So ruhig und nüchtern die Bevölkerung der Hauptstadt dem Fremden scheint, so ist sie doch ein wichtiger Factor in allen politischen Angelegenheiten. Die öffentliche Meinung in anderen Städten des Reiches kümmert den kaiserlichen Hof nur wenig; mit den Bewohnern von Pe-kin sucht er sich stets in Einklang zu setzen. Die Ursache liegt nah: er ist in ihren Händen, während Unzufrieden- heit und Aufruhr in anderen Theilen des Reiches ihn nur von ferne berühren. Die Bannerleute, der wichtigste Theil der Garnison, wohnen seit mehreren Generationen in Pe-kin und sind mit der Bevölkerung innig verschmolzen, ja gewissermaassen die Bevölkerung selbst; denn Familienbande knüpfen sie sicher an alle Stände. Die Gunst der Bevölkerung war die Stärke des Prinzen von Kun in der damaligen politischen Conjunctur. Denn abgesehen davon, dass seine Gegner den Kaiser aus selbstsüchtigen Absichten, zum tiefen Schmerz aller ehrlichen Patrioten nach Dzehol getrieben hatten, war Su-tsuen, die Seele jener Camarilla, aus anderen Ursachen dem Volke verhasst, dessen Wünsche sich deutlich in einem damals umlaufenden Gerüchte spiegelten: die erste Handlung des jungen Kaisers sei der Befehl zu Su-tsuen's Hinrichtung gewesen. Man verabscheute ihn als Urheber der Geldnoth, welche im Som- mer 1861 ihren Gipfel erreichte und das Volk in grosse Aufregung versetzte. Seit einigen Jahren hielten nämlich die Tae-pin alle Kupferminen besetzt, welche die kaiserliche Münze zu versorgen pflegten; deshalb konnte kein Kupfergeld geprägt werden. Solches bildet aber das einzige Tauschmittel im Handel und Wandel des Volkes; gemünztes Silber giebt es nicht, nur ungemünztes kommt in Barren dem Gewicht nach bei grösseren Zahlungen in Anwendung. Su-tsuen liess nun als Präsident des Finanz-Departements zunächst eiserne Münzen prägen, welche die Bewohner von Pe-kin entrüstet zurückwiesen und dem Urheber auf offener Strasse an den Kopf warfen. Dann liess er Papiergeld ausgeben, das die Kassen zum vollen Werthe wechselten. Allmälig aber sank der Cours, welchen vier privilegirte Banken zu normiren hatten, und man erfuhr, dass der Nominalwerth der ausgegebenen Noten die Zahlungsfähigkeit der Regierung um ein Vielfaches überstieg. Su-tsuen soll bei dieser Operation keinen Schaden gelitten haben: kurz vor dem Termin, an welchem er 1860 als Präsident des Finanz-Departements öffentlich Rechnung legen musste, gingen dessen Amtsgebäude mit sämmtlichen auf die Emission der Noten bezüglichen Documenten in Flammen
So ruhig und nüchtern die Bevölkerung der Hauptstadt dem Fremden scheint, so ist sie doch ein wichtiger Factor in allen politischen Angelegenheiten. Die öffentliche Meinung in anderen Städten des Reiches kümmert den kaiserlichen Hof nur wenig; mit den Bewohnern von Pe-kiṅ sucht er sich stets in Einklang zu setzen. Die Ursache liegt nah: er ist in ihren Händen, während Unzufrieden- heit und Aufruhr in anderen Theilen des Reiches ihn nur von ferne berühren. Die Bannerleute, der wichtigste Theil der Garnison, wohnen seit mehreren Generationen in Pe-kiṅ und sind mit der Bevölkerung innig verschmolzen, ja gewissermaassen die Bevölkerung selbst; denn Familienbande knüpfen sie sicher an alle Stände. Die Gunst der Bevölkerung war die Stärke des Prinzen von Kuṅ in der damaligen politischen Conjunctur. Denn abgesehen davon, dass seine Gegner den Kaiser aus selbstsüchtigen Absichten, zum tiefen Schmerz aller ehrlichen Patrioten nach Džehol getrieben hatten, war Su-tšuen, die Seele jener Camarilla, aus anderen Ursachen dem Volke verhasst, dessen Wünsche sich deutlich in einem damals umlaufenden Gerüchte spiegelten: die erste Handlung des jungen Kaisers sei der Befehl zu Su-tšuen’s Hinrichtung gewesen. Man verabscheute ihn als Urheber der Geldnoth, welche im Som- mer 1861 ihren Gipfel erreichte und das Volk