Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Alpenrose.
einander, ein großes kollegialisches Blühen, das jauchzende Genießen
einer gemeinsamen Jugend, man möchte fast sagen ein millionen¬
fältiges rosarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenrose
noch eine wesentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das
Karmin-Glöckcken seine volle Lebensfreude genossen hat und die
Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langsam am Sten¬
gel absterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder seine
schöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zusammenschrumpfend wie
viele der schönsten Blumen, -- nein, mit fröhlichem freien Ent¬
schlusse, wirft es noch einen sehnsüchtig vollen Blick auf alle seine
lieben Genossen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die
ganze schöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen
brennendheißen Abschiedskuß auf die Lippen und springt dann mit
einem Satze leicht in den vorüberrauschenden Waldbach oder den
zu Schaum aufgelösten Gebirgsstrom, und kein sterbliches Auge be¬
kommt es wieder zu sehen.

Unser Alpenröschen ist ein eigensinniges Pflänzchen; es läßt sich
nicht willig in die Tieflandsgärten und herrschaftlichen Parke ver¬
sehen, um nach des blumistischen Künstlers Gutfinden unter allerlei
servilem Pflanzentande sklavisch die Rabatten zu schmücken, -- es
ist kein "feiles Röschen", das zu Jedermanns Belieben und Gebot
steht; ein freies Kind freier Berge, blüht es nur dort, wo seine
Heimath ist, wo es dem Himmel näher als die Menschen, auch in
vollen Zügen die reineren Aetherlüfte trinkt.

Sie grämts und härmts im Herzen,
Verpflanzt sie eine Hand;
Sie stirbt an Heimwehschmerzen
In jedem fremden Land.

Und zugleich ists dabei das reizendste Symbol jungfräulicher
Reinheit und Unschuld; im großen Pflanzenreiche giebts kaum noch
eine Blüthe, die, gebrochen, so rasch die Schönheit und das Feuer
ihrer Farbe verliert und zu Tode getroffen dahinsiecht, wie die Al¬
penrose. Wetter und Sturm, Hitze und Frost, Regen und Schnee, --

Alpenroſe.
einander, ein großes kollegialiſches Blühen, das jauchzende Genießen
einer gemeinſamen Jugend, man möchte faſt ſagen ein millionen¬
fältiges roſarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenroſe
noch eine weſentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das
Karmin-Glöckcken ſeine volle Lebensfreude genoſſen hat und die
Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langſam am Sten¬
gel abſterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder ſeine
ſchöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zuſammenſchrumpfend wie
viele der ſchönſten Blumen, — nein, mit fröhlichem freien Ent¬
ſchluſſe, wirft es noch einen ſehnſüchtig vollen Blick auf alle ſeine
lieben Genoſſen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die
ganze ſchöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen
brennendheißen Abſchiedskuß auf die Lippen und ſpringt dann mit
einem Satze leicht in den vorüberrauſchenden Waldbach oder den
zu Schaum aufgelöſten Gebirgsſtrom, und kein ſterbliches Auge be¬
kommt es wieder zu ſehen.

Unſer Alpenröschen iſt ein eigenſinniges Pflänzchen; es läßt ſich
nicht willig in die Tieflandsgärten und herrſchaftlichen Parke ver¬
ſehen, um nach des blumiſtiſchen Künſtlers Gutfinden unter allerlei
ſervilem Pflanzentande ſklaviſch die Rabatten zu ſchmücken, — es
iſt kein „feiles Röschen“, das zu Jedermanns Belieben und Gebot
ſteht; ein freies Kind freier Berge, blüht es nur dort, wo ſeine
Heimath iſt, wo es dem Himmel näher als die Menſchen, auch in
vollen Zügen die reineren Aetherlüfte trinkt.

Sie grämts und härmts im Herzen,
Verpflanzt ſie eine Hand;
Sie ſtirbt an Heimwehſchmerzen
In jedem fremden Land.

