Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Ki-yin's Denkschrift.
Kundgebungen zu beschwichtigen, welche ihren Verdacht niederschla-
gen, und in einigen muss man sie zufriedenstellen und zu Dank ver-
pflichten durch Gewährung des Verkehrs auf dem Fusse der Gleich-
stellung; manchmal muss man, um Zwecke zu erreichen, ein Auge
zudrücken zu ihrer Falschheit, und die Schätzung (ihrer Handlungen)
nicht zu weit treiben.

Geboren und erzogen in den fremden Gegenden ausserhalb
können die Barbaren Vieles in der Verwaltung der himmlischen Herr-
schaft nicht begreifen, und sie geben Dingen, deren wirkliche Bedeu-
tung ihnen unverständlich ist, beständig eine gezwungene Auslegung.
So steht die Veröffentlichung der kaiserlichen Befehle (wörtlich: der
seidenen Klänge) den Mitgliedern des grossen Staatsraths zu; aber
die Barbaren achten sie für die eigenhändige Antwort deiner Majestät;
und wenn man ihnen deutlich sagte, dass sie nicht von der Hand-
schrift deiner Majestät sind, so würden sie kein festes Vertrauen
darauf setzen. Die Malzeit, welche die Barbaren zusammen essen,
nennen sie Mittagsmal (Ta-tsau). Sie lieben die Gewohnheit, eine
Anzahl Menschen zu einem grossen Feste zu versammeln, bei welchem
sie zusammen schmausen und zechen. Wenn dein Sclave den Barbaren
an der Bocca oder in Macao eine Ehre erwies, sind ihre Obersten und
Führer zusammengekommen zu zehn bis zwanzig und dreissig an
Zahl, und wenn im Laufe der Zeit dein Sclave Anlass hatte, sich in
die Barbarenwohnungen oder auf die Barbarenschiffe zu begeben,
setzten sie sich um ihn herum zu seiner Aufwartung und wetteiferten
im Anbieten von Speisen und Getränken. Um ihr Wohlwollen zu ge-
winnen, musste er ihren Löffel und Becher theilen.

Ein anderer Punct. Es ist eine Eigenschaft der Barbaren, viel
aus ihren Frauen zu machen. Besucht sie ein Mann von Rang, so
kommt sicher die Frau heraus, ihn zu empfangen. So haben z. B.
der americanische Barbar Parker und der französische Barbar Lagrene
ihre fremden Frauen mitgebracht, und wenn dein Knecht in Geschäften
nach den Barbarenwohnungen kam, erschienen plötzlich die Frauen
und grüssten ihn. Dein Knecht war verlegen und unbehaglich; sie
aber freuten sich im Gegentheil über die ihnen angethane Ehre. Das
beweist die Wahrheit, dass die Bräuche der westlichen Staaten nicht
nach dem chinesischen Ceremoniel zu gestalten sind, und wollte man sie
schelten, so diente das nicht zu ihrer Belehrung (wörtlich: spaltete
nicht ihre Stumpfheit), sondern erzeugte nur Verdacht und Uebel-
wollen.

Ferner: Seit Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen wurden
die verschiedenen Barbaren auf dem Fusse einer Art von Gleichstellung

Ki-yiṅ’s Denkschrift.
Kundgebungen zu beschwichtigen, welche ihren Verdacht niederschla-
gen, und in einigen muss man sie zufriedenstellen und zu Dank ver-
pflichten durch Gewährung des Verkehrs auf dem Fusse der Gleich-
stellung; manchmal muss man, um Zwecke zu erreichen, ein Auge
zudrücken zu ihrer Falschheit, und die Schätzung (ihrer Handlungen)
nicht zu weit treiben.

Geboren und erzogen in den fremden Gegenden ausserhalb
können die Barbaren Vieles in der Verwaltung der himmlischen Herr-
schaft nicht begreifen, und sie geben Dingen, deren wirkliche Bedeu-
tung ihnen unverständlich ist, beständig eine gezwungene Auslegung.
So steht die Veröffentlichung der kaiserlichen Befehle (wörtlich: der
seidenen Klänge) den Mitgliedern des grossen Staatsraths zu; aber
die Barbaren achten sie für die eigenhändige Antwort deiner Majestät;
und wenn man ihnen deutlich sagte, dass sie nicht von der Hand-
schrift deiner Majestät sind, so würden sie kein festes Vertrauen
darauf setzen. Die Malzeit, welche die Barbaren zusammen essen,
nennen sie Mittagsmal (Ta-tsau). Sie lieben die Gewohnheit, eine
Anzahl Menschen zu einem grossen Feste zu versammeln, bei welchem
sie zusammen schmausen und zechen. Wenn dein Sclave den Barbaren
an der Bocca oder in Macao eine Ehre erwies, sind ihre Obersten und
Führer zusammengekommen zu zehn bis zwanzig und dreissig an
Zahl, und wenn im Laufe der Zeit dein Sclave Anlass hatte, sich in
die Barbarenwohnungen oder auf die Barbarenschiffe zu begeben,
setzten sie sich um ihn herum zu seiner Aufwartung und wetteiferten
im Anbieten von Speisen und Getränken. Um ihr Wohlwollen zu ge-
winnen, musste er ihren Löffel und Becher theilen.

