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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Das Gesandtschaftsrecht.
neuer Thatkraft zu ermannen. Das Gewissen des Himmelssohnes
ist seine inspirirte Neigung, denn über ihm giebt es keinen Richter,
und das Volkswohl rechtfertigt jeden Vertragsbruch gegen Räuber
und Rebellen, wie er die seinem Willen, d. h. der himmlischen
Weltordnung widerstrebenden Barbaren betrachten musste.

Neben der Verletzung des kaiserlichen Ansehns führten die
chinesischen Commissare in ihren Gesprächen mit Lord Elgin noch
einen anderen Grund gegen die stehende Gesandtschaft in Pe-kin an.
Man hatte schlimme Erfahrungen gemacht mit Diplomaten und Con-
suln, deren Eitelkeit, heftiges Temperament und Eigensinn, deren
hochmüthige Trägheit oder Unfähigkeit, den in der chinesischen
Cultur begründeten Institutionen und Anschauungen Rechnung zu
tragen oder sich auch nur darüber zu unterrichten, oft jeden
erspriesslichen Verkehr unmöglich machten. "Die Lehre," sagt Lord
Elgin in seiner das Gesandtschaftsrecht beleuchtenden Depesche
an Lord Malmesbury (Shang-hae, 5. November 1858), "dass jeder
Chinese ein Buhe und nur mit Hohn und Trotz zu bändigen ist,
wird häufig etwas zu weit getrieben in unserem Verkehr mit die-
sem Volke." Männer von solchem Schlage fürchteten die Commissare,
wie sie offen bekannten, als Vertretr in Pe-kin zu sehen, und be-
sorgten von deren Anwesenheit unheilbare Verstimmungen.

Lord Elgin hielt nicht für rathsam, das Vertragsrecht,
welches der englischen Regierung überliess, eine stehende
oder vorübergehende Gesandtschaften nach Pe-kin zu schicken,
"in einer Weise zu brauchen, welche den Kaiser zu wählen
zwänge zwischen verzweifeltem Widerstande und passiver Dul-
dung Desjenigen, das er und seine Räthe für das grösste Unheil
ansahen, welches das Reich befallen könne". Zudem fürchtete der
Botschafter wohl mit Recht, dass Kwei-lian und Wa-sana hin-
gerichtet würden, und besorgte von solchem Beispiel eine übele
Wirkung auf die künftige Haltung chinesischer Staatsmänner. End-
lich hoffte er durch Nachgiebigkeit in diesem Puncte andere im
Vertrage nicht berührte Zugeständnisse, vor Allem die Erlaubniss
zu erlangen, mit einem Geschwader den Yan-tse-kian hinaufzu-
gehen, wozu er vor Unterdrückung der Tae-pin-Rebellion und
Ratification des Vertrages kein Recht hatte. Lord Elgin wünschte
durch diese Expedition vor dem ganzen Reiche das ihm vom
Kaiser gewährte wichtige Recht der Besichtigung der neuen Häfen
zu constatiren und der englischen Flagge durch Mitführung eines

Das Gesandtschaftsrecht.
neuer Thatkraft zu ermannen. Das Gewissen des Himmelssohnes
ist seine inspirirte Neigung, denn über ihm giebt es keinen Richter,
und das Volkswohl rechtfertigt jeden Vertragsbruch gegen Räuber
und Rebellen, wie er die seinem Willen, d. h. der himmlischen
Weltordnung widerstrebenden Barbaren betrachten musste.

Neben der Verletzung des kaiserlichen Ansehns führten die
chinesischen Commissare in ihren Gesprächen mit Lord Elgin noch
einen anderen Grund gegen die stehende Gesandtschaft in Pe-kiṅ an.
Man hatte schlimme Erfahrungen gemacht mit Diplomaten und Con-
suln, deren Eitelkeit, heftiges Temperament und Eigensinn, deren
hochmüthige Trägheit oder Unfähigkeit, den in der chinesischen
Cultur begründeten Institutionen und Anschauungen Rechnung zu
tragen oder sich auch nur darüber zu unterrichten, oft jeden
erspriesslichen Verkehr unmöglich machten. »Die Lehre,« sagt Lord
Elgin in seiner das Gesandtschaftsrecht beleuchtenden Depesche
an Lord Malmesbury (Shang-hae, 5. November 1858), »dass jeder
Chinese ein Buhe und nur mit Hohn und Trotz zu bändigen ist,
wird häufig etwas zu weit getrieben in unserem Verkehr mit die-
sem Volke.« Männer von solchem Schlage fürchteten die Commissare,
wie sie offen bekannten, als Vertretr in Pe-kiṅ zu sehen, und be-
sorgten von deren Anwesenheit unheilbare Verstimmungen.

