Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

XIII. Die Chinesenstadt.
währte mehrere Tage; Tausende kamen um Haus und Hof und
mussten auch für die Zukunft ihrem Besitz entsagen, denn die Fran-
zosen, deren Ansiedlung an diese Vorstadt grenzt, widersetzten sich
aus strategischen Rücksichten der Herstellung.

Die Ringmauer von Shang-hae ist aus Luftziegeln erbaut,
etwa 25 Fuss hoch. Auf dem zwölf Fuss breiten Umgang standen
kleine eiserne Geschütze und die Zelte der Wachen, die meist
schlafend betroffen wurden. Zur Sicherung gegen die Tae-pin
hielten damals noch englische Truppen eines der Stadtthore, ein
anderes französische besetzt; zu Erleichterung des Verkehrs mit
der Fremdenstadt war auf dieser Seite eine Bresche in die Ring-
mauer gebrochen. Das Innere ist ein Labyrinth enger, krummer,
kothiger Gassen und Winkel, in denen sich eine bunte Menge lär-
mender Chinesen, französischer und anglo-indischer Soldaten
drängte. Lange Züge von Kulis schleppen die Lasten, denn für
Karren oder Thiere ist kein Raum. Begegnet man einer Sänfte, --
die langen Tragstangen ruhen auf den Schultern der Träger, -- so
ist kaum auszuweichen. Man watet in tiefem Koth, über schlüpf-
rige Steinplatten. In den offenen Thüren der Häuser, die fast
sämmtlich Kaufläden oder Schenken sind, sitzen die Bewohner,
schwatzend, rauchend, arbeitend; man blickt in Werkstätten und
Kramläden, wo in buntem Schmutz Gemüse, Fische, Schweine-
fleisch, Früchte, Haifischflossen und andere ungeheuerliche Ess-
waaren, oder ein tolles Allerlei von Tabaks- und Opiumpfeifen,
Glimmkerzen, Seidenzeugen, Tusche, Porcelan, europäischen Glas-
flaschen, Streichhölzern und dem in der ganzen Welt unvermeid-
lichen englischen Kattun durcheinander liegen. -- Manche Gewerke
haben ihre eigenen Gassen; so die Schuhmacher, Strohflechter und
die Holzschnitzer, die hübsche Rahmen fertigen und die Platten
zum Buchdruck schneiden; denn mit beweglichen Typen wird nicht
gedruckt.

Die Häuser sind von Holz und Stein, ein- bis zweistöckig,
mit geschnörkeltem buntem Zierrath und phantastischen Aushänge-
schilden; aber schwarz und russig, verkommen und baufällig. Aus
den Garküchen strömen Dämpfe siedenden Fettes; in allen Winkeln
liegen Kehrichthaufen, unaussprechliche Dünste athmend. Entsteht
durch Nachlässigkeit eines Hausbesitzers Feuer, so haben alle durch
seine Schuld abgebrannten Nachbarn das Recht, den Schutt ihrer
Häuser auf sein Grundstück zu schleppen; so entstehen oft mitten

XIII. Die Chinesenstadt.
währte mehrere Tage; Tausende kamen um Haus und Hof und
mussten auch für die Zukunft ihrem Besitz entsagen, denn die Fran-
zosen, deren Ansiedlung an diese Vorstadt grenzt, widersetzten sich
aus strategischen Rücksichten der Herstellung.

