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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Geschichte des Hun-siu-tsuen.
lischen Bevollmächtigten Sir G. Bonham, welchen Herr Taylor
Meadows Ende April 1853 auf dem Dampfer Hermes nach Nan-kin
begleitete, erhielt man Gewissheit. Die Mandarinen mögen den
Fremden die religiösen Satzungen der Rebellen aus Besorgniss vor
ihrer Theilnahme verhehlt haben, aber unbegreiflich bleibt es, dass
nicht die Insurgenten, auf Beistand der Christen aus dem
Westen hoffend, mit ihnen Verbindungen anzuknüpfen suchten.
Die ersten verworrenen Darstellungen der Insurrection lassen, auf
dunkele Gerüchte fussend, die Thatsachen nicht mehr mit Sicher-
heit erkennen; die früheste Geschichte der Tae-pin-Secte klingt
schon jetzt fast mythisch. Meadows lieferte die gründlichste und
zuverlässigste Arbeit darüber; seinen Berichten ist die folgende Er-
zählung entnommen.

In einem Dorfe des Bezirkes Wu, etwa sieben deutsche Meilen
nordöstlich von Kan-ton, ward 1813 ein Knabe geboren, der schon
in frühester Jugend grosse Begabung zeigte. Seine Eltern, arme
Landleute, machten ihm mit Hülfe von Verwandten den Schul-
besuch bis zum sechszehnten Jahre möglich; dann musste er eine
Weile des Vaters Vieh auf die Weide treiben. Darauf wurde er
Schulmeister im heimathlichen Dorfe, fand Musse zu Fortsetzung
seiner Studien und bereitete sich zur ersten Staats-Prüfung vor.
Wiederholt stellte Hun-siu-tsuen sich dazu in Kan-ton, erlangte
aber niemals den ersten Grad. Bei einem solchen Aufenthalt in
der Provinzial-Hauptstadt, wahrscheinlich 1833, erhielt er von einem
bekehrten Chinesen Lian-a-fa, der mit aufrichtigem Glaubenseifer
für die protestantische Mission arbeitete und in jener Zeit viele
religiöse Schriften vertheilte, eine Sammlung von Aufsätzen mit dem
Titel Kiuen-se-lian-yen, "Gute Worte zu Ermahnung des Zeit-
alters". Einige Capitel aus dem Alten und dem Neuen Testament in
Morrisons Bibel-Uebersetzung waren darin mit Betrachtungen und
Predigten des Verfassers abgedruckt. Hun-siu-tsuen scheint das
Buch damals nur obenhin angesehen, dann bei Seite gelegt zu
haben. 1837 liess er sich zu Kan-ton abermals ohne Erfolg prüfen
und verfiel dort, geistig und körperlich erschöpft, in so schwere
Krankheit, dass er im Tragstuhl nach dem heimathlichen Dorfe
gebracht werden musste. Vierzig Tage litt er heftig, glaubte zu
sterben und hatte im Fieber allerlei Visionen. "Er sah einen
Drachen, einen Tiger und einen Hahn, dann viele Männer mit
musicalischen Instrumenten und einen prächtigen Tragstuhl, in

11*

Geschichte des Huṅ-siu-tsuen.
lischen Bevollmächtigten Sir G. Bonham, welchen Herr Taylor
Meadows Ende April 1853 auf dem Dampfer Hermes nach Nan-kiṅ
begleitete, erhielt man Gewissheit. Die Mandarinen mögen den
Fremden die religiösen Satzungen der Rebellen aus Besorgniss vor
ihrer Theilnahme verhehlt haben, aber unbegreiflich bleibt es, dass
nicht die Insurgenten, auf Beistand der Christen aus dem
Westen hoffend, mit ihnen Verbindungen anzuknüpfen suchten.
Die ersten verworrenen Darstellungen der Insurrection lassen, auf
dunkele Gerüchte fussend, die Thatsachen nicht mehr mit Sicher-
heit erkennen; die früheste Geschichte der Tae-piṅ-Secte klingt
schon jetzt fast mythisch. Meadows lieferte die gründlichste und
zuverlässigste Arbeit darüber; seinen Berichten ist die folgende Er-
zählung entnommen.

In einem Dorfe des Bezirkes Wu, etwa sieben deutsche Meilen
nordöstlich von Kan-ton, ward 1813 ein Knabe geboren, der schon
in frühester Jugend grosse Begabung zeigte. Seine Eltern, arme
Landleute, machten ihm mit Hülfe von Verwandten den Schul-
besuch bis zum sechszehnten Jahre möglich; dann musste er eine
Weile des Vaters Vieh auf die Weide treiben. Darauf wurde er
Schulmeister im heimathlichen Dorfe, fand Musse zu Fortsetzung
seiner Studien und bereitete sich zur ersten Staats-Prüfung vor.
Wiederholt stellte Huṅ-siu-tsuen sich dazu in Kan-ton, erlangte
aber niemals den ersten Grad. Bei einem solchen Aufenthalt in
der Provinzial-Hauptstadt, wahrscheinlich 1833, erhielt er von einem
bekehrten Chinesen Liaṅ-a-fa, der mit aufrichtigem Glaubenseifer
für die protestantische Mission arbeitete und in jener Zeit viele
religiöse Schriften vertheilte, eine Sammlung von Aufsätzen mit dem
Titel Kiuen-še-liaṅ-yen, »Gute Worte zu Ermahnung des Zeit-
alters«. Einige Capitel aus dem Alten und dem Neuen Testament in
Morrisons Bibel-Uebersetzung waren darin mit Betrachtungen und
Predigten des Verfassers abgedruckt. Huṅ-siu-tsuen scheint das
Buch damals nur obenhin angesehen, dann bei Seite gelegt zu
haben. 1837 liess er sich zu Kan-ton abermals ohne Erfolg prüfen
und verfiel dort, geistig und körperlich erschöpft, in so schwere
Krankheit, dass er im Tragstuhl nach dem heimathlichen Dorfe
gebracht werden musste. Vierzig Tage litt er heftig, glaubte zu
sterben und hatte im Fieber allerlei Visionen. »Er sah einen
Drachen, einen Tiger und einen Hahn, dann viele Männer mit
musicalischen Instrumenten und einen prächtigen Tragstuhl, in

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/185>, abgerufen am 09.11.2024.