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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Weitere Schritte der Botschafter.
amtlich aufgehoben. Die Festlichkeiten des chinesischen Neujahrs
verzögerten die Aufnahme des Verkehrs noch einige Wochen; aber
der Aufschwung desselben in den nächsten Monaten rechtfertigte
die Maassregel vollständig. Wahrscheinlich litten die Kantonesen
von der Unterbrechung noch mehr als die Fremden; denn diese
konnten sich nach den anderen geöffneten Häfen wenden, wo die
Feindseligkeiten im Süden die ganze Zeit nicht die geringste Ver-
kehrsstockung bewirkten.

Kan-ton blieb vom 59. englischen Infanterieregiment und
einigen Hundert französischen Matrosen besetzt. Das chinesische
Zollamt wurde nach Wam-poa verlegt, wo auch die fremden Con-
suln sich niederliessen. Alle Zölle und Abgaben flossen, für Rech-
nung der Regierung erhoben, in die kaiserlichen Kassen. Nach
Kan-ton durften Fremde nur mit Pässen der Militärbehörden
kommen; der Belagerungszustand wurde dort bis auf Weiteres auf-
recht erhalten. Die Occupation dauerte mehrere Jahre und hatte
die besten Folgen; sie war vielleicht das einzige Mittel, den ein-
gewurzelten und künstlich genährten Hass der Kantonesen gegen
die Fremden zu tilgen; aber nur durch die Verantwortlichkeit der
einheimischen Obrigkeit konnte ein gutes Verhältniss erzielt
werden. Anfangs musste der chinesische Gouverneur mit grosser
Strenge verfahren; erst nach längerem Umgang entwickelten sich
freundschaftliche Beziehungen.

Im Frühling 1858 trafen Verstärkungen ein, welche es mög-
lich machten, das 59. Regiment aus Kan-ton zurückzuziehen und
mit anderen geeigneten Truppen zu den Operationen im Norden zu
verwenden. Die in Hong-kong versammelten Commissare von
England, Frankreich, Russland und America hatten beschlossen,
gemeinschaftlich Noten an die Regierung in Pe-kin zu richten und
auf Sendung eines bevollmächtigten Würdenträgers nach Shang-hae
anzutragen, mit welchem sie ihre Beschwerden erörtern könnten.
Lord Elgins vom 4. Februar 1858 datirte Note war an den obersten
Staatssecretär Yu gerichtet. Unter Mittheilung der mit Yi gepflo-
genen Correspondenz sprach sie sich über die durch dessen Haltung
herbeigeführten Ereignisse und die Lage in Kan-ton aus, verkündete
die Absicht der Alliirten, bis zu Erfüllung derjenigen den veränderten
Verhältnissen entsprechenden Forderungen, welche sie sich vorbehal-
ten hätten, die Stadt besetzt zu halten, und zeichnete in allgemei-
nen Umrissen die Natur dieser Forderungen, welche die Beziehun-

Weitere Schritte der Botschafter.
amtlich aufgehoben. Die Festlichkeiten des chinesischen Neujahrs
verzögerten die Aufnahme des Verkehrs noch einige Wochen; aber
der Aufschwung desselben in den nächsten Monaten rechtfertigte
die Maassregel vollständig. Wahrscheinlich litten die Kantonesen
von der Unterbrechung noch mehr als die Fremden; denn diese
konnten sich nach den anderen geöffneten Häfen wenden, wo die
Feindseligkeiten im Süden die ganze Zeit nicht die geringste Ver-
kehrsstockung bewirkten.

Kan-ton blieb vom 59. englischen Infanterieregiment und
einigen Hundert französischen Matrosen besetzt. Das chinesische
Zollamt wurde nach Wam-poa verlegt, wo auch die fremden Con-
suln sich niederliessen. Alle Zölle und Abgaben flossen, für Rech-
nung der Regierung erhoben, in die kaiserlichen Kassen. Nach
Kan-ton durften Fremde nur mit Pässen der Militärbehörden
kommen; der Belagerungszustand wurde dort bis auf Weiteres auf-
recht erhalten. Die Occupation dauerte mehrere Jahre und hatte
die besten Folgen; sie war vielleicht das einzige Mittel, den ein-
gewurzelten und künstlich genährten Hass der Kantonesen gegen
die Fremden zu tilgen; aber nur durch die Verantwortlichkeit der
einheimischen Obrigkeit konnte ein gutes Verhältniss erzielt
werden. Anfangs musste der chinesische Gouverneur mit grosser
Strenge verfahren; erst nach längerem Umgang entwickelten sich
freundschaftliche Beziehungen.

