Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Geldnoth. XVII.
auf. -- Im Sommer 1861 fiel nun das Papiergeld unter den dreissig-
sten Theil seines Nominalwerthes, ja es kam vor, dass im Volks-
gedränge an den Kassen die Notenbesitzer, um nur Münze zu haben,
einander unterboten, dass die Kassirer ruhig das niedrigste Ange-
bot abwarteten, während draussen Tausende harrten und bangten.
In Handel und Wandel wollte Niemand mehr Papiergeld nehmen.
Durch den Krieg und vorzüglich durch die Flucht des Kaisers,
welcher grosse Massen Reis nach Dzehol kommen liess, stieg der
Preis dieses nothwendigsten, und in Folge dessen aller übrigen
Lebensmittel auf das Doppelte und darüber, während das coursirende
Tauschmittel werthlos wurde: so entstand denn bei den ärmeren
Classen bittere Noth, als deren Urheber Su-tsuen vom Volke offen
verflucht wurde. Amtlich konnte man ihn nicht belangen; die
Rechnungen waren verbrannt und seine Operationen so complicirt,
dass er sehr wohl die Schuld der übermässigen Ausgabe auf die
damit betrauten Banken schieben konnte, während diese wieder das
Finanz-Departement bezüchtigten. Die Regierung scheint sich
schliesslich damit geholfen zu haben, dass sie den Aemterhandel aus-
dehnte und sich bereit zeigte, einen bestimmten Theil der Kauf-
summe, der früher in Silber erlegt werden musste, jetzt in Papier
zu festem, wenn auch niedrigem Course anzunehmen. Dadurch
wurden die Reichen veranlasst, von den ärmeren Classen die Noten
aufzukaufen, welche die Regierung allmälig einzog. Trotz dem
grossen Schaden, den das Volk noch immer litt, hatte sich die
Aufregung zur Zeit unserer Anwesenheit in Pe-kin gelegt. Uebrigens
coursirten die Noten nur in der Hauptstadt, nicht in der Provinz. --
Anders scheint es im 14. Jahrhundert gewesen zu sein, als die
Mongolenkaiser ihre chinesischen Unterthanen durch übermässige
Ausgabe von Papiergeld betrogen. In der Zwischenzeit kannte man
solches nicht in China.

Die von der Bevölkerung der Hauptstadt geübte politische
Macht ist wohl eben so alt als das System des chinesischen Staates.
Dessen Grundprincip, dass die im Himmelssohne incarnirte sittliche
Weltordnung, kein Zwang die Handlungen der Menschen lenken
soll, ist mit der chinesischen Cultur unzertrennlich verwachsen und
überlebt jede Dynastie. Umwälzungen, welche auf Umsturz oder
Modification dieses Systemes ausgehen, hat kein chinesischer Kaiser
zu fürchten; es giebt dort nur Rebellionen, welche auf Beseitigung
einer nicht mehr als Himmelssohn anerkannten Person und ihres

Geldnoth. XVII.
auf. — Im Sommer 1861 fiel nun das Papiergeld unter den dreissig-
sten Theil seines Nominalwerthes, ja es kam vor, dass im Volks-
gedränge an den Kassen die Notenbesitzer, um nur Münze zu haben,
einander unterboten, dass die Kassirer ruhig das niedrigste Ange-
bot abwarteten, während draussen Tausende harrten und bangten.
In Handel und Wandel wollte Niemand mehr Papiergeld nehmen.
Durch den Krieg und vorzüglich durch die Flucht des Kaisers,
welcher grosse Massen Reis nach Džehol kommen liess, stieg der
Preis dieses nothwendigsten, und in Folge dessen aller übrigen
Lebensmittel auf das Doppelte und darüber, während das coursirende
Tauschmittel werthlos wurde: so entstand denn bei den ärmeren
Classen bittere Noth, als deren Urheber Su-tšuen vom Volke offen
verflucht wurde. Amtlich konnte man ihn nicht belangen; die
Rechnungen waren verbrannt und seine Operationen so complicirt,
dass er sehr wohl die Schuld der übermässigen Ausgabe auf die
damit betrauten Banken schieben konnte, während diese wieder das
Finanz-Departement bezüchtigten. Die Regierung scheint sich
schliesslich damit geholfen zu haben, dass sie den Aemterhandel aus-
dehnte und sich bereit zeigte, einen bestimmten Theil der Kauf-
summe, der früher in Silber erlegt werden musste, jetzt in Papier
zu festem, wenn auch niedrigem Course anzunehmen. Dadurch
wurden die Reichen veranlasst, von den ärmeren Classen die Noten
aufzukaufen, welche die Regierung allmälig einzog. Trotz dem
grossen Schaden, den das Volk noch immer litt, hatte sich die
Aufregung zur Zeit unserer Anwesenheit in Pe-kiṅ gelegt. Uebrigens
coursirten die Noten nur in der Hauptstadt, nicht in der Provinz. —
Anders scheint es im 14. Jahrhundert gewesen zu sein, als die
Mongolenkaiser ihre chinesischen Unterthanen durch übermässige
Ausgabe von Papiergeld betrogen. In der Zwischenzeit kannte man
solches nicht in China.