Lord Elgin hielt nicht für rathsam, das Vertragsrecht,
welches der englischen Regierung überliess, eine stehende
oder vorübergehende Gesandtschaften nach Pe-kiṅ zu schicken,
»in einer Weise zu brauchen, welche den Kaiser zu wählen
zwänge zwischen verzweifeltem Widerstande und passiver Dul-
dung Desjenigen, das er und seine Räthe für das grösste Unheil
ansahen, welches das Reich befallen könne«. Zudem fürchtete der
Botschafter wohl mit Recht, dass Kwei-liaṅ und Wa-šana hin-
gerichtet würden, und besorgte von solchem Beispiel eine übele
Wirkung auf die künftige Haltung chinesischer Staatsmänner. End-
lich hoffte er durch Nachgiebigkeit in diesem Puncte andere im
Vertrage nicht berührte Zugeständnisse, vor Allem die Erlaubniss
zu erlangen, mit einem Geschwader den Yaṅ-tse-kiaṅ hinaufzu-
gehen, wozu er vor Unterdrückung der Tae-piṅ-Rebellion und
Ratification des Vertrages kein Recht hatte. Lord Elgin wünschte
durch diese Expedition vor dem ganzen Reiche das ihm vom
Kaiser gewährte wichtige Recht der Besichtigung der neuen Häfen
zu constatiren und der englischen Flagge durch Mitführung eines

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[258/0280] Das Gesandtschaftsrecht. neuer Thatkraft zu ermannen. Das Gewissen des Himmelssohnes ist seine inspirirte Neigung, denn über ihm giebt es keinen Richter, und das Volkswohl rechtfertigt jeden Vertragsbruch gegen Räuber und Rebellen, wie er die seinem Willen, d. h. der himmlischen Weltordnung widerstrebenden Barbaren betrachten musste. Neben der Verletzung des kaiserlichen Ansehns führten die chinesischen Commissare in ihren Gesprächen mit Lord Elgin noch einen anderen Grund gegen die stehende Gesandtschaft in Pe-kiṅ an. Man hatte schlimme Erfahrungen gemacht mit Diplomaten und Con- suln, deren Eitelkeit, heftiges Temperament und Eigensinn, deren hochmüthige Trägheit oder Unfähigkeit, den in der chinesischen Cultur begründeten Institutionen und Anschauungen Rechnung zu tragen oder sich auch nur darüber zu unterrichten, oft jeden erspriesslichen Verkehr unmöglich machten. »Die Lehre,« sagt Lord Elgin in seiner das Gesandtschaftsrecht beleuchtenden Depesche an Lord Malmesbury (Shang-hae, 5. November 1858), »dass jeder Chinese ein Buhe und nur mit Hohn und Trotz zu bändigen ist, wird häufig etwas zu weit getrieben in unserem Verkehr mit die- sem Volke.« Männer von solchem Schlage fürchteten die Commissare, wie sie offen bekannten, als Vertretr in Pe-kiṅ zu sehen, und be- sorgten von deren Anwesenheit unheilbare Verstimmungen. Lord Elgin hielt nicht für rathsam, das Vertragsrecht, welches der englischen Regierung überliess, eine stehende oder vorübergehende Gesandtschaften nach Pe-kiṅ zu schicken, »in einer Weise zu brauchen, welche den Kaiser zu wählen zwänge zwischen verzweifeltem Widerstande und passiver Dul- dung Desjenigen, das er und seine Räthe für das grösste Unheil ansahen, welches das Reich befallen könne«. Zudem fürchtete der Botschafter wohl mit Recht, dass Kwei-liaṅ und Wa-šana hin- gerichtet würden, und besorgte von solchem Beispiel eine übele Wirkung auf die künftige Haltung chinesischer Staatsmänner. End- lich hoffte er durch Nachgiebigkeit in diesem Puncte andere im Vertrage nicht berührte Zugeständnisse, vor Allem die Erlaubniss zu erlangen, mit einem Geschwader den Yaṅ-tse-kiaṅ hinaufzu- gehen, wozu er vor Unterdrückung der Tae-piṅ-Rebellion und Ratification des Vertrages kein Recht hatte. Lord Elgin wünschte durch diese Expedition vor dem ganzen Reiche das ihm vom Kaiser gewährte wichtige Recht der Besichtigung der neuen Häfen zu constatiren und der englischen Flagge durch Mitführung eines

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/280>, abgerufen am 27.04.2024.