[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.Die Insurgenten von Kuan-si. Der Hass gegen die schwache und gleichgültige Obrigkeit, welchedem bürgerlichen Leben keinen Schutz gewährte, steigerte sich mit dem Selbstgefühl, das die eigene Bewaffnung dem Volke einflösste. Grossen Zuwachs erhielten die Räuberbanden auch durch die Bemannung einer Piraten-Flotte von achtundfunfzig Segeln, 1849.welche im October 1849 in einer Bucht des südwestlichen Kuan- tun von englischen Schiffen vernichtet wurden; zweitausend Mann retteten sich mit ihren Waffen und traten zu den Schaaren der Provinz Kuan-si über. Die amtliche Zeitung von Pe-kin meldete bald darauf, dass eine starke Rebellenmacht den kaiserlichen Truppen dort in offenem Felde die Spitze biete. Seitdem wurden die Zustände immer verzweifelter. So dunkel und verwirrt die darüber nach Kan-ton gelangenden Nachrichten waren, so bewiesen sie doch, dass damals mehrere unter sich in keiner Beziehung stehende Aufrührerbanden, jede für sich stark genug, um kleine Städte zu nehmen und den Kaiserlichen zu trotzen, in Kuan-si hausten, von der Bevölkerung aber kaum so sehr gefürchtet wurden als die Truppen der Regierung, welche wehr- lose Städte ausraubten, wo die Rebellen nur Vorräthe requirirten. Die Rebellen kämpften planlos für die Vertreibung der Tartaren und Herstellung der Min-Dynastie. Eine alte Prophezeiung ver- kündete, an die Entthronung der Mongolen vor fünfhundert Jahren anknüpfend, den Sturz der Mandschu für 1851. Im Juli 1850 wurde am Nordthor von Kan-ton eine aus dem 6. Monat des 2. Jahres Tien-ti (Himmlische Tugend) datirte Proclamation eines Präten- denten angeschlagen, der seiner Regierung schon jenen Namen ver- liehen hatte und als Min-Fürst Münzen prägen liess. Se. Majestät bot in diesem Aufruf zehntausend Tael Demjenigen, der ihm den Vice-König Siu-kwan-tsin gefangen zuführen würde. Tien-ti galt den Fremden in Kan-ton noch lange als das Haupt der Insurrec- tion, nachdem die Führung in die Hände der Tae-pin-Secte über- gegangen war. Durch Concentrirung um diesen Kern einer kleinen Schaar religiöser Fanatiker, deren Lehren an die Schriften des Alten und Neuen Testamentes anknüpften, gewann die Bewegung -- gegen October 1850 -- erst wirkliches Gewicht. Die Fremden blieben mehrere Jahre lang in völliger Unwissenheit von dem vorgeblichen Christenthume der Rebellen; 1852 gelangte eine aben- theuerlich klingende Nachricht darüber nach Hong-kong, fand aber wenig Glauben und Verbreitung. Erst durch die Reise des eng- Die Insurgenten von Kuaṅ-si. Der Hass gegen die schwache und gleichgültige Obrigkeit, welchedem bürgerlichen Leben keinen Schutz gewährte, steigerte sich mit dem Selbstgefühl, das die eigene Bewaffnung dem Volke einflösste. Grossen Zuwachs erhielten die Räuberbanden auch durch die Bemannung einer Piraten-Flotte von achtundfunfzig Segeln, 1849.welche im October 1849 in einer Bucht des südwestlichen Kuaṅ- tuṅ von englischen Schiffen vernichtet wurden; zweitausend Mann retteten sich mit ihren Waffen und traten zu den Schaaren der Provinz Kuaṅ-si über. Die amtliche Zeitung von Pe-kiṅ meldete bald darauf, dass eine starke Rebellenmacht den kaiserlichen Truppen dort in offenem Felde die Spitze biete. Seitdem wurden die Zustände immer verzweifelter. So dunkel und verwirrt die darüber nach Kan-ton gelangenden Nachrichten waren, so bewiesen sie doch, dass damals mehrere unter sich in keiner Beziehung stehende Aufrührerbanden, jede für sich stark genug, um kleine Städte zu nehmen und den Kaiserlichen zu trotzen, in Kuaṅ-si hausten, von der Bevölkerung aber kaum so sehr gefürchtet wurden als die Truppen der Regierung, welche wehr- lose Städte ausraubten, wo die Rebellen nur Vorräthe requirirten. Die Rebellen kämpften planlos für