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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Einrichtungen in Kan-ton.
für sein Leben fürchten.99) Seine Archive bargen einen Schatz
wichtiger Documente, welche die früheren Beziehungen zu den
Fremden beleuchten und für deren Geschichte unschätzbar sind;
u. a. die ratificirten Exemplare der Verträge mit England, Frank-
reich
und America, welche wohl niemals nach Pe-kin gelangten.

Die Botschafter beschlossen, Kan-ton als Unterpfand für
die Erfüllung ihrer Forderungen zu behalten, sahen aber wohl ein,
dass sie der Regierung der Stadt nicht gewachsen seien. Die
Ordnung lockerte sich zusehends; Diebesbanden plünderten unge-
straft und der Verkehr begann zu stocken. Der complicirte Or-
ganismus der Verwaltung, durch welchen chinesische Bevölkerun-
gen in den gewohnten Bahnen des bürgerlichen Verkehrs erhalten
werden, konnte den Europäern nicht geläufig sein; und selbst wenn
die der Sprache kundigen Dolmetscher fähig gewesen wären sich
in kurzem damit vertraut zu machen, so war doch ihre Zahl der
Geschäftslast nicht gewachsen. Die Botschafter unterrichteten
deshalb Pi-kwei von ihrer Absicht, Kan-ton der kaiserlichen Re-
gierung zurückzugeben, sobald ihre Forderungen erfüllt wären, und
ersuchten ihn, bis dahin unter ihrer Oberhoheit die Verwaltung der
mit seinem früheren Amte verbundenen Geschäfte zu übernehmen.
Pi-kwei willigte ein, wurde von den Botschaftern feierlich instal-
lirt und vermochte auch seine Unterbeamten, welche theilweise ge-
flohen waren, in ihre Functionen wieder einzutreten. Sein erstes
Gesuch an Lord Elgin ging auf Herstellung der Handelsbeziehun-
gen, durch deren Unterbrechung seit funfzehn Monaten die Stadt
schwer gelitten habe und deren Erneuung den freundschaftlichen
Verkehr wesentlich fördern werde. Darauf wurde durch eine vom
6. Februar datirte Proclamation die Blockade des Perl-Flusses,
welche wegen der vielen Mündungen niemals effectiv gewesen war,

99) Yi wurde an Bord des englischen Kriegsschiffes Inflexible gebracht, das einige
Zeit bei der Bocca Tigris ankerte; er schien seine Gefangenschaft durchaus nicht
zu begreifen und drückte täglich sein Befremden aus, dass Lord Elgin nicht erschiene
und mit ihm in Verhandlungen träte, welche der einzige Zweck seines Aufenthaltes
auf dem englischen Schiffe seien. Später glaubte der Botschafter, dass Yi's Gegen-
wart in der Nähe von Kan-ton ungünstig auf dessen Bevölkerung wirke und
schickte ihn nach Calcutta. Die Mittheilung dieses Beschlusses nahm der Vice-König mit
vollkommenem Gleichmuth hin und erklärte mit allem einverstanden zu sein, was
man über ihn verhängen möge. Nach seinem Tode wurde die Leiche nach Kan-
ton
gebracht und von der Bevölkerung mit Zeichen der tiefsten Ehrfurcht und An-
hänglichkeit empfangen. Seine Thatkraft hatte die Stadt vor den Rebellenhorden
geschützt, welche mit Zerstörung und Plünderung drohten.

Einrichtungen in Kan-ton.
für sein Leben fürchten.99) Seine Archive bargen einen Schatz
wichtiger Documente, welche die früheren Beziehungen zu den
Fremden beleuchten und für deren Geschichte unschätzbar sind;
u. a. die ratificirten Exemplare der Verträge mit England, Frank-
reich
und America, welche wohl niemals nach Pe-kiṅ gelangten.

Die Botschafter beschlossen, Kan-ton als Unterpfand für
die Erfüllung ihrer Forderungen zu behalten, sahen aber wohl ein,
dass sie der Regierung der Stadt nicht gewachsen seien. Die
Ordnung lockerte sich zusehends; Diebesbanden plünderten unge-
straft und der Verkehr begann zu stocken. Der complicirte Or-
ganismus der Verwaltung, durch welchen chinesische Bevölkerun-
gen in den gewohnten Bahnen des bürgerlichen Verkehrs erhalten
werden, konnte den Europäern nicht geläufig sein; und selbst wenn
die der Sprache kundigen Dolmetscher fähig gewesen wären sich
in kurzem damit vertraut zu machen, so war doch ihre Zahl der
Geschäftslast nicht gewachsen. Die Botschafter unterrichteten
deshalb Pi-kwei von ihrer Absicht, Kan-ton der kaiserlichen Re-
gierung zurückzugeben, sobald ihre Forderungen erfüllt wären, und
ersuchten ihn, bis dahin unter ihrer Oberhoheit die Verwaltung der
mit seinem früheren Amte verbundenen Geschäfte zu übernehmen.
Pi-kwei willigte ein, wurde von den Botschaftern feierlich instal-
lirt und vermochte auch seine Unterbeamten, welche theilweise ge-
flohen waren, in ihre Functionen wieder einzutreten. Sein erstes
Gesuch an Lord Elgin ging auf Herstellung der Handelsbeziehun-
gen, durch deren Unterbrechung seit funfzehn Monaten die Stadt
schwer gelitten habe und deren Erneuung den freundschaftlichen
Verkehr wesentlich fördern werde. Darauf wurde durch eine vom
6. Februar datirte Proclamation die Blockade des Perl-Flusses,
welche wegen der vielen Mündungen niemals effectiv gewesen war,