Ein anderer Punct. Es ist eine Eigenschaft der Barbaren, viel
aus ihren Frauen zu machen. Besucht sie ein Mann von Rang, so
kommt sicher die Frau heraus, ihn zu empfangen. So haben z. B.
der americanische Barbar Parker und der französische Barbar Lagréné
ihre fremden Frauen mitgebracht, und wenn dein Knecht in Geschäften
nach den Barbarenwohnungen kam, erschienen plötzlich die Frauen
und grüssten ihn. Dein Knecht war verlegen und unbehaglich; sie
aber freuten sich im Gegentheil über die ihnen angethane Ehre. Das
beweist die Wahrheit, dass die Bräuche der westlichen Staaten nicht
nach dem chinesischen Ceremoniel zu gestalten sind, und wollte man sie
schelten, so diente das nicht zu ihrer Belehrung (wörtlich: spaltete
nicht ihre Stumpfheit), sondern erzeugte nur Verdacht und Uebel-
wollen.

Ferner: Seit Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen wurden
die verschiedenen Barbaren auf dem Fusse einer Art von Gleichstellung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p>
            <pb facs="#f0269" n="247"/>
            <fw place="top" type="header"><persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/no89006795"><hi rendition="#k">Ki-yin&#x0307;</hi>&#x2019;s</persName> Denkschrift.</fw><lb/> <hi rendition="#et">Kundgebungen zu beschwichtigen, welche ihren Verdacht niederschla-<lb/>
gen, und in einigen muss man sie zufriedenstellen und zu Dank ver-<lb/>
pflichten durch Gewährung des Verkehrs auf dem Fusse der Gleich-<lb/>
stellung; manchmal muss man, um Zwecke zu erreichen, ein Auge<lb/>
zudrücken zu ihrer Falschheit, und die Schätzung (ihrer Handlungen)<lb/>
nicht zu weit treiben.</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Geboren und erzogen in den fremden Gegenden ausserhalb<lb/>
können die Barbaren Vieles in der Verwaltung der himmlischen Herr-<lb/>
schaft nicht begreifen, und sie geben Dingen, deren wirkliche Bedeu-<lb/>
tung ihnen unverständlich ist, beständig eine gezwungene Auslegung.<lb/>
So steht die Veröffentlichung der kaiserlichen Befehle (wörtlich: der<lb/>
seidenen Klänge) den Mitgliedern des grossen Staatsraths zu; aber<lb/>
die Barbaren achten sie für die eigenhändige Antwort deiner Majestät;<lb/>
und wenn man ihnen deutlich sagte, dass sie nicht von der Hand-<lb/>
schrift deiner Majestät sind, so würden sie kein festes Vertrauen<lb/>
darauf setzen. Die Malzeit, welche die Barbaren zusammen essen,<lb/>
nennen sie Mittagsmal (<hi rendition="#k">Ta-tsau</hi>). Sie lieben die Gewohnheit, eine<lb/>
Anzahl Menschen zu einem grossen Feste zu versammeln, bei welchem<lb/>
sie zusammen schmausen und zechen. Wenn dein Sclave den Barbaren<lb/>
an der <placeName>Bocca</placeName> oder in <placeName>Macao</placeName> eine Ehre erwies, sind ihre Obersten und<lb/>
Führer zusammengekommen zu zehn bis zwanzig und dreissig an<lb/>
Zahl, und wenn im Laufe der Zeit dein Sclave Anlass hatte, sich in<lb/>
die Barbarenwohnungen oder auf die Barbarenschiffe zu begeben,<lb/>
setzten sie sich um ihn herum zu seiner Aufwartung und wetteiferten<lb/>
im Anbieten von Speisen und Getränken. Um ihr Wohlwollen zu ge-<lb/>
winnen, musste er ihren Löffel und Becher theilen.</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Ein anderer Punct. Es ist eine Eigenschaft der Barbaren, viel<lb/>
aus ihren Frauen zu machen. Besucht sie ein Mann von Rang, so<lb/>
kommt sicher die Frau heraus, ihn zu empfangen. So haben z. B.<lb/>
der americanische Barbar <persName ref="nognd">Parker</persName> und der französische Barbar <persName ref="http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb109643164/PUBLIC">Lagréné</persName><lb/>