Die von der Bevölkerung der Hauptstadt geübte politische
Macht ist wohl eben so alt als das System des chinesischen Staates.
Dessen Grundprincip, dass die im Himmelssohne incarnirte sittliche
Weltordnung, kein Zwang die Handlungen der Menschen lenken
soll, ist mit der chinesischen Cultur unzertrennlich verwachsen und
überlebt jede Dynastie. Umwälzungen, welche auf Umsturz oder
Modification dieses Systemes ausgehen, hat kein chinesischer Kaiser
zu fürchten; es giebt dort nur Rebellionen, welche auf Beseitigung
einer nicht mehr als Himmelssohn anerkannten Person und ihres

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="156"/><fw place="top" type="header">Geldnoth. XVII.</fw><lb/>
auf. &#x2014; Im Sommer 1861 fiel nun das Papiergeld unter den dreissig-<lb/>
sten Theil seines Nominalwerthes, ja es kam vor, dass im Volks-<lb/>
gedränge an den Kassen die Notenbesitzer, um nur Münze zu haben,<lb/>
einander unterboten, dass die Kassirer ruhig das niedrigste Ange-<lb/>
bot abwarteten, während draussen Tausende harrten und bangten.<lb/>
In Handel und Wandel wollte Niemand mehr Papiergeld nehmen.<lb/>
Durch den Krieg und vorzüglich durch die Flucht des Kaisers,<lb/>
welcher grosse Massen Reis nach <hi rendition="#k"><placeName>D&#x017E;ehol</placeName></hi> kommen liess, stieg der<lb/>
Preis dieses nothwendigsten, und in Folge dessen aller übrigen<lb/>
Lebensmittel auf das Doppelte und darüber, während das coursirende<lb/>
Tauschmittel werthlos wurde: so entstand denn bei den ärmeren<lb/>
Classen bittere Noth, als deren Urheber <hi rendition="#k"><persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/no2007122954">Su-t&#x0161;uen</persName></hi> vom Volke offen<lb/>
verflucht wurde. Amtlich konnte man ihn nicht belangen; die<lb/>
Rechnungen waren verbrannt und seine Operationen so complicirt,<lb/>
dass er sehr wohl die Schuld der übermässigen Ausgabe auf die<lb/>
damit betrauten Banken schieben konnte, während diese wieder das<lb/>
Finanz-Departement bezüchtigten. Die Regierung scheint sich<lb/>
schliesslich damit geholfen zu haben, dass sie den Aemterhandel aus-<lb/>
dehnte und sich bereit zeigte, einen bestimmten Theil der Kauf-<lb/>
summe, der früher in Silber erlegt werden musste, jetzt in Papier<lb/>
zu festem, wenn auch niedrigem Course anzunehmen. Dadurch<lb/>
wurden die Reichen veranlasst, von den ärmeren Classen die Noten<lb/>
aufzukaufen, welche die Regierung allmälig einzog. Trotz dem<lb/>
grossen Schaden, den das Volk noch immer litt, hatte sich die<lb/>
Aufregung zur Zeit unserer Anwesenheit in <hi rendition="#k"><placeName>Pe-kin&#x0307;</placeName></hi> gelegt. Uebrigens<lb/>
coursirten die Noten nur in der Hauptstadt, nicht in der Provinz. &#x2014;<lb/>
Anders scheint es im 14. Jahrhundert gewesen zu sein, als die<lb/>
Mongolenkaiser ihre chinesischen Unterthanen durch übermässige<lb/>
Ausgabe von Papiergeld betrogen. In der Zwischenzeit kannte man<lb/>
solches nicht in <placeName>China</placeName>.</p><lb/>
          <p>Die von der Bevölkerung der Hauptstadt geübte politische<lb/>
Macht ist wohl eben so alt als das System des chinesischen Staates.<lb/>