99) Yi wurde an Bord des englischen Kriegsschiffes Inflexible gebracht, das einige
Zeit bei der Bocca Tigris ankerte; er schien seine Gefangenschaft durchaus nicht
zu begreifen und drückte täglich sein Befremden aus, dass Lord Elgin nicht erschiene
und mit ihm in Verhandlungen träte, welche der einzige Zweck seines Aufenthaltes
auf dem englischen Schiffe seien. Später glaubte der Botschafter, dass Yi’s Gegen-
wart in der Nähe von Kan-ton ungünstig auf dessen Bevölkerung wirke und
schickte ihn nach Calcutta. Die Mittheilung dieses Beschlusses nahm der Vice-König mit
vollkommenem Gleichmuth hin und erklärte mit allem einverstanden zu sein, was
man über ihn verhängen möge. Nach seinem Tode wurde die Leiche nach Kan-
ton
gebracht und von der Bevölkerung mit Zeichen der tiefsten Ehrfurcht und An-
hänglichkeit empfangen. Seine Thatkraft hatte die Stadt vor den Rebellenhorden
geschützt, welche mit Zerstörung und Plünderung drohten.
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[235/0257] Einrichtungen in Kan-ton. für sein Leben fürchten. 99) Seine Archive bargen einen Schatz wichtiger Documente, welche die früheren Beziehungen zu den Fremden beleuchten und für deren Geschichte unschätzbar sind; u. a. die ratificirten Exemplare der Verträge mit England, Frank- reich und America, welche wohl niemals nach Pe-kiṅ gelangten. Die Botschafter beschlossen, Kan-ton als Unterpfand für die Erfüllung ihrer Forderungen zu behalten, sahen aber wohl ein, dass sie der Regierung der Stadt nicht gewachsen seien. Die Ordnung lockerte sich zusehends; Diebesbanden plünderten unge- straft und der Verkehr begann zu stocken. Der complicirte Or- ganismus der Verwaltung, durch welchen chinesische Bevölkerun- gen in den gewohnten Bahnen des bürgerlichen Verkehrs erhalten werden, konnte den Europäern nicht geläufig sein; und selbst wenn die der Sprache kundigen Dolmetscher fähig gewesen wären sich in kurzem damit vertraut zu machen, so war doch ihre Zahl der Geschäftslast nicht gewachsen. Die Botschafter unterrichteten deshalb Pi-kwei von ihrer Absicht, Kan-ton der kaiserlichen Re- gierung zurückzugeben, sobald ihre Forderungen erfüllt wären, und ersuchten ihn, bis dahin unter ihrer Oberhoheit die Verwaltung der mit seinem früheren Amte verbundenen Geschäfte zu übernehmen. Pi-kwei willigte ein, wurde von den Botschaftern feierlich instal- lirt und vermochte auch seine Unterbeamten, welche theilweise ge- flohen waren, in ihre Functionen wieder einzutreten. Sein erstes Gesuch an Lord Elgin ging auf Herstellung der Handelsbeziehun- gen, durch deren Unterbrechung seit funfzehn Monaten die Stadt schwer gelitten habe und deren Erneuung den freundschaftlichen Verkehr wesentlich fördern werde. Darauf wurde durch eine vom 6. Februar datirte Proclamation die Blockade des Perl-Flusses, welche wegen der vielen Mündungen niemals effectiv gewesen war, 99) Yi wurde an Bord des englischen Kriegsschiffes Inflexible gebracht, das einige Zeit bei der Bocca Tigris ankerte; er schien seine Gefangenschaft durchaus nicht zu begreifen und drückte täglich sein Befremden aus, dass Lord Elgin nicht erschiene und mit ihm in Verhandlungen träte, welche der einzige Zweck seines Aufenthaltes auf dem englischen Schiffe seien. Später glaubte der Botschafter, dass Yi’s Gegen- wart in der Nähe von Kan-ton ungünstig auf dessen Bevölkerung wirke und schickte ihn nach Calcutta. Die Mittheilung dieses Beschlusses nahm der Vice-König mit vollkommenem Gleichmuth hin und erklärte mit allem einverstanden zu sein, was man über ihn verhängen möge. Nach seinem Tode wurde die Leiche nach Kan- ton gebracht und von der Bevölkerung mit Zeichen der tiefsten Ehrfurcht und An- hänglichkeit empfangen. Seine Thatkraft hatte die Stadt vor den Rebellenhorden geschützt, welche mit Zerstörung und Plünderung drohten.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/257>, abgerufen am 27.04.2024.