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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Tsen-pao.

Tseu-tsau erwiederte den Besuch in Vertretung seines kranken
Vaters und redete ganz verständig. Offen und unbefangen beklagte
er die Missbräuche in der Verwaltung und machte kein Hehl aus
den amtlichen Lügen, mit welchen die Behörden das Publicum
täuschten. So feierte damals die Zeitung von Pe-kin den Feld-
herrn Tsen-pao, der die Rebellen in San-tun bekämpfte, durch
glänzende Siegesberichte. Tseu-tsau aber erklärte rund heraus,
er sei nur ein Maulheld. Die Art, in welcher Tsen-pao nach
eigenem Geständniss die Provinz beruhigt hatte, giebt ein grausiges
Bild von der kalten Blutgier asiatischer Grossen; er theilte alle
männlichen Bewohner der zurückgewonnenen Bezirke in zwei Kate-
gorieen, gemeine Rebellen und Anführer; letztere wurden in Stücke
gerissen, erstere nur geköpft, alle Frauen und Kinder nach dem
Amur geschleppt. Beruhigt wurde die Provinz auf diese Weise
gewiss.

Tsen-pao war es, der im September 1860 bei Pa-li-kao
commandirte und wahrscheinlich Capitän Brabazon und den Abbe
de Luc hinrichten liess. Seine zweideutigen Aeusserungen über
deren Schicksal, verglichen mit der Aussage chinesischer Soldaten,
dass er sich der schriftlichen Ertheilung des Befehles geweigert
habe, konnten diese Muthmaassung nur bestärken. -- Im Frühjahr
stand Tsen-pao mit seinen Truppen in Pe-kin; häufig wurden die
Diplomaten dort durch nächtliche Gewehrsalven aufgestört und er-
fuhren auf Befragen, dass diese Kraftäusserung das schlechte Ge-
sindel schrecken und die Ehrfurcht des Volkes vor der Executive
erhöhen sollte. Gegen die Fremden zeigten Tsen-pao's Truppen
kein Uebelwollen; einige Engländer besuchten sogar ihr Lager im
Süden der Chinesenstadt; aus einem Zuge von Pikenreitern, der
ihnen begegnete, grüssten mehrere ganz ehrerbietig, und als einer
der Officiere die Engländer freundlich anredete, machte der ganze
Zug ohne Commando Halt; mehrere verliessen ganz unbefangen die
Glieder, um dem Gespräch zu lauschen.

Anfang Mai wurde Tsen-pao nach Dzehol berufen und
vom Kaiser angewiesen, zu Unterstützung San-ko-lin-sin's nach
San-tun zu rücken. Nach Pe-kin heimkehrend, gehorchte er so
weit, dass er mit seinen Truppen einen Tagemarsch südlich mar-
schirte, dann aber ruhig nach der Hauptstadt zurückkam, wo seine
Gegenwart nothwendiger wäre. Etwas später musste er doch ins
Feld. San-ko-lin-sin war mit seiner Streitmacht zurückgewichen

XVII. Tšen-pao.

Tšëu-tšau erwiederte den Besuch in Vertretung seines kranken
Vaters und redete ganz verständig. Offen und unbefangen beklagte
er die Missbräuche in der Verwaltung und machte kein Hehl aus
den amtlichen Lügen, mit welchen die Behörden das Publicum
täuschten. So feierte damals die Zeitung von Pe-kiṅ den Feld-
herrn Tšen-pao, der die Rebellen in Šan-tuṅ bekämpfte, durch
glänzende Siegesberichte. Tšëu-tšau aber erklärte rund heraus,
er sei nur ein Maulheld. Die Art, in welcher Tšen-pao nach
eigenem Geständniss die Provinz beruhigt hatte, giebt ein grausiges
Bild von der kalten Blutgier asiatischer Grossen; er theilte alle
männlichen Bewohner der zurückgewonnenen Bezirke in zwei Kate-
gorieen, gemeine Rebellen und Anführer; letztere wurden in Stücke
gerissen, erstere nur geköpft, alle Frauen und Kinder nach dem
Amur geschleppt. Beruhigt wurde die Provinz auf diese Weise
gewiss.