Die Ringmauer von Shang-hae ist aus Luftziegeln erbaut,
etwa 25 Fuss hoch. Auf dem zwölf Fuss breiten Umgang standen
kleine eiserne Geschütze und die Zelte der Wachen, die meist
schlafend betroffen wurden. Zur Sicherung gegen die Tae-piṅ
hielten damals noch englische Truppen eines der Stadtthore, ein
anderes französische besetzt; zu Erleichterung des Verkehrs mit
der Fremdenstadt war auf dieser Seite eine Bresche in die Ring-
mauer gebrochen. Das Innere ist ein Labyrinth enger, krummer,
kothiger Gassen und Winkel, in denen sich eine bunte Menge lär-
mender Chinesen, französischer und anglo-indischer Soldaten
drängte. Lange Züge von Kulis schleppen die Lasten, denn für
Karren oder Thiere ist kein Raum. Begegnet man einer Sänfte, —
die langen Tragstangen ruhen auf den Schultern der Träger, — so
ist kaum auszuweichen. Man watet in tiefem Koth, über schlüpf-
rige Steinplatten. In den offenen Thüren der Häuser, die fast
sämmtlich Kaufläden oder Schenken sind, sitzen die Bewohner,
schwatzend, rauchend, arbeitend; man blickt in Werkstätten und
Kramläden, wo in buntem Schmutz Gemüse, Fische, Schweine-
fleisch, Früchte, Haifischflossen und andere ungeheuerliche Ess-
waaren, oder ein tolles Allerlei von Tabaks- und Opiumpfeifen,
Glimmkerzen, Seidenzeugen, Tusche, Porcelan, europäischen Glas-
flaschen, Streichhölzern und dem in der ganzen Welt unvermeid-
lichen englischen Kattun durcheinander liegen. — Manche Gewerke
haben ihre eigenen Gassen; so die Schuhmacher, Strohflechter und
die Holzschnitzer, die hübsche Rahmen fertigen und die Platten
zum Buchdruck schneiden; denn mit beweglichen Typen wird nicht
gedruckt.