die Vertreibung der Tartaren und Herstellung der Miṅ-Dynastie. Eine alte Prophezeiung ver- kündete, an die Entthronung der Mongolen vor fünfhundert Jahren anknüpfend, den Sturz der Mandschu für 1851. Im Juli 1850 wurde am Nordthor von Kan-ton eine aus dem 6. Monat des 2. Jahres Tien-ti (Himmlische Tugend) datirte Proclamation eines Präten- denten angeschlagen, der seiner Regierung schon jenen Namen ver- liehen hatte und als Miṅ-Fürst Münzen prägen liess. Se. Majestät bot in diesem Aufruf zehntausend Tael Demjenigen, der ihm den Vice-König Siu-kwaṅ-tsin gefangen zuführen würde. Tien-ti galt den Fremden in Kan-ton noch lange als das Haupt der Insurrec- tion, nachdem die Führung in die Hände der Tae-piṅ-Secte über- gegangen war. Durch Concentrirung um diesen Kern einer kleinen Schaar religiöser Fanatiker, deren Lehren an die Schriften des Alten und Neuen Testamentes anknüpften, gewann die Bewegung — gegen October 1850 — erst wirkliches Gewicht. Die Fremden blieben mehrere Jahre lang in völliger Unwissenheit von dem vorgeblichen Christenthume der Rebellen; 1852 gelangte eine aben- theuerlich klingende Nachricht darüber nach Hong-kong, fand aber wenig Glauben und Verbreitung. 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Die Insurgenten von Kuaṅ-si.
Der Hass gegen die schwache und gleichgültige Obrigkeit, welche
dem bürgerlichen Leben keinen Schutz gewährte, steigerte sich mit
dem Selbstgefühl, das die eigene Bewaffnung dem Volke einflösste.
Grossen Zuwachs erhielten die Räuberbanden auch durch die
Bemannung einer Piraten-Flotte von achtundfunfzig Segeln,
welche im October 1849 in einer Bucht des südwestlichen Kuaṅ-
tuṅ von englischen Schiffen vernichtet wurden; zweitausend
Mann retteten sich mit ihren Waffen und traten zu den
Schaaren der Provinz Kuaṅ-si über. Die amtliche Zeitung
von Pe-kiṅ meldete bald darauf, dass eine starke Rebellenmacht
den kaiserlichen Truppen dort in offenem Felde die Spitze biete.
Seitdem wurden die Zustände immer verzweifelter. So dunkel und
verwirrt die darüber nach Kan-ton gelangenden Nachrichten waren,
so bewiesen sie doch, dass damals mehrere unter sich in keiner
Beziehung stehende Aufrührerbanden, jede für sich stark genug,
um kleine Städte zu nehmen und den Kaiserlichen zu trotzen, in
Kuaṅ-si hausten, von der Bevölkerung aber kaum so sehr
gefürchtet wurden als die Truppen der Regierung, welche wehr-
lose Städte ausraubten, wo die Rebellen nur Vorräthe requirirten.
Die Rebellen kämpften planlos für die Vertreibung der Tartaren
und Herstellung der Miṅ-Dynastie. Eine alte Prophezeiung ver-
kündete, an die Entthronung der Mongolen vor fünfhundert Jahren
anknüpfend, den Sturz der Mandschu für 1851. Im Juli 1850 wurde
am Nordthor von Kan-ton eine aus dem 6. Monat des 2. Jahres
Tien-ti (Himmlische Tugend) datirte Proclamation eines Präten-
denten angeschlagen, der seiner Regierung schon jenen Namen ver-
liehen hatte und als Miṅ-Fürst Münzen prägen liess. Se. Majestät
bot in diesem Aufruf zehntausend Tael Demjenigen, der ihm den
Vice-König Siu-kwaṅ-tsin gefangen zuführen würde. Tien-ti galt
den Fremden in Kan-ton noch lange als das Haupt der Insurrec-
tion, nachdem die Führung in die Hände der Tae-piṅ-Secte über-
gegangen war. Durch Concentrirung um diesen Kern einer kleinen
Schaar religiöser Fanatiker, deren Lehren an die Schriften des
Alten und Neuen Testamentes anknüpften, gewann die Bewegung —
gegen October 1850 — erst wirkliches Gewicht. Die Fremden
blieben mehrere Jahre lang in völliger Unwissenheit von dem
vorgeblichen Christenthume der Rebellen; 1852 gelangte eine aben-
theuerlich klingende Nachricht darüber nach Hong-kong, fand aber
wenig Glauben und Verbreitung. Erst durch die Reise des eng-
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