Im Frühling 1858 trafen Verstärkungen ein, welche es mög-
lich machten, das 59. Regiment aus Kan-ton zurückzuziehen und
mit anderen geeigneten Truppen zu den Operationen im Norden zu
verwenden. Die in Hong-kong versammelten Commissare von
England, Frankreich, Russland und America hatten beschlossen,
gemeinschaftlich Noten an die Regierung in Pe-kiṅ zu richten und
auf Sendung eines bevollmächtigten Würdenträgers nach Shang-hae
anzutragen, mit welchem sie ihre Beschwerden erörtern könnten.
Lord Elgins vom 4. Februar 1858 datirte Note war an den obersten
Staatssecretär Yu gerichtet. Unter Mittheilung der mit Yi gepflo-
genen Correspondenz sprach sie sich über die durch dessen Haltung
herbeigeführten Ereignisse und die Lage in Kan-ton aus, verkündete
die Absicht der Alliirten, bis zu Erfüllung derjenigen den veränderten
Verhältnissen entsprechenden Forderungen, welche sie sich vorbehal-
ten hätten, die Stadt besetzt zu halten, und zeichnete in allgemei-
nen Umrissen die Natur dieser Forderungen, welche die Beziehun-

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[236/0258] Weitere Schritte der Botschafter. amtlich aufgehoben. Die Festlichkeiten des chinesischen Neujahrs verzögerten die Aufnahme des Verkehrs noch einige Wochen; aber der Aufschwung desselben in den nächsten Monaten rechtfertigte die Maassregel vollständig. Wahrscheinlich litten die Kantonesen von der Unterbrechung noch mehr als die Fremden; denn diese konnten sich nach den anderen geöffneten Häfen wenden, wo die Feindseligkeiten im Süden die ganze Zeit nicht die geringste Ver- kehrsstockung bewirkten. Kan-ton blieb vom 59. englischen Infanterieregiment und einigen Hundert französischen Matrosen besetzt. Das chinesische Zollamt wurde nach Wam-poa verlegt, wo auch die fremden Con- suln sich niederliessen. Alle Zölle und Abgaben flossen, für Rech- nung der Regierung erhoben, in die kaiserlichen Kassen. Nach Kan-ton durften Fremde nur mit Pässen der Militärbehörden kommen; der Belagerungszustand wurde dort bis auf Weiteres auf- recht erhalten. Die Occupation dauerte mehrere Jahre und hatte die besten Folgen; sie war vielleicht das einzige Mittel, den ein- gewurzelten und künstlich genährten Hass der Kantonesen gegen die Fremden zu tilgen; aber nur durch die Verantwortlichkeit der einheimischen Obrigkeit konnte ein gutes Verhältniss erzielt werden. Anfangs musste der chinesische Gouverneur mit grosser Strenge verfahren; erst nach längerem Umgang entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen. Im Frühling 1858 trafen Verstärkungen ein, welche es mög- lich machten, das 59. Regiment aus Kan-ton zurückzuziehen und mit anderen geeigneten Truppen zu den Operationen im Norden zu verwenden. Die in Hong-kong versammelten Commissare von England, Frankreich, Russland und America hatten beschlossen, gemeinschaftlich Noten an die Regierung in Pe-kiṅ zu richten und auf Sendung eines bevollmächtigten Würdenträgers nach Shang-hae anzutragen, mit welchem sie ihre Beschwerden erörtern könnten. Lord Elgins vom 4. Februar 1858 datirte Note war an den obersten Staatssecretär Yu gerichtet. Unter Mittheilung der mit Yi gepflo- genen Correspondenz sprach sie sich über die durch dessen Haltung herbeigeführten Ereignisse und die Lage in Kan-ton aus, verkündete die Absicht der Alliirten, bis zu Erfüllung derjenigen den veränderten Verhältnissen entsprechenden Forderungen, welche sie sich vorbehal- ten hätten, die Stadt besetzt zu halten, und zeichnete in allgemei- nen Umrissen die Natur dieser Forderungen, welche die Beziehun-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/258>, abgerufen am 28.04.2024.