Die Häuser sind von Holz und Stein, ein- bis zweistöckig,
mit geschnörkeltem buntem Zierrath und phantastischen Aushänge-
schilden; aber schwarz und russig, verkommen und baufällig. Aus
den Garküchen strömen Dämpfe siedenden Fettes; in allen Winkeln
liegen Kehrichthaufen, unaussprechliche Dünste athmend. Entsteht
durch Nachlässigkeit eines Hausbesitzers Feuer, so haben alle durch
seine Schuld abgebrannten Nachbarn das Recht, den Schutt ihrer
Häuser auf sein Grundstück zu schleppen; so entstehen oft mitten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0403" n="381"/><fw place="top" type="header">XIII. Die Chinesenstadt.</fw><lb/>
währte mehrere Tage; Tausende kamen um Haus und Hof und<lb/>
mussten auch für die Zukunft ihrem Besitz entsagen, denn die Fran-<lb/>
zosen, deren Ansiedlung an diese Vorstadt grenzt, widersetzten sich<lb/>
aus strategischen Rücksichten der Herstellung.</p><lb/>
          <p>Die Ringmauer von <hi rendition="#k"><placeName>Shang-hae</placeName></hi> ist aus Luftziegeln erbaut,<lb/>
etwa 25 Fuss hoch. Auf dem zwölf Fuss breiten Umgang standen<lb/>
kleine eiserne Geschütze und die Zelte der Wachen, die meist<lb/>
schlafend betroffen wurden. Zur Sicherung gegen die <hi rendition="#k">Tae-pin&#x0307;</hi><lb/>
hielten damals noch englische Truppen eines der Stadtthore, ein<lb/>
anderes französische besetzt; zu Erleichterung des Verkehrs mit<lb/>
der Fremdenstadt war auf dieser Seite eine Bresche in die Ring-<lb/>
mauer gebrochen. Das Innere ist ein Labyrinth enger, krummer,<lb/>
kothiger Gassen und Winkel, in denen sich eine bunte Menge lär-<lb/>
mender Chinesen, französischer und anglo-indischer Soldaten<lb/>
drängte. Lange Züge von Kulis schleppen die Lasten, denn für<lb/>
Karren oder Thiere ist kein Raum. Begegnet man einer Sänfte, &#x2014;<lb/>
die langen Tragstangen ruhen auf den Schultern der Träger, &#x2014; so<lb/>
ist kaum auszuweichen. Man watet in tiefem Koth, über schlüpf-<lb/>
rige Steinplatten. In den offenen Thüren der Häuser, die fast<lb/>
sämmtlich Kaufläden oder Schenken sind, sitzen die Bewohner,<lb/>
schwatzend, rauchend, arbeitend; man blickt in Werkstätten und<lb/>
Kramläden, wo in buntem Schmutz Gemüse, Fische, Schweine-<lb/>
fleisch, Früchte, Haifischflossen und andere ungeheuerliche Ess-<lb/>
waaren, oder ein tolles Allerlei von Tabaks- und Opiumpfeifen,<lb/>
Glimmkerzen, Seidenzeugen, Tusche, Porcelan, europäischen Glas-<lb/>
flaschen, Streichhölzern und dem in der ganzen Welt unvermeid-<lb/>
lichen englischen Kattun durcheinander liegen. &#x2014; Manche Gewerke<lb/>
haben ihre eigenen Gassen; so die Schuhmacher, Strohflechter und<lb/>
die Holzschnitzer, die hübsche Rahmen fertigen und die Platten<lb/>
zum Buchdruck schneiden; denn mit beweglichen Typen wird nicht<lb/>
gedruckt.</p><lb/>
          <p>Die Häuser sind von Holz und Stein, ein- bis zweistöckig,<lb/>
mit geschnörkeltem buntem Zierrath und phantastischen Aushänge-<lb/>
schilden; aber schwarz und russig, verkommen und baufällig. Aus<lb/>
den Garküchen strömen Dämpfe siedenden Fettes; in allen Winkeln<lb/>
liegen Kehrichthaufen, unaussprechliche Dünste athmend. Entsteht<lb/>
durch Nachlässigkeit eines Hausbesitzers Feuer, so haben alle durch<lb/>
seine Schuld abgebrannten Nachbarn das Recht, den Schutt ihrer<lb/>
Häuser auf sein Grundstück zu schleppen; so entstehen oft mitten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0403] XIII. Die Chinesenstadt. währte mehrere Tage; Tausende kamen um Haus und Hof und mussten auch für die Zukunft ihrem Besitz entsagen, denn die Fran- zosen, deren Ansiedlung an diese Vorstadt grenzt, widersetzten sich aus strategischen Rücksichten der Herstellung. Die Ringmauer von Shang-hae ist aus Luftziegeln erbaut, etwa 25 Fuss hoch. Auf dem zwölf Fuss breiten Umgang standen kleine eiserne Geschütze und die Zelte der Wachen, die meist schlafend betroffen wurden. Zur Sicherung gegen die Tae-piṅ hielten damals noch englische Truppen eines der Stadtthore, ein anderes französische besetzt; zu Erleichterung des Verkehrs mit der Fremdenstadt war auf dieser Seite eine Bresche in die Ring- mauer gebrochen. Das Innere ist ein Labyrinth enger, krummer, kothiger Gassen und Winkel, in denen sich eine bunte Menge lär- mender Chinesen, französischer und anglo-indischer Soldaten drängte. Lange Züge von Kulis schleppen die Lasten, denn für Karren oder Thiere ist kein Raum. Begegnet man einer Sänfte, — die langen Tragstangen ruhen auf den Schultern der Träger, — so ist kaum auszuweichen. Man watet in tiefem Koth, über schlüpf- rige Steinplatten. In den offenen Thüren der Häuser, die fast sämmtlich Kaufläden oder Schenken sind, sitzen die Bewohner, schwatzend, rauchend, arbeitend; man blickt in Werkstätten und Kramläden, wo in buntem Schmutz Gemüse, Fische, Schweine- fleisch, Früchte, Haifischflossen und andere ungeheuerliche Ess- waaren, oder ein tolles Allerlei von Tabaks- und Opiumpfeifen, Glimmkerzen, Seidenzeugen, Tusche, Porcelan, europäischen Glas- flaschen, Streichhölzern und dem in der ganzen Welt unvermeid- lichen englischen Kattun durcheinander liegen. — Manche Gewerke haben ihre eigenen Gassen; so die Schuhmacher, Strohflechter und die Holzschnitzer, die hübsche Rahmen fertigen und die Platten zum Buchdruck schneiden; denn mit beweglichen Typen wird nicht gedruckt. Die Häuser sind von Holz und Stein, ein- bis zweistöckig, mit geschnörkeltem buntem Zierrath und phantastischen Aushänge- schilden; aber schwarz und russig, verkommen und baufällig. Aus den Garküchen strömen Dämpfe siedenden Fettes; in allen Winkeln liegen Kehrichthaufen, unaussprechliche Dünste athmend. Entsteht durch Nachlässigkeit eines Hausbesitzers Feuer, so haben alle durch seine Schuld abgebrannten Nachbarn das Recht, den Schutt ihrer Häuser auf sein Grundstück zu schleppen; so entstehen oft mitten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/403
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/403>, abgerufen am 08.05.2024.