in grosse Aufregung versetzte. Seit einigen Jahren hielten nämlich die Tae-piṅ alle Kupferminen besetzt, welche die kaiserliche Münze zu versorgen pflegten; deshalb konnte kein Kupfergeld geprägt werden. Solches bildet aber das einzige Tauschmittel im Handel und Wandel des Volkes; gemünztes Silber giebt es nicht, nur ungemünztes kommt in Barren dem Gewicht nach bei grösseren Zahlungen in Anwendung. Su-tšuen liess nun als Präsident des Finanz-Departements zunächst eiserne Münzen prägen, welche die Bewohner von Pe-kiṅ entrüstet zurückwiesen und dem Urheber auf offener Strasse an den Kopf warfen. Dann liess er Papiergeld ausgeben, das die Kassen zum vollen Werthe wechselten. Allmälig aber sank der Cours, welchen vier privilegirte Banken zu normiren hatten, und man erfuhr, dass der Nominalwerth der ausgegebenen Noten die Zahlungsfähigkeit der Regierung um ein Vielfaches überstieg. Su-tšuen soll bei dieser Operation keinen Schaden gelitten haben: kurz vor dem Termin, an welchem er 1860 als Präsident des Finanz-Departements öffentlich Rechnung legen musste, gingen dessen Amtsgebäude mit sämmtlichen auf die Emission der Noten bezüglichen Documenten in Flammen
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XVII. Su-tšuen.
So ruhig und nüchtern die Bevölkerung der Hauptstadt dem
Fremden scheint, so ist sie doch ein wichtiger Factor in allen
politischen Angelegenheiten. Die öffentliche Meinung in anderen
Städten des Reiches kümmert den kaiserlichen Hof nur wenig; mit
den Bewohnern von Pe-kiṅ sucht er sich stets in Einklang zu setzen.
Die Ursache liegt nah: er ist in ihren Händen, während Unzufrieden-
heit und Aufruhr in anderen Theilen des Reiches ihn nur von ferne
berühren. Die Bannerleute, der wichtigste Theil der Garnison,
wohnen seit mehreren Generationen in Pe-kiṅ und sind mit der
Bevölkerung innig verschmolzen, ja gewissermaassen die Bevölkerung
selbst; denn Familienbande knüpfen sie sicher an alle Stände. Die
Gunst der Bevölkerung war die Stärke des Prinzen von Kuṅ in der
damaligen politischen Conjunctur. Denn abgesehen davon, dass
seine Gegner den Kaiser aus selbstsüchtigen Absichten, zum tiefen
Schmerz aller ehrlichen Patrioten nach Džehol getrieben hatten,
war Su-tšuen, die Seele jener Camarilla, aus anderen Ursachen
dem Volke verhasst, dessen Wünsche sich deutlich in einem damals
umlaufenden Gerüchte spiegelten: die erste Handlung des jungen
Kaisers sei der Befehl zu Su-tšuen’s Hinrichtung gewesen. Man
verabscheute ihn als Urheber der Geldnoth, welche im Som-
mer 1861 ihren Gipfel erreichte und das Volk in grosse Aufregung
versetzte. Seit einigen Jahren hielten nämlich die Tae-piṅ alle
Kupferminen besetzt, welche die kaiserliche Münze zu versorgen
pflegten; deshalb konnte kein Kupfergeld geprägt werden. Solches
bildet aber das einzige Tauschmittel im Handel und Wandel des
Volkes; gemünztes Silber giebt es nicht, nur ungemünztes kommt
in Barren dem Gewicht nach bei grösseren Zahlungen in Anwendung.
Su-tšuen liess nun als Präsident des Finanz-Departements zunächst
eiserne Münzen prägen, welche die Bewohner von Pe-kiṅ entrüstet
zurückwiesen und dem Urheber auf offener Strasse an den Kopf
warfen. Dann liess er Papiergeld ausgeben, das die Kassen zum
vollen Werthe wechselten. Allmälig aber sank der Cours, welchen
vier privilegirte Banken zu normiren hatten, und man erfuhr, dass
der Nominalwerth der ausgegebenen Noten die Zahlungsfähigkeit
der Regierung um ein Vielfaches überstieg. Su-tšuen soll bei dieser
Operation keinen Schaden gelitten haben: kurz vor dem Termin, an
welchem er 1860 als Präsident des Finanz-Departements öffentlich
Rechnung legen musste, gingen dessen Amtsgebäude mit sämmtlichen
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/169>, abgerufen am 24.11.2024.
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