Und zugleich iſts dabei das reizendſte Symbol jungfräulicher
Reinheit und Unſchuld; im großen Pflanzenreiche giebts kaum noch
eine Blüthe, die, gebrochen, ſo raſch die Schönheit und das Feuer
ihrer Farbe verliert und zu Tode getroffen dahinſiecht, wie die Al¬
penroſe. Wetter und Sturm, Hitze und Froſt, Regen und Schnee, —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0129" n="103"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpenro&#x017F;e</hi>.<lb/></fw> einander, ein großes kollegiali&#x017F;ches Blühen, das jauchzende Genießen<lb/>
einer gemein&#x017F;amen Jugend, man möchte fa&#x017F;t &#x017F;agen ein millionen¬<lb/>
fältiges ro&#x017F;arothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenro&#x017F;e<lb/>
noch eine we&#x017F;entliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das<lb/>
Karmin-Glöckcken &#x017F;eine volle Lebensfreude geno&#x017F;&#x017F;en hat und die<lb/>
Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, lang&#x017F;am am Sten¬<lb/>
gel ab&#x017F;terbend, verkommend und Bedauern erregend, oder &#x017F;eine<lb/>
&#x017F;chöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zu&#x017F;ammen&#x017F;chrumpfend wie<lb/>
viele der &#x017F;chön&#x017F;ten Blumen, &#x2014; nein, mit fröhlichem freien Ent¬<lb/>
&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e, wirft es noch einen &#x017F;ehn&#x017F;üchtig vollen Blick auf alle &#x017F;eine<lb/>
lieben Geno&#x017F;&#x017F;en, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die<lb/>
ganze &#x017F;chöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen<lb/>
brennendheißen Ab&#x017F;chiedskuß auf die Lippen und &#x017F;pringt dann mit<lb/>
einem Satze leicht in den vorüberrau&#x017F;chenden Waldbach oder den<lb/>
zu Schaum aufgelö&#x017F;ten Gebirgs&#x017F;trom, und kein &#x017F;terbliches Auge be¬<lb/>
kommt es wieder zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;er Alpenröschen i&#x017F;t ein eigen&#x017F;inniges Pflänzchen; es läßt &#x017F;ich<lb/>
nicht willig in die Tieflandsgärten und herr&#x017F;chaftlichen Parke ver¬<lb/>
&#x017F;ehen, um nach des blumi&#x017F;ti&#x017F;chen Kün&#x017F;tlers Gutfinden unter allerlei<lb/>
&#x017F;ervilem Pflanzentande &#x017F;klavi&#x017F;ch die Rabatten zu &#x017F;chmücken, &#x2014; es<lb/>
i&#x017F;t kein &#x201E;feiles Röschen&#x201C;, das zu Jedermanns Belieben und Gebot<lb/>
&#x017F;teht; ein freies Kind freier Berge, blüht es nur dort, wo &#x017F;eine<lb/>
Heimath i&#x017F;t, wo es dem Himmel näher als die Men&#x017F;chen, auch in<lb/>
vollen Zügen die reineren Aetherlüfte trinkt.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Sie grämts und härmts im Herzen,</l><lb/>
          <l>Verpflanzt &#x017F;ie eine Hand;</l><lb/>
          <l>Sie &#x017F;tirbt an Heimweh&#x017F;chmerzen</l><lb/>
          <l>In jedem fremden Land.</l><lb/>
        </lg>
        <p>Und zugleich i&#x017F;ts dabei das reizend&#x017F;te Symbol jungfräulicher<lb/>
Reinheit und Un&#x017F;chuld; im großen Pflanzenreiche giebts kaum noch<lb/>
eine Blüthe, die, gebrochen, &#x017F;o ra&#x017F;ch die Schönheit und das Feuer<lb/>
ihrer Farbe verliert und zu Tode getroffen dahin&#x017F;iecht, wie die Al¬<lb/>
penro&#x017F;e. Wetter und Sturm, Hitze und Fro&#x017F;t, Regen und Schnee, &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0129] Alpenroſe. einander, ein großes kollegialiſches Blühen, das jauchzende Genießen einer gemeinſamen Jugend, man möchte faſt ſagen ein millionen¬ fältiges roſarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenroſe noch eine weſentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das Karmin-Glöckcken ſeine volle Lebensfreude genoſſen hat und die Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langſam am Sten¬ gel abſterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder ſeine ſchöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zuſammenſchrumpfend wie viele der ſchönſten Blumen, — nein, mit fröhlichem freien Ent¬ ſchluſſe, wirft es noch einen ſehnſüchtig vollen Blick auf alle ſeine lieben Genoſſen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die ganze ſchöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen brennendheißen Abſchiedskuß auf die Lippen und ſpringt dann mit einem Satze leicht in den vorüberrauſchenden Waldbach oder den zu Schaum aufgelöſten Gebirgsſtrom, und kein ſterbliches Auge be¬ kommt es wieder zu ſehen. Unſer Alpenröschen iſt ein eigenſinniges Pflänzchen; es läßt ſich nicht willig in die Tieflandsgärten und herrſchaftlichen Parke ver¬ ſehen, um nach des blumiſtiſchen Künſtlers Gutfinden unter allerlei ſervilem Pflanzentande ſklaviſch die Rabatten zu ſchmücken, — es iſt kein „feiles Röschen“, das zu Jedermanns Belieben und Gebot ſteht; ein freies Kind freier Berge, blüht es nur dort, wo ſeine Heimath iſt, wo es dem Himmel näher als die Menſchen, auch in vollen Zügen die reineren Aetherlüfte trinkt. Sie grämts und härmts im Herzen, Verpflanzt ſie eine Hand; Sie ſtirbt an Heimwehſchmerzen In jedem fremden Land. Und zugleich iſts dabei das reizendſte Symbol jungfräulicher Reinheit und Unſchuld; im großen Pflanzenreiche giebts kaum noch eine Blüthe, die, gebrochen, ſo raſch die Schönheit und das Feuer ihrer Farbe verliert und zu Tode getroffen dahinſiecht, wie die Al¬ penroſe. Wetter und Sturm, Hitze und Froſt, Regen und Schnee, —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/129
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/129>, abgerufen am 04.05.2024.