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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Das Gesandtschaftsrecht.
Vertragsrechtes bestehen könne, baten aber, dasselbe nicht zu
urgiren, versprachen auch dafür gewissenhafte Erfüllung aller
anderen Bestimmungen und Gewährung neuer Vortheile ausserhalb des
Vertrages. -- Lord Elgin wechselte mit ihnen mehrere Noten darüber
und versprach schliesslich, unter Festhaltung des Rechtes einer
stehenden Gesandtschaft, ihr Gesuch dahin zu befürworten, dass,
-- wenn der mit Auswechselung der Ratificationen beauftragte Di-
plomat zu Pf-kin in angemessener Weise empfangen und der Ver-
trag in allen Stücken gehalten würde, -- die Regierung von Gross-
britannien
ihren Vertreter anweisen möge, seinen Wohnsitz anderswo
als in der Hauptstadt zu nehmen und diese nur vorübergehend bei
dienstlichem Anlass zu besuchen.

Hier beginnt erst der ernste Kampf um Gleichberechtigung,
welchen die Diplomaten mit dem Vertrage von Tien-tsin aus-
gefochten wähnten. Der Himmelssohn, dessen Vorgänger seit
mythischer Zeit als Herren der Welt gegolten und nur Unterthanen
gekannt hatten, sollte in seiner Nähe Barbaren dulden, die ihm
nicht einmal gleiche Ehrfurcht erwiesen, wie die seinen Hof be-
suchenden asiatischen Fürsten; er sollte sie mit dem Bewusstsein
dulden, dass er sich von ihnen zwingen liess und sie mit
Achtung und Rücksicht behandeln müsse, um neuen Demüthigungen
vorzubeugen. Dem Herrscher über 300 Millionen, der keine
Ahnung hatte von der übrigen Welt, muss das unfasslich gewesen
sein. Ohne irgend verhältnissmässige Stützung auf physische Ge-
walt übte der Kaiser von China schrankenlose Macht über unbe-
grenzte Ländermassen, über ein Drittel der Erdenbewohner, und
diese uralt angestammte Eigenschaft des weltbeherrschenden Him-
melssohnes, dessen Willen anerkannt war als höchstes Gebot
nicht etwa nach menschlicher Satzung, sondern nach unabänder-
licher Weltordnung, sollte nun aufgegeben werden. Ein durch
Jahrtausende gereifter Wahn verschwindet nicht mit einem
Schlage. Der Frieden von Nan-kin rüttelte daran. Hien-fun lieh
aber von Anfang an der retrograden Parthei sein Ohr und musste
durch Yi's Erfolge 1856 in der durch Schmeichler genährten An-
sicht bestärkt werden, dass zäher Widerstand zu gutem Ende
führe. Angesichts des Feindes konnte er wohl kurze Zeit den
Rath verständiger, den Machtverhältnissen Rechnung tragender
Männer hören; nachher aber erschien ihm die vorübergehende Be-
drohung wohl als böser Traum, den man abschüttelt, um sich zu

III. 17

Das Gesandtschaftsrecht.
Vertragsrechtes bestehen könne, baten aber, dasselbe nicht zu
urgiren, versprachen auch dafür gewissenhafte Erfüllung aller
anderen Bestimmungen und Gewährung neuer Vortheile ausserhalb des
Vertrages. — Lord Elgin wechselte mit ihnen mehrere Noten darüber
und versprach schliesslich, unter Festhaltung des Rechtes einer
stehenden Gesandtschaft, ihr Gesuch dahin zu befürworten, dass,
— wenn der mit Auswechselung der Ratificationen beauftragte Di-
plomat zu Pf-kiṅ in angemessener Weise empfangen und der Ver-
trag in allen Stücken gehalten würde, — die Regierung von Gross-
britannien
ihren Vertreter anweisen möge, seinen Wohnsitz anderswo
als in der Hauptstadt zu nehmen und diese nur vorübergehend bei
dienstlichem Anlass zu besuchen.