Dessen Grundprincip, dass die im Himmelssohne incarnirte sittliche<lb/>
Weltordnung, kein Zwang die Handlungen der Menschen lenken<lb/>
soll, ist mit der chinesischen Cultur unzertrennlich verwachsen und<lb/>
überlebt jede Dynastie. Umwälzungen, welche auf Umsturz oder<lb/>
Modification dieses Systemes ausgehen, hat kein chinesischer Kaiser<lb/>
zu fürchten; es giebt dort nur Rebellionen, welche auf Beseitigung<lb/>
einer nicht mehr als Himmelssohn anerkannten Person und ihres<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0170] Geldnoth. XVII. auf. — Im Sommer 1861 fiel nun das Papiergeld unter den dreissig- sten Theil seines Nominalwerthes, ja es kam vor, dass im Volks- gedränge an den Kassen die Notenbesitzer, um nur Münze zu haben, einander unterboten, dass die Kassirer ruhig das niedrigste Ange- bot abwarteten, während draussen Tausende harrten und bangten. In Handel und Wandel wollte Niemand mehr Papiergeld nehmen. Durch den Krieg und vorzüglich durch die Flucht des Kaisers, welcher grosse Massen Reis nach Džehol kommen liess, stieg der Preis dieses nothwendigsten, und in Folge dessen aller übrigen Lebensmittel auf das Doppelte und darüber, während das coursirende Tauschmittel werthlos wurde: so entstand denn bei den ärmeren Classen bittere Noth, als deren Urheber Su-tšuen vom Volke offen verflucht wurde. Amtlich konnte man ihn nicht belangen; die Rechnungen waren verbrannt und seine Operationen so complicirt, dass er sehr wohl die Schuld der übermässigen Ausgabe auf die damit betrauten Banken schieben konnte, während diese wieder das Finanz-Departement bezüchtigten. Die Regierung scheint sich schliesslich damit geholfen zu haben, dass sie den Aemterhandel aus- dehnte und sich bereit zeigte, einen bestimmten Theil der Kauf- summe, der früher in Silber erlegt werden musste, jetzt in Papier zu festem, wenn auch niedrigem Course anzunehmen. Dadurch wurden die Reichen veranlasst, von den ärmeren Classen die Noten aufzukaufen, welche die Regierung allmälig einzog. Trotz dem grossen Schaden, den das Volk noch immer litt, hatte sich die Aufregung zur Zeit unserer Anwesenheit in Pe-kiṅ gelegt. Uebrigens coursirten die Noten nur in der Hauptstadt, nicht in der Provinz. — Anders scheint es im 14. Jahrhundert gewesen zu sein, als die Mongolenkaiser ihre chinesischen Unterthanen durch übermässige Ausgabe von Papiergeld betrogen. In der Zwischenzeit kannte man solches nicht in China. Die von der Bevölkerung der Hauptstadt geübte politische Macht ist wohl eben so alt als das System des chinesischen Staates. Dessen Grundprincip, dass die im Himmelssohne incarnirte sittliche Weltordnung, kein Zwang die Handlungen der Menschen lenken soll, ist mit der chinesischen Cultur unzertrennlich verwachsen und überlebt jede Dynastie. Umwälzungen, welche auf Umsturz oder Modification dieses Systemes ausgehen, hat kein chinesischer Kaiser zu fürchten; es giebt dort nur Rebellionen, welche auf Beseitigung einer nicht mehr als Himmelssohn anerkannten Person und ihres

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/170
Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/170>, abgerufen am 24.11.2024.