereinbricht. Verlassen wir für eine kurze Strecke den Rüfen-Kanal, um Die Rüfe jetzt bei jeder Rüfe das ſchmutzige ſchwarzgraue, hetzende Wildwaſſerhinab in den Rhein nehmen, wenn anders der wilde Alpengeiſt nicht über kurz oder lang auf den neckenden Einfall kommt, den Leuten zu zeigen, daß all ihre Weisheit und Vorſicht ohnmächtig und nutzlos iſt, ſo bald er von der Gewalt des Stärkeren Gebrauch machen will. Denn wenn das Wetter losgeht, weiß man nie mit Sicherheit, wo eine Rüfe anbricht. Darum, wenn im Frühjahr der Föhn andauernd heftig in der Höhe weht und der Hochſchnee eilends ſchmilzt, oder wenn ein Gewitter losbricht, müſſen die Anwohner dieſer zur Landesplage gewordenen Kanäle Tag und Nacht auf der Wache ſtehen und ſchon am Fuße der Gebirge, dort wo die Schlamm- geſättigten Ströme aus den Schluchten hervorbrechen, Acht haben, daß ſich das normale Bett nicht verſtopfe; wird dies verfehlt, ſo bohrt das mit raſendem Ungeſtüm einherbrauſende Wildwaſſer ſich neue Bahnen, bricht in die Güter ein und zerſtört Alles, was ihm im Wege liegt. Daher kommts, daß Weinberge, die ſonſt ſehr bedroht waren, jetzt, wo die Rüfe ein anderes Bett ſich gewühlt hat, nun völlig geſchützt im Frieden ihre köſtlichen Trauben reifen können. Manchmal fällt im Dorfe Trimmis kein Tropfen Regen und im eine Viertelſtunde entfernten Maſchänzer und Skalära- Tobel hängt ein Gewitter, das in ſündfluthlichen Strömen ſich ent¬ ladet und wie aus Malakoff-Baſtionen ſeine Blitz-Salven ununter¬ brochen herausfeuert. Bald geht beim Hochwetter die eine, bald die andere Rüfe, während eine von beiden trocken liegt; und doch ſind beide kaum viertauſend Fuß (in horizontaler Projektion) von einander durch einen Gebirgskeil getrennt. Man weiß darum nie, von welcher Seite das Unglück hereinbricht. 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Die Rüfe
jetzt bei jeder Rüfe das ſchmutzige ſchwarzgraue, hetzende Wildwaſſer
hinab in den Rhein nehmen, wenn anders der wilde Alpengeiſt
nicht über kurz oder lang auf den neckenden Einfall kommt, den
Leuten zu zeigen, daß all ihre Weisheit und Vorſicht ohnmächtig
und nutzlos iſt, ſo bald er von der Gewalt des Stärkeren Gebrauch
machen will. Denn wenn das Wetter losgeht, weiß man nie mit
Sicherheit, wo eine Rüfe anbricht. Darum, wenn im Frühjahr der
Föhn andauernd heftig in der Höhe weht und der Hochſchnee eilends
ſchmilzt, oder wenn ein Gewitter losbricht, müſſen die Anwohner
dieſer zur Landesplage gewordenen Kanäle Tag und Nacht auf der
Wache ſtehen und ſchon am Fuße der Gebirge, dort wo die Schlamm-
geſättigten Ströme aus den Schluchten hervorbrechen, Acht haben,
daß ſich das normale Bett nicht verſtopfe; wird dies verfehlt, ſo
bohrt das mit raſendem Ungeſtüm einherbrauſende Wildwaſſer ſich
neue Bahnen, bricht in die Güter ein und zerſtört Alles, was ihm
im Wege liegt. Daher kommts, daß Weinberge, die ſonſt ſehr
bedroht waren, jetzt, wo die Rüfe ein anderes Bett ſich gewühlt
hat, nun völlig geſchützt im Frieden ihre köſtlichen Trauben reifen
können. Manchmal fällt im Dorfe Trimmis kein Tropfen Regen
und im eine Viertelſtunde entfernten Maſchänzer und Skalära-
Tobel hängt ein Gewitter, das in ſündfluthlichen Strömen ſich ent¬
ladet und wie aus Malakoff-Baſtionen ſeine Blitz-Salven ununter¬
brochen herausfeuert. Bald geht beim Hochwetter die eine, bald
die andere Rüfe, während eine von beiden trocken liegt; und doch
ſind beide kaum viertauſend Fuß (in horizontaler Projektion) von
einander durch einen Gebirgskeil getrennt. Man weiß darum nie,
von welcher Seite das Unglück hereinbricht.
Verlaſſen wir für eine kurze Strecke den Rüfen-Kanal, um
auf anmuthigerem Wege hinauf in die oberen, wilderen Partieen
zu ſteigen. Der Pfad führt durch fette, im gaukelndſten Blumen¬
flor prangende Kultur-Wieſen, auf denen, neben den allgemein be¬
kannten Wieſenkräutern, beſonders viele hell-lilla-blühende Sca¬
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