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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Vorbereitungen zum Angriff.
Kan-ton nicht halten zu können, und die kleine Garnison in Hong-
kong
sicherte keineswegs diese Colonie.

Die Botschafter an der Pei-ho-Mündung suchten ihre mate-
rielle Schwäche vor den Mandarinen durch dilatorische Corre-
spondenzen zu bemänteln; Lord Elgin schickte ihnen am 6. Mai eine
Abschrift der Ki-yin und I-li-pu für den Abschluss des Vertrages
von Nan-kin verliehenen Vollmachten und ersuchte sie, sich ähn-
liche Beglaubigungen zu erwirken. Tau und Tsun-luen weigerten
sich aber kurz, darüber nach Pe-kin zu berichten, und die Sache
war erledigt. Mit dem russischen und dem americanischen Ge-
sandten, die auf kleinen Dampfern in die Flussmündung eingelaufen
waren, verkehrten sie unterdessen ganz freundschaftlich.

Bis Mitte Mai traf die erwartete Verstärkung endlich
ein. England war jetzt durch vierzehn Kriegsschiffe vertreten,
darunter elf Kanonenboote100), welche die Barre passiren konnten;
Frankreich durch zwei Fregatten, zwei Dampfcorvetten und vier
Kanonenboote. Die Botschafter beschlossen nun mit den Admirälen,
die Werke an der Mündung zu nehmen und dann ohne fernere
Feindseligkeiten den Pei-ho hinaufzufahren. Sie meldeten den
kaiserlichen Commissaren, dass sie nothwendig fänden nach Tien-
tsin
zu gehen, um mit dem Kaiserhofe zu Pe-kin in Verbindung
zu treten; vorläufig müssten aber die Werke an der Pei-ho-Mün-
dung
den Commandeuren der alliirten Streitmacht übergeben wer-
den. Letztere würden die Zeit bestimmen, innerhalb welcher die
kaiserlichen Truppen abmarschiren müssten. Nach Besetzung der
Werke durch Truppen der Alliirten würden die Botschafter den
Fluss hinaufgehen, in der Ueberzeugung, dass dann die kaiserliche
Regierung angemessen finden werde, ohne weiteren Verzug einen
passenden Vertreter für die Verhandlungen zu ernennen. -- Der
Nimrod und der Cormorant hatten sich schon einige Tage zuvor
dicht unter die Geschütze der Chinesen gelegt, um diese zu reizen;
die Soldaten der Mitte machten dazu am Ufer drollige Sprünge,
schwenkten Fahnen und brüllten höhnisch, feuerten aber keinen
Schuss.

Als am 19. Mai sechs Kanonenboote der Alliirten die Boote
mit den Landungstruppen über die Barre schleppten, liess der
chinesische Commandeur ihnen durch Graf Putiatine sagen, sie

100) Darunter vier "Despatch-government-boats"; so heisst eine grössere Art
Kanonenboote, welche den Postdienst der englischen Flotte besorgen.
III. 16

Vorbereitungen zum Angriff.
Kan-ton nicht halten zu können, und die kleine Garnison in Hong-
kong
sicherte keineswegs diese Colonie.

Die Botschafter an der Pei-ho-Mündung suchten ihre mate-
rielle Schwäche vor den Mandarinen durch dilatorische Corre-
spondenzen zu bemänteln; Lord Elgin schickte ihnen am 6. Mai eine
Abschrift der Ki-yiṅ und I-li-pu für den Abschluss des Vertrages
von Nan-kiṅ verliehenen Vollmachten und ersuchte sie, sich ähn-
liche Beglaubigungen zu erwirken. Tau und Tsuṅ-luen weigerten
sich aber kurz, darüber nach Pe-kiṅ zu berichten, und die Sache
war erledigt. Mit dem russischen und dem americanischen Ge-
sandten, die auf kleinen Dampfern in die Flussmündung eingelaufen
waren, verkehrten sie unterdessen ganz freundschaftlich.