Hier beginnt erst der ernste Kampf um Gleichberechtigung,
welchen die Diplomaten mit dem Vertrage von Tien-tsin aus-
gefochten wähnten. Der Himmelssohn, dessen Vorgänger seit
mythischer Zeit als Herren der Welt gegolten und nur Unterthanen
gekannt hatten, sollte in seiner Nähe Barbaren dulden, die ihm
nicht einmal gleiche Ehrfurcht erwiesen, wie die seinen Hof be-
suchenden asiatischen Fürsten; er sollte sie mit dem Bewusstsein
dulden, dass er sich von ihnen zwingen liess und sie mit
Achtung und Rücksicht behandeln müsse, um neuen Demüthigungen
vorzubeugen. Dem Herrscher über 300 Millionen, der keine
Ahnung hatte von der übrigen Welt, muss das unfasslich gewesen
sein. Ohne irgend verhältnissmässige Stützung auf physische Ge-
walt übte der Kaiser von China schrankenlose Macht über unbe-
grenzte Ländermassen, über ein Drittel der Erdenbewohner, und
diese uralt angestammte Eigenschaft des weltbeherrschenden Him-
melssohnes, dessen Willen anerkannt war als höchstes Gebot
nicht etwa nach menschlicher Satzung, sondern nach unabänder-
licher Weltordnung, sollte nun aufgegeben werden. Ein durch
Jahrtausende gereifter Wahn verschwindet nicht mit einem
Schlage. Der Frieden von Nan-kiṅ rüttelte daran. Hien-fuṅ lieh
aber von Anfang an der retrograden Parthei sein Ohr und musste
durch Yi’s Erfolge 1856 in der durch Schmeichler genährten An-
sicht bestärkt werden, dass zäher Widerstand zu gutem Ende
führe. Angesichts des Feindes konnte er wohl kurze Zeit den
Rath verständiger, den Machtverhältnissen Rechnung tragender
Männer hören; nachher aber erschien ihm die vorübergehende Be-
drohung wohl als böser Traum, den man abschüttelt, um sich zu

III. 17
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[257/0279] Das Gesandtschaftsrecht. Vertragsrechtes bestehen könne, baten aber, dasselbe nicht zu urgiren, versprachen auch dafür gewissenhafte Erfüllung aller anderen Bestimmungen und Gewährung neuer Vortheile ausserhalb des Vertrages. — Lord Elgin wechselte mit ihnen mehrere Noten darüber und versprach schliesslich, unter Festhaltung des Rechtes einer stehenden Gesandtschaft, ihr Gesuch dahin zu befürworten, dass, — wenn der mit Auswechselung der Ratificationen beauftragte Di- plomat zu Pf-kiṅ in angemessener Weise empfangen und der Ver- trag in allen Stücken gehalten würde, — die Regierung von Gross- britannien ihren Vertreter anweisen möge, seinen Wohnsitz anderswo als in der Hauptstadt zu nehmen und diese nur vorübergehend bei dienstlichem Anlass zu besuchen. Hier beginnt erst der ernste Kampf um Gleichberechtigung, welchen die Diplomaten mit dem Vertrage von Tien-tsin aus- gefochten wähnten. Der Himmelssohn, dessen Vorgänger seit mythischer Zeit als Herren der Welt gegolten und nur Unterthanen gekannt hatten, sollte in seiner Nähe Barbaren dulden, die ihm nicht einmal gleiche Ehrfurcht erwiesen, wie die seinen Hof be- suchenden asiatischen Fürsten; er sollte sie mit dem Bewusstsein dulden, dass er sich von ihnen zwingen liess und sie mit Achtung und Rücksicht behandeln müsse, um neuen Demüthigungen vorzubeugen. Dem Herrscher über 300 Millionen, der keine Ahnung hatte von der übrigen Welt, muss das unfasslich gewesen sein. Ohne irgend verhältnissmässige Stützung auf physische Ge- walt übte der Kaiser von China schrankenlose Macht über unbe- grenzte Ländermassen, über ein Drittel der Erdenbewohner, und diese uralt angestammte Eigenschaft des weltbeherrschenden Him- melssohnes, dessen Willen anerkannt war als höchstes Gebot nicht etwa nach menschlicher Satzung, sondern nach unabänder- licher Weltordnung, sollte nun aufgegeben werden. Ein durch Jahrtausende gereifter Wahn verschwindet nicht mit einem Schlage. Der Frieden von Nan-kiṅ rüttelte daran. Hien-fuṅ lieh aber von Anfang an der retrograden Parthei sein Ohr und musste durch Yi’s Erfolge 1856 in der durch Schmeichler genährten An- sicht bestärkt werden, dass zäher Widerstand zu gutem Ende führe. Angesichts des Feindes konnte er wohl kurze Zeit den Rath verständiger, den Machtverhältnissen Rechnung tragender Männer hören; nachher aber erschien ihm die vorübergehende Be- drohung wohl als böser Traum, den man abschüttelt, um sich zu III. 17

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/279>, abgerufen am 27.04.2024.