Tšen-pao war es, der im September 1860 bei Pa-li-kao
commandirte und wahrscheinlich Capitän Brabazon und den Abbé
de Luc hinrichten liess. Seine zweideutigen Aeusserungen über
deren Schicksal, verglichen mit der Aussage chinesischer Soldaten,
dass er sich der schriftlichen Ertheilung des Befehles geweigert
habe, konnten diese Muthmaassung nur bestärken. — Im Frühjahr
stand Tšen-pao mit seinen Truppen in Pe-kiṅ; häufig wurden die
Diplomaten dort durch nächtliche Gewehrsalven aufgestört und er-
fuhren auf Befragen, dass diese Kraftäusserung das schlechte Ge-
sindel schrecken und die Ehrfurcht des Volkes vor der Executive
erhöhen sollte. Gegen die Fremden zeigten Tšen-pao’s Truppen
kein Uebelwollen; einige Engländer besuchten sogar ihr Lager im
Süden der Chinesenstadt; aus einem Zuge von Pikenreitern, der
ihnen begegnete, grüssten mehrere ganz ehrerbietig, und als einer
der Officiere die Engländer freundlich anredete, machte der ganze
Zug ohne Commando Halt; mehrere verliessen ganz unbefangen die
Glieder, um dem Gespräch zu lauschen.

Anfang Mai wurde Tšen-pao nach Džehol berufen und
vom Kaiser angewiesen, zu Unterstützung Saṅ-ko-lin-sin’s nach
Šan-tuṅ zu rücken. Nach Pe-kiṅ heimkehrend, gehorchte er so
weit, dass er mit seinen Truppen einen Tagemarsch südlich mar-
schirte, dann aber ruhig nach der Hauptstadt zurückkam, wo seine
Gegenwart nothwendiger wäre. Etwas später musste er doch ins
Feld. Saṅ-ko-lin-sin war mit seiner Streitmacht zurückgewichen

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[143/0157] XVII. Tšen-pao. Tšëu-tšau erwiederte den Besuch in Vertretung seines kranken Vaters und redete ganz verständig. Offen und unbefangen beklagte er die Missbräuche in der Verwaltung und machte kein Hehl aus den amtlichen Lügen, mit welchen die Behörden das Publicum täuschten. So feierte damals die Zeitung von Pe-kiṅ den Feld- herrn Tšen-pao, der die Rebellen in Šan-tuṅ bekämpfte, durch glänzende Siegesberichte. Tšëu-tšau aber erklärte rund heraus, er sei nur ein Maulheld. Die Art, in welcher Tšen-pao nach eigenem Geständniss die Provinz beruhigt hatte, giebt ein grausiges Bild von der kalten Blutgier asiatischer Grossen; er theilte alle männlichen Bewohner der zurückgewonnenen Bezirke in zwei Kate- gorieen, gemeine Rebellen und Anführer; letztere wurden in Stücke gerissen, erstere nur geköpft, alle Frauen und Kinder nach dem Amur geschleppt. Beruhigt wurde die Provinz auf diese Weise gewiss. Tšen-pao war es, der im September 1860 bei Pa-li-kao commandirte und wahrscheinlich Capitän Brabazon und den Abbé de Luc hinrichten liess. Seine zweideutigen Aeusserungen über deren Schicksal, verglichen mit der Aussage chinesischer Soldaten, dass er sich der schriftlichen Ertheilung des Befehles geweigert habe, konnten diese Muthmaassung nur bestärken. — Im Frühjahr stand Tšen-pao mit seinen Truppen in Pe-kiṅ; häufig wurden die Diplomaten dort durch nächtliche Gewehrsalven aufgestört und er- fuhren auf Befragen, dass diese Kraftäusserung das schlechte Ge- sindel schrecken und die Ehrfurcht des Volkes vor der Executive erhöhen sollte. Gegen die Fremden zeigten Tšen-pao’s Truppen kein Uebelwollen; einige Engländer besuchten sogar ihr Lager im Süden der Chinesenstadt; aus einem Zuge von Pikenreitern, der ihnen begegnete, grüssten mehrere ganz ehrerbietig, und als einer der Officiere die Engländer freundlich anredete, machte der ganze Zug ohne Commando Halt; mehrere verliessen ganz unbefangen die Glieder, um dem Gespräch zu lauschen. Anfang Mai wurde Tšen-pao nach Džehol berufen und vom Kaiser angewiesen, zu Unterstützung Saṅ-ko-lin-sin’s nach Šan-tuṅ zu rücken. Nach Pe-kiṅ heimkehrend, gehorchte er so weit, dass er mit seinen Truppen einen Tagemarsch südlich mar- schirte, dann aber ruhig nach der Hauptstadt zurückkam, wo seine Gegenwart nothwendiger wäre. Etwas später musste er doch ins Feld. Saṅ-ko-lin-sin war mit seiner Streitmacht zurückgewichen

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/157>, abgerufen am 23.11.2024.