ihre fremden Frauen mitgebracht, und wenn dein Knecht in Geschäften<lb/>
nach den Barbarenwohnungen kam, erschienen plötzlich die Frauen<lb/>
und grüssten ihn. Dein Knecht war verlegen und unbehaglich; sie<lb/>
aber freuten sich im Gegentheil über die ihnen angethane Ehre. Das<lb/>
beweist die Wahrheit, dass die Bräuche der westlichen Staaten nicht<lb/>
nach dem chinesischen Ceremoniel zu gestalten sind, und wollte man sie<lb/>
schelten, so diente das nicht zu ihrer Belehrung (wörtlich: spaltete<lb/>
nicht ihre Stumpfheit), sondern erzeugte nur Verdacht und Uebel-<lb/>
wollen.</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Ferner: Seit Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen wurden<lb/>
die verschiedenen Barbaren auf dem Fusse einer Art von Gleichstellung</hi><lb/>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0269] Ki-yiṅ’s Denkschrift. Kundgebungen zu beschwichtigen, welche ihren Verdacht niederschla- gen, und in einigen muss man sie zufriedenstellen und zu Dank ver- pflichten durch Gewährung des Verkehrs auf dem Fusse der Gleich- stellung; manchmal muss man, um Zwecke zu erreichen, ein Auge zudrücken zu ihrer Falschheit, und die Schätzung (ihrer Handlungen) nicht zu weit treiben. Geboren und erzogen in den fremden Gegenden ausserhalb können die Barbaren Vieles in der Verwaltung der himmlischen Herr- schaft nicht begreifen, und sie geben Dingen, deren wirkliche Bedeu- tung ihnen unverständlich ist, beständig eine gezwungene Auslegung. So steht die Veröffentlichung der kaiserlichen Befehle (wörtlich: der seidenen Klänge) den Mitgliedern des grossen Staatsraths zu; aber die Barbaren achten sie für die eigenhändige Antwort deiner Majestät; und wenn man ihnen deutlich sagte, dass sie nicht von der Hand- schrift deiner Majestät sind, so würden sie kein festes Vertrauen darauf setzen. Die Malzeit, welche die Barbaren zusammen essen, nennen sie Mittagsmal (Ta-tsau). Sie lieben die Gewohnheit, eine Anzahl Menschen zu einem grossen Feste zu versammeln, bei welchem sie zusammen schmausen und zechen. Wenn dein Sclave den Barbaren an der Bocca oder in Macao eine Ehre erwies, sind ihre Obersten und Führer zusammengekommen zu zehn bis zwanzig und dreissig an Zahl, und wenn im Laufe der Zeit dein Sclave Anlass hatte, sich in die Barbarenwohnungen oder auf die Barbarenschiffe zu begeben, setzten sie sich um ihn herum zu seiner Aufwartung und wetteiferten im Anbieten von Speisen und Getränken. Um ihr Wohlwollen zu ge- winnen, musste er ihren Löffel und Becher theilen. Ein anderer Punct. Es ist eine Eigenschaft der Barbaren, viel aus ihren Frauen zu machen. Besucht sie ein Mann von Rang, so kommt sicher die Frau heraus, ihn zu empfangen. So haben z. B. der americanische Barbar Parker und der französische Barbar Lagréné ihre fremden Frauen mitgebracht, und wenn dein Knecht in Geschäften nach den Barbarenwohnungen kam, erschienen plötzlich die Frauen und grüssten ihn. Dein Knecht war verlegen und unbehaglich; sie aber freuten sich im Gegentheil über die ihnen angethane Ehre. Das beweist die Wahrheit, dass die Bräuche der westlichen Staaten nicht nach dem chinesischen Ceremoniel zu gestalten sind, und wollte man sie schelten, so diente das nicht zu ihrer Belehrung (wörtlich: spaltete nicht ihre Stumpfheit), sondern erzeugte nur Verdacht und Uebel- wollen. Ferner: Seit Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen wurden die verschiedenen Barbaren auf dem Fusse einer Art von Gleichstellung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/269
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/269>, abgerufen am 22.11.2024.