Bis Mitte Mai traf die erwartete Verstärkung endlich
ein. England war jetzt durch vierzehn Kriegsschiffe vertreten,
darunter elf Kanonenboote100), welche die Barre passiren konnten;
Frankreich durch zwei Fregatten, zwei Dampfcorvetten und vier
Kanonenboote. Die Botschafter beschlossen nun mit den Admirälen,
die Werke an der Mündung zu nehmen und dann ohne fernere
Feindseligkeiten den Pei-ho hinaufzufahren. Sie meldeten den
kaiserlichen Commissaren, dass sie nothwendig fänden nach Tien-
tsin
zu gehen, um mit dem Kaiserhofe zu Pe-kiṅ in Verbindung
zu treten; vorläufig müssten aber die Werke an der Pei-ho-Mün-
dung
den Commandeuren der alliirten Streitmacht übergeben wer-
den. Letztere würden die Zeit bestimmen, innerhalb welcher die
kaiserlichen Truppen abmarschiren müssten. Nach Besetzung der
Werke durch Truppen der Alliirten würden die Botschafter den
Fluss hinaufgehen, in der Ueberzeugung, dass dann die kaiserliche
Regierung angemessen finden werde, ohne weiteren Verzug einen
passenden Vertreter für die Verhandlungen zu ernennen. — Der
Nimrod und der Cormorant hatten sich schon einige Tage zuvor
dicht unter die Geschütze der Chinesen gelegt, um diese zu reizen;
die Soldaten der Mitte machten dazu am Ufer drollige Sprünge,
schwenkten Fahnen und brüllten höhnisch, feuerten aber keinen
Schuss.

Als am 19. Mai sechs Kanonenboote der Alliirten die Boote
mit den Landungstruppen über die Barre schleppten, liess der
chinesische Commandeur ihnen durch Graf Putiatine sagen, sie

100) Darunter vier »Despatch-government-boats«; so heisst eine grössere Art
Kanonenboote, welche den Postdienst der englischen Flotte besorgen.
III. 16
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[241/0263] Vorbereitungen zum Angriff. Kan-ton nicht halten zu können, und die kleine Garnison in Hong- kong sicherte keineswegs diese Colonie. Die Botschafter an der Pei-ho-Mündung suchten ihre mate- rielle Schwäche vor den Mandarinen durch dilatorische Corre- spondenzen zu bemänteln; Lord Elgin schickte ihnen am 6. Mai eine Abschrift der Ki-yiṅ und I-li-pu für den Abschluss des Vertrages von Nan-kiṅ verliehenen Vollmachten und ersuchte sie, sich ähn- liche Beglaubigungen zu erwirken. Tau und Tsuṅ-luen weigerten sich aber kurz, darüber nach Pe-kiṅ zu berichten, und die Sache war erledigt. Mit dem russischen und dem americanischen Ge- sandten, die auf kleinen Dampfern in die Flussmündung eingelaufen waren, verkehrten sie unterdessen ganz freundschaftlich. Bis Mitte Mai traf die erwartete Verstärkung endlich ein. England war jetzt durch vierzehn Kriegsschiffe vertreten, darunter elf Kanonenboote 100), welche die Barre passiren konnten; Frankreich durch zwei Fregatten, zwei Dampfcorvetten und vier Kanonenboote. Die Botschafter beschlossen nun mit den Admirälen, die Werke an der Mündung zu nehmen und dann ohne fernere Feindseligkeiten den Pei-ho hinaufzufahren. Sie meldeten den kaiserlichen Commissaren, dass sie nothwendig fänden nach Tien- tsin zu gehen, um mit dem Kaiserhofe zu Pe-kiṅ in Verbindung zu treten; vorläufig müssten aber die Werke an der Pei-ho-Mün- dung den Commandeuren der alliirten Streitmacht übergeben wer- den. Letztere würden die Zeit bestimmen, innerhalb welcher die kaiserlichen Truppen abmarschiren müssten. Nach Besetzung der Werke durch Truppen der Alliirten würden die Botschafter den Fluss hinaufgehen, in der Ueberzeugung, dass dann die kaiserliche Regierung angemessen finden werde, ohne weiteren Verzug einen passenden Vertreter für die Verhandlungen zu ernennen. — Der Nimrod und der Cormorant hatten sich schon einige Tage zuvor dicht unter die Geschütze der Chinesen gelegt, um diese zu reizen; die Soldaten der Mitte machten dazu am Ufer drollige Sprünge, schwenkten Fahnen und brüllten höhnisch, feuerten aber keinen Schuss. Als am 19. Mai sechs Kanonenboote der Alliirten die Boote mit den Landungstruppen über die Barre schleppten, liess der chinesische Commandeur ihnen durch Graf Putiatine sagen, sie 100) Darunter vier »Despatch-government-boats«; so heisst eine grössere Art Kanonenboote, welche den Postdienst der englischen Flotte besorgen. III. 16

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/263>, abgerufen am 27.04.2024.